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Neue Medikamente werden immer teurer

Patentgeschützte Medikamente sind Preistreiber, zeigt ein AOK-Report. Zudem bekommen Ältere oft ungeeignete Präparate.

Von Stephanie Wesely
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Stetig steigende Arzneimittelkosten belasten zunehmend die Krankenkassen.
Stetig steigende Arzneimittelkosten belasten zunehmend die Krankenkassen. © dpa

Berlin. Die gesetzlichen Krankenkassen haben im letzten Jahr mehr als 50 Milliarden Euro für Arzneimittel ausgegeben. Das sind fast neun Prozent mehr als 2020, wie aus dem Arzneimittelkompass der AOK hervorgeht, der am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde.

Ein Medikament für 68.000 Euro

„Zu den Preistreibern gehören die patentgeschützten Arzneimittel, für die Hersteller die Preise selbst festlegen dürfen“, sagt Helmut Schröder, Vizechef des Wissenschaftlichen Institutes der AOK. Mehr als jeder zweite Euro sei in diesen Bereich geflossen. Doch nur 6,5 Prozent der verordneten Tagesdosen entfielen auf patentgeschützte Medikamente. Schröder: „Damit wird sehr viel Geld für wenige Medikamente aufgebracht, von denen letztlich auch nur wenige Menschen profitieren.“ Zu den teuersten Arzneimitteln gehört das Stoffwechselmedikament Oxlumo für knapp 68.000 Euro pro Packung und das Krebsmedikament Elzonris für 24.600 Euro.

Dass Pharmahersteller ab nächstes Jahr nicht mehr zwölf, sondern nur noch sechs Monate lang die Preise selbst festlegen können, reiche nicht aus, erklärte AOK-Versorgungschefin Sabine Richard. „Hersteller können immer noch ein halbes Jahr lang hohe Gewinne für die von ihnen festgelegten Preise einfahren, unabhängig davon, ob das neue Arzneimittel einen Mehrwert für die Patienten hat. Zudem sei ihr zufolge zu befürchten, dass die ab dem zweiten Halbjahr anfallenden Gewinneinbußen bereits eingepreist werden und die Hersteller mit noch höheren Wunschpreisen in den Markt eintreten.

Mehrwertsteuer bleibt hoch

Unberücksichtigt geblieben sei auch die Forderung, die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel von 19 auf sieben Prozent zu senken, wie es bereits für Tierarzneimittel gilt. Der Arzneimittel-Kompass zeigt auch, dass neue Arzneimittel nicht per se innovativ sind. Bei 61,5 Prozent der bewerteten Patientengruppen habe sich kein Zusatznutzen gegenüber der Vergleichstherapie gezeigt. 2021 gaben die Gesetzlichen Krankenkassen damit 3,8 Milliarden Euro für neue Arzneimittel ohne jeglichen Zusatznutzen aus.

Der Arzneimittel-Kompass zeigt auch, dass neue Arzneimittel nicht per se innovativ sind. Bei 61,5 Prozent der bewerteten Patientengruppen habe sich kein Zusatznutzen gegenüber der Vergleichstherapie gezeigt. 2021 gaben die Gesetzlichen Krankenkassen damit 3,8 Milliarden Euro für neue Arzneimittel ohne jeglichen Zusatznutzen aus.

Diese Entwicklung ist auch bei den Medikamenten zur Behandlung Seltener Erkrankungen festzustellen. 13 Prozent aller Ausgaben entfallen auf diese Medikamente, verordnet würden sie für weniger als ein Prozent der Versicherten. „Deshalb ist die Zeit reif, die Ausnahmeregelungen für diese Medikamente endlich abzuschaffen“, fordert Richard.

Ältere bekommen oft risikoreiche Mittel

Die Qualität der Arzneimittelversorgung beleuchtet der Arzneimittelkompass auch am Beispiel älterer Patienten. Viele von ihnen nehmen wegen verschiedener Erkrankungen und Beschwerden mehrere Arzneimittel täglich ein. „Ab fünf verschiedenen Medikamenten pro Tag steigen die Risiken für Neben- und Wechselwirkungen“, sagt Petra Thürmann, Professorin an der Universität Witten/Herdecke. Sie ist Mitautorin des AOK Arzneimittelkompass.

Medikamente gegen Nebenwirkung der Medikamente

Immer mehr Medikamente müssten deshalb gegen die Nebenwirkungen der vorherigen Medikamente verordnet werden. Meist seien daran mehrere Facharztgruppen beteiligt, die oft nicht wüssten, was von den anderen verschrieben wurde. So bekamen über 65-Jährige im Jahr 2021 im Schnitt 4,4 unterschiedliche Medikamente am Tag.

Damit steige auch die Gefahr, ein für ältere Menschen ungeeignetes Medikament zu erhalten, so Thürmann. Solche Arzneimittel, deren Risiken höher seien als der therapeutische Nutzen, würden in der sogenannten Priscus-Liste erfasst. Sie wurde 2010 erstmals erstellt, die aktualisierte Fassung steht jetzt zur Verfügung. Die Liste erleichtert Ärzten die medikamentöse Therapie ihrer älteren Patienten.

Liste zeigt Alternativen

Doch zu wenige Ärzte nutzen die Liste. Zu diesem Schluss kommt die Professorin, weil noch immer jeder zweite über 65-Jährige Medikamente aus dieser Liste verordnet bekommt. „Die Ärzte handeln dabei aber durchaus leitliniengerecht“, erklärt Thürmann. Denn Leitlinien würden immer für einzelne Erkrankungen erstellt, Nebenwirkungen mit anderen Medikamenten thematisierten sie nicht. Zudem basierten die zugrundeliegenden Studien auf Ergebnissen junger Probanden ohne Mehrfacherkrankung. Deshalb dürften Leitlinien nicht allein die Arzneimittelwahl bestimmen.

Für den AOK Arzneimittelkompass listeten die Kassenärztlichen Vereinigungen der Bundesländer die Anteile ihrer Ü-65-Patienten auf, die Medikamente aus der Priscus-Liste bekamen. Sachsen hat dabei mit 47 Prozent die beste Bilanz, Mecklenburg-Vorpommern mit 55 Prozent die schlechteste. Dennoch sei die Zahl zu hoch.

Magenmittel führt Liste an

Einige Priscus-Medikamente führen sogar die Hitliste der Verordnungen bei älteren Patienten an. Dazu gehören Mittel gegen Sodbrennen wie Protonenpumpenhemmer, von denen 2021 1,7 Millionen Tagesdosen verordnet wurden. Besonders risikoreich für Ältere sind auch bestimmte Schmerz- und Entzündungshemmer, Bluthochdruckmittel und Psychopharmaka. Sie könnten zu Seh- und Gleichgewichtsstörungen, Müdigkeit und Gedächtnisstörungen führen, die oft eine höhere Sturzgefahr und Sterblichkeit zur Folge haben. Die Liste zeigt risikoärmere Alternativen auf. „Davon muss stärker Gebrauch gemacht werden“, sagt Petra Thürmann, zumal die Alternativen auch nicht mehr kosteten. Helfen könnte hier die elektronische Patientenakte.