"Mein Leben war wie ein schwarzer Fleck"

Dresden. Mit wem redet das Schicksal denn da? Verwundert hat Ute Stahl nach links und rechts geschaut. Sie kann ja wohl nicht gemeint sein. "Anfangs fühlte ich mich überhaupt nicht angesprochen", sagt sie. Das mit dem Krebs musste ein Irrtum sein.
"Ich hatte mich ewig lange von einer Erkältung nicht erholt. Mit meinem Blut schien etwas nicht zu stimmen, doch das blieb alles noch vage." Alle sechs Wochen musste Ute Stahl zur Kontrolle, bis schließlich feststand: Sie leidet an Leukämie.
Drei Jahre nachdem ihr die chronische Erkältung zu schaffen gemacht hatte, begann ihre Chemotherapie. Einerseits habe sie bis dahin wie auf einem Pulverfass gelebt - immer im Unklaren darüber, was mit ihr geschehen wird. Andererseits ging ihr Leben weiter wie bisher. "Auch während der Therapie habe ich zunächst weiter als Berufsschullehrerin gearbeitet. Ich war Mitte 40, wir bauten gerade ein Haus, mein Sohn ging zum Studium." Ein heiles Leben. Anscheinend.
Fünfzehn Jahre später sitzt Ute Stahl an einem Tisch in der Cafeteria des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen, kurz NCT/UCC, am Dresdner Uniklinikum. Vor ihr liegt ein Buch. "Leukämie. Beginnt ein neues Leben oder wird die Katastrophe noch größer?", so der Titel - und die große Frage ihres Lebens.
"Es fühlte sich an wie ein Wunder"
"Ich habe immer schon Tagebuch geführt, später ist aus diesen Aufzeichnungen ein richtiges Buch entstanden", erzählt die 64-Jährige. Die Anregung dazu hatte sie von einer Psychotherapeutin erhalten, die rasch erkannte, dass die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte und mit der Sprache Ute Stahl besser tat als die meisten anderen therapeutischen Ansätze.
Neues Leben oder dauerhafte Katastrophe. Zunächst sah alles nach letzterem aus. "Die Chemotherapie wirkte nicht", erzählt sie. Der Krebs verschwand nur während der Behandlung, und die Tumorzellen wuchsen erneut, sobald kein Chemotherapeutikum mehr regelmäßig in Ute Stahls Körper floss. "Ich habe das auch sofort gespürt, fühlte mich schlapp und hatte diesen heftigen Nachtschweiß."
Viel schlimmer jedoch war die Quintessenz: Uta Stahls Blutkrebs ließ sich auf diese Weise nicht bekämpfen. Nur eine Stammzelltransplantation konnte sie retten. Doch ihre Lebenssituation war schwieriger denn je.
"Das Verhältnis zu meinem Mann hatte sich unterdessen sehr verschlechtert, und ich war entschlossen, meinen Weg ohne ihn weiterzugehen." Doch wollte sie überhaupt noch gegen dieses Schicksal, das sie sehr wohl angesprochen hatte, angehen? "Ich war so erschöpft und habe meinen Arzt gefragt, was denn passieren würde, wenn ich einfach gar nichts mehr unternehme", erinnert sie sich. Er habe ihr einen langsamen Verfall angekündigt. Sie werde noch zwei Jahre leben, verfolgt von ständigen Infekten.
Den Antrag auf die Suche nach einem passenden Spender trug sie einige Wochen mit sich herum und konnte sich nicht entschließen. Endlich gab sie sich einen Ruck.
Wer Ute Stahl heute sieht, kann sich ihren Grenzgang kaum vorstellen. Der wurde noch prekärer, als sich nach vorbereitender Chemotherapie, totaler Isolation auf Station, Transplantation mit entsprechenden Nebenwirkungen, Medikamentencocktails und Start der Reha partout keine körpereigenen Abwehrkräfte aufbauen wollten. Das löste bei Ute Stahls Ärzten Alarm aus.
Sie riefen sie zurück ins Uniklinikum und verabreichten ihr eine Antikörpertherapie, damals eine noch recht neue Möglichkeit, die schließlich ihren Zweck erfüllte. Nach anfänglicher Reaktionslosigkeit ihres Körpers normalisierten sich die Werte der Patientin komplett. "Es fühlte sich an wie ein Wunder. Plötzlich war alles perfekt."
Was alles nicht perfekt ist, das erfahren Krebspatienten oft spätestens dann, wenn ihre Therapie als abgeschlossen gilt. Schon während der Rehabilitation taten sich auch für Ute Stahl Versorgungslücken auf, die zu schließen ihr viel Kraft abverlangte. "Ich sollte eine Maltherapie besuchen und haben einen schwarzen Fleck gemalt. So empfand ich zu diesem Zeitpunkt mein Leben - wie einen schwarzen Fleck."
Gebündelte Gesundheit gegen Krebs
Ehe und Eigenheim waren obsolet. Ihr Sohn aus dem Haus. Freundschaften hatten sich über Trennung und Scheidung verflüchtigt. "Ich habe keine Geschwister, nur meine Eltern, die unsagbar litten. So musste ich fast alles mit mir allein ausmachen, mir die meisten Hilfen allein organisieren."
Auch eine Psychotherapeutin suchte sie sich selbst. Die erkannte Ute Stahls Affinität zum Schreiben und lockte zutage, was nun vielen anderen Menschen hilft: Nicht nur ihr Buch gibt Betroffenen und Angehörigen Mut. Ute Stahl engagiert sich seit 2018 im Patientenbeirat des Dresdner Uniklinikums. Den Rat, Patienten, Ärzte, Pfleger und Therapeuten beschäftigt seit Jahren die Frage: Was können Betroffene selbst tun, um ihre Gesundheit und Lebensqualität zu verbessern?
Der Bedarf ist schon längst ermittelt. Nun gibt es eine Antwort: Ein neues Programm versammelt Tipps und Ansprechpartner auf einem neuen Portal und in einer Broschüre. Entwickelt haben es Mitarbeiter des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen Dresden und Gesundheitswissenschaftler der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. Die Deutsche Krebshilfe fördert das Projekt mit 110.000 Euro.
Patienten und ehemalige Patienten finden dort Anregungen zu den Themen Bewegung, Ernährung, Nichtrauchen und Sonnenschutz. Sie sind wissenschaftlich fundiert und bündeln die Angebote der entsprechenden Bereiche. Vorangestellt ist ein Selbsttest, mit dem jeder Nutzer seine individuellen Bedürfnisse ermitteln kann.
Ute Stahl hätte sich so etwas gewünscht. "Inzwischen hat sich viel getan", sagt sie. Die Gesundheit während und nach der Krebstherapie stand noch nie so im Fokus der Medizin wie jetzt. Werdet aktiv gegen euren Krebs - eine Botschaft, die sie mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit weitergeben will.
Das Buch "Leukämie. Beginnt ein neues Leben oder wird die Katastrophe noch größer?" kann über eine Mail an [email protected] gekauft werden. Weitere Informationen unter www.aktivmitkrebs.de.