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Wie der Körper den Schmerz vergisst

Nina Olsson litt lange unter Rückenschmerzen. Wie bei vielen wurde keine Ursache gefunden. Hier erklärt sie, wie man selbst schmerzfrei werden kann.

Von Kornelia Noack
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Chronische Schmerzen am Rücken können auch ohne organisch erkennbare Ursache sehr belastend sein.
Chronische Schmerzen am Rücken können auch ohne organisch erkennbare Ursache sehr belastend sein. © 123rf

Rückenschmerzen, die keine organische Ursache mehr haben, können eine Laune des Gehirns sein, die sich abstellen lässt. Das sagt Nina Olsson (68). Sie ist Neurocoach und Mentalitätstrainerin und beruft sich bei ihrer Arbeit auf Erkenntnisse der Neurowissenschaft: Empfindungen und Verhalten lassen sich durch Veränderung der Gedanken beeinflussen. Viele Jahre hat die Münchnerin so Paaren bei Beziehungsproblemen geholfen.

Als ihre Rückenschmerzen vor drei Jahren unerträglich wurden, begann Nina Olsson, sich mit ihrem Wissen selbst zu helfen. Es funktionierte. Inzwischen helfen sie und ihr Sohn Michael Weber, ein Osteopath, Patienten mit chronischen Rückenschmerzen in ganz Deutschland. Ihre Methode haben sie im Buch „Neurocoaching – Wie der Körper den Schmerz vergisst“ aufgeschrieben.

Neurocoach Nina Olsson und ihr Sohn Michael Weber, der als Osteopath arbeitet. Sie ist gelernte Krankenschwester, war in ihren Berufsjahren jedoch als Managerin in Gesundheitseinrichtungen tätig.
Neurocoach Nina Olsson und ihr Sohn Michael Weber, der als Osteopath arbeitet. Sie ist gelernte Krankenschwester, war in ihren Berufsjahren jedoch als Managerin in Gesundheitseinrichtungen tätig. © Trias Verlag

Frau Olsson, Sie litten jahrelang unter Rückenschmerzen, haben Schmerzmittel genommen. Wie haben sie erkannt, dass Sie sich selbst helfen können?

Während eines Urlaubes mit der Familie meines Sohnes war ich eines Morgens nicht mehr in der Lage, mich zu bewegen. Der Schmerz war so stark, dass ich nicht einmal das Telefon auf dem Nachttisch erreichen konnte. Damals war ich ganz sicher, dass mir nur eine operative Versteifung einiger Wirbel helfen könne. Mein Sohn fand mich in diesem Zustand und bestand darauf, mich zu behandeln. Nachdem er mich untersucht hatte, sagte er: Mama, deine Rückenschmerzen haben nichts mit deinem Rücken zu tun! Genau das war der zündende Moment für mich.

Warum? Was hat Ihr Sohn als Ursache für Ihre Rückenschmerzen erkannt?

Verklebte Faszien, Muskelabbau und verkürzte Sehnen. Er sagte mir, dass ich all diese Probleme aus eigener Kraft lösen kann und somit schmerzfrei werden könne. In dem Moment ist in meinem Kopf etwas passiert. Der Gedanke, dass ich keine OP brauchte, sondern mir sogar selbst helfen konnte, war wunderbar. Als Neurocoach weiß ich, wie bestimmte Netzwerke im Gehirn funktionieren und untereinander agieren, die für die Wahrnehmung von Schmerz verantwortlich sind. Tatsächlich kam ich nach drei Tagen ohne Schmerzmittel aus, und nach sieben Wochen war ich schmerzfrei . Das bin ich bis heute.

Was genau haben Sie gemacht?

Zunächst habe ich die Verklebungen der Faszien im Oberschenkel gelöst. Bei mir hat es funktioniert, indem ich mich hingesetzt habe und mit dem Stiel eines Kochlöffels kräftig über die Oberschenkel gefahren bin. Das ist im Übrigen sehr schmerzhaft. Dann habe ich angefangen, die Sehnen meiner Beine zu dehnen. Auch das ist schmerzhaft. Es war frappierend, wie schnell es mir besser ging. Hinzu kam das Mentalitätstraining. Das war sehr wichtig, denn wie intensiv man Schmerz wahrnimmt, hängt unter anderem davon ab, welche Schmerzerfahrung man in der Vergangenheit gemacht hat. Die ist Teil des Schmerzgedächtnisses.

Das war schon alles?

Ja. So bin ich aus der Schmerzfalle herausgekommen. Der Zustand meiner Wirbelsäule hat sich natürlich nicht verändert, aber durch mein verändertes Denken und Verhalten bleibe ich dennoch schmerzfrei.

Wenn Schmerzen eine Laune des Gehirns sind – leiden viele Patienten so wie Sie also unnötig?

Ja. Wobei ich betone, dass ich über unspezifische Schmerzen spreche, für die es keine medizinisch erklärbare Ursache gibt. Das ist bei etwa 90 Prozent der Fall. Grundsätzlich ist Schmerz wichtig. Er macht uns auf Verletzungen aufmerksam. Was viele nicht wissen: Schmerz entsteht im Kopf. Das Gehirn sendet einen Alarm aus: Achtung, hier ist verletztes Gewebe, bitte reparieren! Das Signal nehmen wir als Schmerz wahr. Nach etwa sechs Wochen sollte jedes Gewebe verheilt sein, doch bei unspezifischem Schmerz sendet der Kopf danach den Alarm ununterbrochen weiter, obwohl alle Schäden verheilt sind. Man kann es sich wie eine Schallplatte vorstellen, die hängen bleibt. Eine kleine Fehlfunktion. Und wir sagen nun – diese unangenehme Laune des Gehirns lässt sich beheben.

Wie genau funktioniert das?

Durch bewusstes Denken und nur leicht verändertes Verhalten. Es gilt, Kopf und Körper so zu beeinflussen, dass das Gehirn aufhört, diese Signale zu schicken. Ein Baustein sind Übungen, die man in den Alltag integrieren kann, oder so einfache wie die mit dem Kochlöffel. Der andere Teil ist Mentalitätstraining. Dabei lernen Menschen, manche Überzeugungen neu zu definieren und einige ihrer Gewohnheiten leicht anzupassen, um gar nicht erst in Schmerzsituationen zu kommen. Mein Sohn und ich haben die Methode der Sieben Brücken entwickelt, die jeder bewusst beschreiten und für sich erarbeiten kann. Am Ende ist jeder in der Lage, seine Schmerzen selbstständig zu beherrschen.

Das klappt wirklich?

Als es mir besser ging, habe ich viele Bekannte mit Rückenschmerzen mit der Methode bekannt gemacht, und mein Sohn wendet sie bei seinen Patienten an. Jedes Mal hat es zu 100 Prozent funktioniert. Deshalb wollten wir sie auch allen Menschen zugänglich machen, deren Therapeuten nicht mehr weiter wissen, außer immer stärkere Schmerzmittel zu verschreiben. Aktuelle Berichte von Krankenkassen zeigen, dass leider sehr viele unnötige OPs an der Wirbelsäule stattfinden.

Was ist der erste Schritt?

Die erste Brücke nennen wir „Der innere Troubadour“. Das ist die Stimme in unserem Kopf, die niemals schweigt. Es geht darum, bewusst darauf zu achten, was man redet und denkt. Die Idee dahinter basiert auf einer wissenschaftlichen Erkenntnis: Jeder negative Gedanke, jedes negative Wort wird vom Gehirn als Stress interpretiert. Das bedeutet, es sorgt für die vermehrte Ausschüttung von Stresshormonen wie Cortisol und Adrenalin. Diese sind unter anderem entzündungsfördernd und auf Dauer extrem schädlich für die Zellen. So beginnt ein fataler Kreislauf: Je mehr Negatives wir denken oder sprechen, desto mehr der schädlichen Hormone werden ausgeschüttet. Je mehr Hormone, desto intensiver wird der Schmerz wahrgenommen. Je intensiver der Schmerz ist, desto mehr Stress für das Gehirn. Und wieder werden noch mehr dieser Stresshormone ausgeschüttet. Und so weiter.

Der Ratgeber "Neurocoaching: Wie der Körper den Schmerz vergisst" ist im Trias-Verlag erschienen.
Der Ratgeber "Neurocoaching: Wie der Körper den Schmerz vergisst" ist im Trias-Verlag erschienen. © Trias Verlag

Das heißt, wir sollen uns weniger beschweren, dafür positiver denken?

Wer aufhört, sich ständig zu beschweren, gibt seinem Körper die Chance, die Selbstheilungskräfte voll einzusetzen. Mit der Belastung durch Stresshormone können sich Zellen nicht gesund erneuern. Genau das kann im Übrigen zu chronischen Erkrankungen führen. Beschweren wir uns weniger, schaden wir unserem Körper weniger.

Was steckt hinter der zweiten Brücke?

„Der Klugschwätzer.“ Der zweitwichtigste Aspekt ist, seine Überzeugungen zu hinterfragen. Ich war zum Beispiel überzeugt davon, zu wissen, dass ich operiert werden muss. Und dass mein Sohn als Osteopath mir deshalb nicht helfen kann. Als er aber darauf bestand und mir sagte, dass ich selbst für meine Schmerzen verantwortlich bin, war ich euphorisch, voller Energie und Hoffnung. In dem Moment, in dem ein Mensch erkennt, dass er selbst was machen kann, werden Glückshormone wie Dopamin und Serotonin ausgeschüttet. Sie sind die Gegenspieler der Stresshormone. Dasselbe geschieht auch durch Dankbarkeit.

Wie können wir üben, dankbar zu sein?

Das ist gar nicht so schwer. Es gibt Tausende Dinge, für die wir dankbar sein können. Wichtig ist, sich einen Block und einen Stift zu nehmen und die Sachen aufzuschreiben. Dann verarbeitet das Gehirn es besser. Studien haben übrigens gezeigt, dass allein schon durch die gedankliche Suche nach Dingen, wofür man dankbar ist, Glückshormone ausgeschüttet werden.

Welche Rolle spielen Ängste bei Dauerschmerzen?

Eine sehr große. Angst ist die Überzeugung, dass in einer bestimmten Situation was Schreckliches geschehen wird: Wenn ich eine bestimmte Bewegung mache, werde ich Schmerzen haben. Doch die Überzeugung stammt aus der Vergangenheit. In dem Moment ist es wichtig, sich die Gegenwart bewusst zu machen und zu sagen: Ich begegne dieser Situation bewusst neu, indem ich neu denke. Weil ich in den vergangenen Wochen gelernt habe, wie ich diese bestimmte Bewegung schmerzfrei ausführen kann, brauche ich auch keine Angst mehr haben.