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Termin bei Doktor Biene

In Kreischa wird Luft aus Bienenstöcken gegen Atemwegs-Erkrankungen inhaliert. Das wirkt, sagen die Patienten. Aber zahlt das die Kasse?

Von Jörg Stock
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Sie setzen auf die Heilkraft der Bienen: Kinderärztin Antje Jäger-Hundt und ihr Mann, der Berufsimker Dirk Jäger, behandeln in Kreischa Menschen mit Bienenstockluft.
Sie setzen auf die Heilkraft der Bienen: Kinderärztin Antje Jäger-Hundt und ihr Mann, der Berufsimker Dirk Jäger, behandeln in Kreischa Menschen mit Bienenstockluft. © Norbert Millauer

Die Maske umschließt Nase und Mund. Der Luftstrom wird sanft sein, sagt die Ärztin. Etwa zehn Liter pro Minute. "Sie spüren keinen Druck." Die Luft fühlt sich warm und feucht an und riecht nach Holz, Harz und Wachs. Einatmen durch die Nase, ausatmen durch den Mund. "Normale Ruheatmung." Die Therapie ist auch eine Art Meditation. Arbeiten müssen nur die, die am anderen Ende des Luftschlauchs in der hölzernen Kiste sitzen: vierzig- bis fünfzigtausend Honigbienen.

Imker und Kinderärztin tun sich zusammen

Auf dem Vorgelände einer Baumschule in Kreischa steht ein Holzhäuschen. Auf der einen Seite strömen Bienen ein und aus, auf der anderen Menschen. Das Häuschen ist die Bienenstocktherapie-Station von Antje Jäger-Hundt. Hauptsächlich arbeitet sie als Kinderärztin. An ausgewählten Tagen aber kommt sie hierher, zu den Bienen, um neue Patienten kennenzulernen, die Anamnese vorzunehmen und Probebehandlungen zu überwachen.

Doktor Jäger-Hundt ist klassisch ausgebildete Schulmedizinerin. Dass auch Bienen Heilkräfte besitzen, davon ist sie nach drei Jahren Therapiebetrieb, den sie gemeinsam mit ihrem Mann, dem Berufsimker Dirk Jäger, führt, überzeugt. Diese Kräfte allen zugänglich zu machen, treibt sie an. Die Bienenstockluft könne Beschwerden effektiv bessern, sodass Betroffene womöglich weniger Medikamente einnehmen müssten.

"Richtig frei atmen." Heuschnupfen-Patientin Regina Werner hat die Bienenstockluft gut geholfen. Auch der an COPD erkrankte Albrecht Wünsche (hinten) spürt Besserung.
"Richtig frei atmen." Heuschnupfen-Patientin Regina Werner hat die Bienenstockluft gut geholfen. Auch der an COPD erkrankte Albrecht Wünsche (hinten) spürt Besserung. © Norbert Millauer

Das Konzept, sich durch Bienenstockluft "gesund zu atmen", kam im deutschsprachigen Raum in den 1980ern auf. Nach der Jahrtausendwende entwickelte ein erzgebirgischer Hobbyimker eine Apparatur, mit der er das Mikroklima seiner Bienenstöcke absaugen und den menschlichen Atemwegen zuführen konnte. 2016 öffnete die erste Therapiestation mit dem "Beecura"-System in Thermalbad Wiesenbad.

Dresdner Forscher analysieren Stockluft

Dieses System nutzt auch Antje Jäger-Hundt in Kreischa. Behandelt werden vor allem Heuschnupfengeplagte, Asthmatiker und Menschen mit der lungenzerstörenden COPD. Eine Sitzung dauert dreißig Minuten, wobei der angezapfte Bienenstock in der Halbzeit gewechselt wird. Sechs Sitzungen sind das Minimum für eine Behandlung, bei schwereren Leiden werden zwölf empfohlen.

Wie genau Bienenstockluft auf kranke Atemwege wirkt, ist noch nicht systematisch untersucht. 2017 konnten Wissenschaftler der TU Dresden immerhin die Inhaltsstoffe des Mikroklimas von Bienenstöcken identifizieren. Der Untersuchung zufolge handelt es sich vor allen um Bestandteile von Wachs und von Propolis, einer Art Klebstoff der Bienen, der auch Bakterien und Pilze bekämpft.

Doktor Biene in Aktion. Auch nach über 1.700 Behandlungen sind keine Unverträglichkeiten aufgetreten, sagen die Betreiber der Therapie-Station.
Doktor Biene in Aktion. Auch nach über 1.700 Behandlungen sind keine Unverträglichkeiten aufgetreten, sagen die Betreiber der Therapie-Station. © Norbert Millauer

Dieses "Bienenantibiotikum" hält Doktor Jäger-Hundt für den entscheidenden Faktor. Es beruhigt die entzündeten Schleimhäute, sagt sie, lässt sie abschwellen, und somit gingen auch die lästigen Symptome zurück. Ihr Mann Dirk erzählt, dass er beim Arbeiten mit den Bienen, quasi nebenbei, seinen Heuschnupfen auskuriert hat, den er seit Kindertagen mit sich herumschleppte. "Ich habe keine Beschwerden mehr."

Nach Bienen-Behandlung Asthma-Spray abgesetzt

Binnen drei Jahren hat die Therapiestation etwa 1.700 Behandlungen durchgeführt. Das Interesse nimmt zu. Dieses Jahr, so die Schätzung, könnte man sich auf 2.500 steigern. Behandelt würden Menschen jeden Alters, sagt Antje Jäger-Hundt. Der jüngste Patient bisher war knapp drei, der älteste 93. An guten Tagen kommen bis zu zwanzig Leute, um den Dunst der Bienen zu inhalieren.

Regina Werner, 60, Erzieherin aus Dresden, ist heute auch dabei. Auch sie quält der Heuschnupfen seit ihrer Jugend. Dazu haben sich Asthma und immer mehr Allergien gesellt. Die Nebenwirkungen der Medikamente nervten sie. Als sie im Radio von einem Mann hörte, der nach einer Bienenstockbehandlung seine Medizin entsorgt hatte, stand für sie fest, das auszuprobieren.

Blick in die Wohnung der "Therapeuten": Unter jedem Absaugtrichter arbeiten vierzig- bis fünfzigtausend Honigbienen.
Blick in die Wohnung der "Therapeuten": Unter jedem Absaugtrichter arbeiten vierzig- bis fünfzigtausend Honigbienen. © Norbert Millauer

Das Experiment hat ihr gutgetan. "Wenn ich hier rausgehe, ist es leicht auf der Brust", sagt sie. "Ich kann richtig frei atmen." Das Cortison-Spray, das bei ihr permanente Heiserkeit erzeugte, hat sie bereits abgesetzt. Jetzt kommt sie zweimal wöchentlich zur Therapie-Station und will das vorläufig auch weiter tun. "Ich hoffe, dass ich den Spaß dann mal los bin."

"Ich kann keine Wunder erwarten"

Bescheidener sind die Hoffnungen von Albrecht Wünsche. Der 76-jährige Dresdner ist seit elf Jahren wegen COPD in Behandlung. Die Krankheit zerstört unumkehrbar seine Lunge. Bei Anstrengung geht ihm die Luft aus. Die Bienentherapie heute ist seine sechste. "Ich kann keine Wunder erwarten", sagt er. Doch positive Effekte spürt auch er. Weniger Schleimbildung, weniger Husterei. Und seine Frau sagt, dass er ausgeglichener ist, wenn er von den Bienen kommt.

Die Menschen, die an diesem Nachmittag hier sind, vertrauen den Bienen. Und sie investieren erhebliche Summen. Die Basisbehandlung mit sechs Sitzungen kostet 380 Euro, die Intensiv-Variante mit 24 Terminen 1.250 Euro. Zahlen müssen das die Patienten selbst. Gesetzliche Krankenkassen kommen dafür nicht auf.

Auch Therapie-Bienen machen vor allem eins: Honig. In der Kreischaer Station kann man die Ernte kaufen.
Auch Therapie-Bienen machen vor allem eins: Honig. In der Kreischaer Station kann man die Ernte kaufen. © Norbert Millauer

Was die ganzheitliche Medizin betrifft - als solche gilt auch die Bienenstocktherapie - so spricht Hannelore Strobel, Sprecherin der AOK Plus in Dresden, von einem weiten Feld. Wie für viele andere, so gelte auch für die Bienenstockmethode, dass sie "unter Umständen" hilfreich sein könne, was aber noch zu beweisen sei. "Bisher liegen nur Erfahrungsberichte einzelner Patienten vor, aber keine wissenschaftliche Studie, die eine Wirkung der Bienenstocktherapie bestätigt."

Auch Christian Grah von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin sieht sich ganz aufseiten der Wissenschaft. Man solle den Patienten eine Medizin empfehlen, sagt der Arzt, die einen "möglichst gesicherten Status" besitze. "Wir haben sehr gut etablierte Medikamente, die in den allermeisten Fällen sehr gut wirksam sind."

Grah, der in einem Berliner Krankenhaus die Pneumologie leitet, weiß aber auch, dass die Schulmedizin nicht jedem in erhoffter Weise helfen kann. Er verdammt alternative Methoden keineswegs, mahnt aber bei ihrer Anwendung eine systematische Untersuchung an. "Wer weiß, ob wir in zwanzig Jahren Asthma nur noch mit Bienenluft behandeln", sagt er, "weil sie etwas Geniales hat, das heute noch keiner versteht."