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Gesundheitsberufe in der Krise

Immer mehr Beschäftigte wollen nicht mehr in der Pflege arbeiten. Das liegt nicht nur an Corona. Eine bundesweite Befragung zeigt einen gefährlichen Trend.

Von Annett Kschieschan
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Immer auf dem Sprung - und manchmal auf dem Absprung aus dem Beruf: Die Pflege hat ein akutes Personalproblem. Eine bundesweite Studie zeigt teilweise alarmierende Zahlen.
Immer auf dem Sprung - und manchmal auf dem Absprung aus dem Beruf: Die Pflege hat ein akutes Personalproblem. Eine bundesweite Studie zeigt teilweise alarmierende Zahlen. © AdobeStock

Die Zahl wirkt: 40 Prozent der Beschäftigten im Pflegebereich würden ihren Beruf jungen Leuten nicht weiterempfehlen. Das ist ein Ergebnis einer bundesweiten Befragung der HDI Versicherungen durch das Meinungsforschungsinstitut YouGov. In keiner anderen Berufsgruppe ist der Wert so hoch. Wer nun an die Härtesituation der Coronakrise denkt, liegt richtig und hat dennoch nur die halbe Wahrheit im Blick. Die Pandemie hat die Probleme im Gesundheitswesen verschärft, ihre Wurzeln liegen aber viel tiefer. So nennt jeder zweite Befragte Zeitdruck als größte berufliche Belastung - ebenfalls ein Rekordwert, der sich nicht allein durch Corona erklären lässt.

Dazu kommt: In keinem anderen Beruf wird die Unvereinbarkeit mit dem Privatleben als so belastend empfunden wie im Gesundheitswesen. „Die Ergebnisse unserer Befragung sind alarmierend für unser Gesundheitssystem. Wenn die Attraktivität der medizinischen Berufe weiter so in den Keller rauscht, sind langfristige Folgen für das deutsche Gesundheitssystem unausweichlich“, so Christopher Lohmann, Vorstandsvorsitzender HDI Deutschland, bei einem Pressegespräch zur Vorstellung der Befragungsergebnisse.

Alarmierende Zahlen

Denn auch weitere Punkte geben Anlass zur Sorge. So gehen 53 Prozent der Beschäftigten im medizinischen Bereich davon aus, nicht bis zum regulären Renteneintrittsalter zu arbeiten. Auch das ist nach Angaben des HDI die höchste Quote unter allen Berufsgruppen. Fast jeder Dritte fühlt sich durch körperlich harte Arbeit stark belastet. Ein Problem, das in Sachsen ebenso akut ist wie in Hessen oder Schleswig-Holstein. Regionale Unterschiede gibt es dennoch, wie Professor Edgar Schömig, Vorstandsvorsitzender und Ärztlicher Direktor der Uniklinik Köln, bei dem Pressegespräch bestätigte. Das Uniklinikum gehört zu den größten deutschen Maximalversorgern. Dennoch sei die Zufriedenheit der Beschäftigten trotz aller Belastung tendenziell höher als in der HDI-Studie.

Der Ärztliche Direktor führt das darauf zurück, dass man frühzeitig auf die Probleme in der Pflege reagiert habe, etwa mit zahlreichen flexiblen Arbeitszeitmodellen und einer äußerst verlässlichen Dienstplanung. Das und die eigene Kita auf dem Klinikgelände helfen zumindest, Arbeit und Familienleben besser in Einklang zu bringen. Ein eigener Lehrcampus soll die Pflegeberufe auch perspektivisch für junge Leute attraktiv machen. Denn klar sei: Man brauche den Nachwuchs, und der müsse wieder stolz darauf sein können, einen so wichtigen und erfüllenden Beruf zu lernen, so der Mediziner.

Geld löst das Problem nur kurzfristig

Viele, auch das ist ein Ergebnis der Befragung, spüren diesen Stolz durchaus noch. Mehr als zwei Drittel stimmten der Aussage „Ich arbeite, da ich meine Tätigkeit als sinnstiftend für die Gesellschaft erachte“ zu. Umso wichtiger sei es, die Rahmenbedingungen für die Pflege zu verbessern. „Die aktuelle Pandemie stellt die Menschen in den medizinischen Gesundheitsberufen vor enorme Herausforderungen. Als Versicherer können wir ihre finanziellen Risiken absichern. Für ein gesundes Arbeitsumfeld braucht es politischen Willen“, betonte Christian Kussmann, im Vorstand der HDI Versicherungen verantwortlich für den Versicherungsschutz der Heilwesen-Berufe. Eine Aussage, der auch Edgar Schömig zustimmt. Dabei löse mehr Geld das Grundsatzproblem maximal kurzfristig. Wertschätzung, berufliche Entwicklungsmöglichkeiten bei einer positiven Work-Life-Balance und ein gutes Arbeitsklima seien unabdingbar, wenn es darum geht, die Pflegeberufe wieder attraktiver zu machen. Sonst droht der weitere „Pflexit“, wie der Ausstieg vieler Beschäftigter aus den Gesundheitsberufen inzwischen nicht ganz zu Unrecht genannt wird.

Die Ergebnisse der Untersuchung beruhen auf einer Sonderauswertung der HDI Berufe-Studie 2021, bei der im Sommer gemeinsam mit dem Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov Deutschland insgesamt 3.716 Erwerbstätige ab 15 Jahren befragt wurden. Darunter befanden sich rund 300 Beschäftigte (Angestellte und Selbstständige) aus dem medizinischen Gesundheitsbereich.