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Altenpfleger halten im Schnitt zwölf Jahre durch

Die Barmer schlägt Alarm: Weil viele Pflege-Mitarbeiter in Sachsen überlastet sind, gibt es deutlich mehr Kranke und Frührentner.

Von Kornelia Noack
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In Sachsen kamen 2017 nach Angaben der Barmer auf 100 Pflegeheimbewohner 24 Pflegefachkräfte und zwölf Pflegehilfskräfte.
In Sachsen kamen 2017 nach Angaben der Barmer auf 100 Pflegeheimbewohner 24 Pflegefachkräfte und zwölf Pflegehilfskräfte. © Ronald Bonß

Dienstpläne, die nicht verlässlich eingehalten werden können; zu wenig Personal; immer mehr Überstunden und regelmäßig Arbeit an eigentlich freien Tagen: Die Arbeitssituation in den sächsischen Pflegeeinrichtungen greift die Gesundheit der Beschäftigten massiv an. Zu diesem Ergebnis kommt die Krankenkasse Barmer in ihrem aktuellen Pflegereport für Sachsen, der am Donnerstag vorgestellt wurde.

Die Gründe dafür seien vor allem krankheitsbedingte Personalausfälle und ein überdurchschnittlich hoher Anteil an Teilzeitkräften. „Kann die Arbeit aufgrund von unzureichender Personalausstattung nicht geschafft werden, kommt es zu einer erhöhten Beanspruchung der Pflegekräfte bis hin zur Überlastung. Das wiederum führt zu vermehrten Fehlzeiten oder sogar zum Berufsaustritt“, sagt Fabian Magerl, Geschäftsführer der Barmer in Sachsen. Diesen Teufelskreis gelte es zu durchbrechen. Denn am Ende würden diejenigen darunter leiden, die auf eine gute Pflege angewiesen sind.

In Sachsen kamen 2017 nach Angaben der Barmer auf 100 Pflegeheimbewohner 24 Pflegefachkräfte und zwölf Pflegehilfskräfte. Der Bundesdurchschnitt lag bei 27 beziehungsweise 17. Aktuellere Zahlen liegen der Barmer nicht vor. Nur 21,6 Prozent der rund 18.200 Pflegekräfte in stationären Einrichtungen waren in Vollzeit angestellt – bundesweit die geringste Quote. Im Durchschnitt waren es 28,9 Prozent.

Rückenschmerzen und Depressionen

Doch warum ist das so? Ein wesentlicher Grund ist laut Magerl die Doppelbelastung, die Vereinbarkeit von Familie und Schichtdienst. Fast 80 Prozent der Pflegekräfte in Sachsen sind Frauen, davon sind mehr als 30 Prozent über 55 Jahre alt. „Viele pflegen im Beruf und sind aufgrund ihrer Kompetenz auch in der Familie gefragt, die Pflege von Angehörigen zu übernehmen“, bestätigt Michael Junge, Vorsitzender des Sächsischen Pflegerates.

Viele Beschäftigte würden ihre Arbeitszeit aber auch wegen der hohen Belastung verringern, um mehr Erholungszeiten zu haben. „Und dann gibt es natürlich noch die Kollegen, die sich in einer Phase des Lebens befinden, in der sie gern mehr Zeit mit Kindern oder Familie verbringen wollen“, sagt Junge.

Häufig müssen Teilzeitbeschäftigte einspringen, wenn ihre Kollegen wegen Krankheit ausfallen. Und das passiert bei Pflegekräften im Verhältnis zu anderen Berufsgruppen überdurchschnittlich oft – auch schon vor der Corona-Pandemie. Besonders häufig kommt es zu Erkrankungen des Muskelskelettsystems, insbesondere des Rückens, zu Belastungsstörungen und Depressionen. Pfleger arbeiten häufiger im Stehen und müssen schwerer tragen und heben. Zusätzlich stehen sie auch stärker unter Termin- und Leistungsdruck. Damit haben sie häufiger das Gefühl, bis an die Grenzen der Leistungsfähigkeit gehen zu müssen, heißt es im Report.

Extrem kraftraubend

Das schlägt sich in den Zahlen nieder: So fehlten Pfleger in sächsischen Altenheimen im Jahr 2017 durchschnittlich 30 Arbeitstage, im restlichen Bundesgebiet waren es 28. Zum Vergleich: Im Baugewerbe lag die Anzahl der Fehltage in Sachsen bei 22 und im Architekturwesen bei 14. Dem Pflegereport zufolge waren zudem in den Jahren 2016 bis 2018 sachsenweit 8,8 Prozent aller Hilfskräfte und 6,9 Prozent der Fachkräfte in der Altenpflege krankgeschrieben.

In anderen Berufen lag der Krankenstand im Schnitt bei 5,5 Prozent. Pflegekräfte mussten außerdem häufiger und länger im Krankenhaus behandelt werden als andere Erwerbstätige. „Der Pflegeberuf ist so kraftraubend, dass überproportional viele Beschäftigte nicht bis zur Rente durchhielten“, sagt Magerl. Weitere Untersuchungen hätten ergeben, dass eine Pflegekraft nur etwa zwölf Jahre in der Altenpflege arbeitet. Der Anteil an Pflegekräften mit einer Erwerbsminderungsrente sei sogar bis zu doppelt so hoch wie in sonstigen Berufen. Hochgerechnet würden mehr als 1.200 Pflegekräfte in Sachsen durch Krankheit und Frühverrentung verloren gehen.

Was kann man dagegen tun? Erforderlich seien nicht nur bessere Arbeitsbedingungen und eine angemessene Bezahlung, sondern vor allem planbare und familienfreundliche Arbeitszeiten, heißt es im Pflegereport. Zudem müssten die Arbeitgeber stärker auf Vorsorge setzen. „Präventionsangebote für die Beschäftigten müssen in den Einrichtungen zum Standard werden“, sagt Magerl. Da es sehr schwierig sei, Fachpersonal zu akquirieren, sei es umso wichtiger, für die Gesundheit der Beschäftigten zu sorgen. Mit gezielten Trainings gegen Rückenprobleme oder psychischen Stress könne einiges erreicht werden.

Kassen unterstützen Prävention

Bereits Ende 2019 startete der Sächsische Behinderten- und Rehabilitationssportverband gemeinsam mit der Barmer und der IKK classic ein Projekt zur Prävention in stationären Pflegeeinrichtungen. Gefördert werden sollen die körperliche Aktivität, die kognitiven Ressourcen sowie die psychosoziale Gesundheit der älteren und hochbetagten Menschen in den Einrichtungen. Drei Pflegeheime in Leipzig, Hoyerswerda und Schönheide beteiligen sich. „Wir arbeiten in den jeweiligen Regionen mit unseren Mitgliedsvereinen zusammen. Außerdem qualifizieren wir ausgewähltes Pflegepersonal zur eigenverantwortlichen Durchführung von bewegungsfördernden Aktivitäten“, sagt Jana Wolsch, Koordinatorin des Projektes.

Das Programm richtet sich aber auch an das Pflegepersonal selbst. „Wir möchten die Bedürfnisse der Beschäftigten in den einzelnen Einrichtungen analysieren und im besten Fall helfen, Prozesse oder Strukturen gesundheitsfördernder anzupassen“, sagt Wolsch. Das Projekt wird wissenschaftlich von der TU Chemnitz begleitet. Durch die Corona-Pandemie verzögert sich jedoch derzeit die Umsetzung. „Unser Ziel ist es, dass die Beschäftigten in Pflegeeinrichtungen ihren Beruf bei guter Gesundheit bis zum Ausstieg aus dem Berufsleben ausüben können“, sagt Magerl.

Eine gezielte Gesundheitsförderung für Pflegekräfte und mehr Arbeitsschutz fordert auch Michael Junge. „Beides sollte dort ansetzen, wo Belastungen am meisten zu spüren seien. Neben dem Muskelskelettsystem ist das vor allem das Stressempfinden“, sagt der Chef des Sächsischen Pflegerats. Er plädiere dafür, den Beschäftigten mehr Spielraum für Entscheidungen zu lassen. „Pflegende leisten extrem viel, aber die Möglichkeit, eigenständig Entscheidungen treffen zu können, ist immer noch eingeschränkt. Mit höherer Eigenständigkeit ändert sich auch das Belastungsempfinden“, sagt Junge. Auf diese Weise könnten Pflegende die Abläufe entzerren und würden ihren Beruf nicht mehr als Arbeit nach der Stoppuhr empfinden. Allerdings würden solche Maßnahmen auf Dauer nur etwas bewirken, wenn sich die Personalstärke einer Pflegeeinrichtung am Bedarf der Bewohner orientiere.