Sind Roboter wirklich bald die besseren Pfleger?

Matratzen, die das Schlafverhalten messen und Systeme, die die Stimmung von Menschen erkennen: In der Pflege gibt es immer mehr digitale Helfer. Das hat nicht nur Vorteile, sagt Professor Giovanni Rubeis von der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften in Krems (Österreich) im SZ-Gespräch. Er hat die Auswirkungen auf den Pflege-Alltag untersucht.
Herr Professor Rubeis, wie weit ist die Digitalisierung in der Pflege schon vorangeschritten?
Es gibt sehr ausgeklügelte Technologien wie Smart-Matratzen oder -Betten. Sie können das Schlaf- und Bewegungsverhalten eines Patienten messen, um Rückschlüsse auf dessen Gesundheitszustand zu ziehen. Auch ein Sturz aus dem Bett wird registriert. Von Bedeutung sind zudem Bodensensoren, die das Gangbild einer Person messen. Das System erstellt einen Standard, wie sich die Person normalerweise bewegt. Kommt es zu einer Abweichung, kann das ein Anzeichen für einen bevorstehenden Sturz sein, und die Pflegeperson wird benachrichtigt. Stürze sind bei Älteren die häufigste Quelle von Verletzungen.
Welche technischen Neuerungen gibt es für den Pflegealltag daheim?
Zum Beispiel Smart-Sensoren, die in der Regel in der häuslichen Umgebung installiert werden. Sie messen Dinge wie Gas-, Wasser- und Stromverbrauch. Wenn es dabei regelmäßig zu Abweichungen kommt, also wenn zum Beispiel stundenlang der Herd läuft, kann das darauf hindeuten, dass etwas mit der zu pflegenden Person nicht stimmt. Und dann gibt es noch spezielle Tracking-Technologien für Menschen mit Demenz – Chip im Schuh genannt.
Was sind Chips im Schuh?
Es werden Sensoren im Schuh oder in der Socke eines Demenz-Patienten angebracht, die helfen, den Standort der Person auszumachen. Bekanntermaßen laufen Menschen mit Demenz öfter mal aus Pflegeheimen oder aus der Wohnung weg. Mit den GPS-Daten können sie schnell wieder aufgefunden werden. Automatisch gesteuertes Licht hilft Dementen außerdem, ihren Tag zu strukturieren.
Zu welchem Ergebnis sind Sie in Ihrer Studie zu Folgen der Digitalisierung im Pflegebereich gekommen?
Intelligente Systeme führen zu einer Entmenschlichung der Pflege. Sie können zwar ein wesentliches Werkzeug zur Unterstützung von Pflegefachkräften sein, die Pflege effizienter machen und Pflegeangebote und -leistungen verbessern. Entscheidend dafür ist aber, dass die Entwickler der Anwendungen vorab deren Ziele und Zwecke genau definieren. Problematisch ist, dass viele der Meinung sind, mit digitalen Anwendungen könnte man ein primär sozialökonomisches Problem lösen.

Warum ist diese Annahme falsch?
Gesellschaftspolitische Probleme lösen können und müssen nur wir Menschen. Wir stehen aktuell vor zwei großen Herausforderungen. Zum einen ist das der demografische Wandel. Die Menschen werden immer älter und sie werden häufiger pflegebedürftig. Zum anderen ist da der Fachkräftemangel. Zu glauben, diese Probleme löse ich, indem ich einfach mehr Technologien einsetze, ist die falsche Strategie. Das primär politische Problem auf eine vermeintlich schnelle Art lösen zu wollen, führt dazu, dass Menschen nicht die Pflegeleistungen erhalten, auf die sie einen Anspruch haben.
Was schlagen Sie vor, um der Entmenschlichung entgegenzuwirken?
Der richtige Weg wäre, mehr Arbeitsplätze in der Pflege zu schaffen. Und um das zu bewerkstelligen, muss man die Leute besser ausbilden, sie besser bezahlen und besser behandeln. Nur so lässt sich der Pflegefachkräftemangel ausgleichen. Es ist falsch zu glauben, allein der Technikeinsatz löst all unsere Probleme.
Welche Chancen sehen Sie dennoch, die die zunehmende Digitalisierung bietet?
Die richtigen Technologien für den richtigen Zweck eingesetzt, führen in jedem Fall zu einer besseren Versorgung von Patienten und zu einer Entlastung der Pflegekräfte. Die größte Chance sehe ich darin, alle Tätigkeiten, für die menschliche Arbeitskraft verschwendet ist, an Maschinen zu delegieren. Repetitive oder mechanische Arbeiten wie das Sortieren von Medikamenten. Oder administrative Dinge, zeitaufreibende Verwaltungsaufgaben, die Datenverarbeitung, den Datenfluss zwischen Einrichtung und behandelnden Ärzten gestalten. Das können Maschinen alles viel besser und effizienter und sind dabei noch genauer und schneller. Pflegekräfte würden mehr Zeit für ihre tatsächliche Pflegetätigkeit gewinnen.
Und wo sehen Sie die Risiken?
Das Miteinander wird sich nie durch Maschinen ersetzen lassen. Manchen Technologien wird daher ein Nutzen unterstellt, den es gar nicht gibt. Sie werden entwickelt, ohne darüber nachzudenken, ob es das ist, was pflegebedürftige Menschen tatsächlich brauchen. In meinen Augen ist es zum Beispiel völlig irrational, sogenannte soziale Roboter einzusetzen. Also Roboter, die mit Pflegebedürftigen agieren, mit ihnen rudimentäre Gespräche führen, ihnen ihre Lieblingslieder vorspielen oder mit ihnen Karten spielen. Das ist alles ganz nett, aber es braucht niemand. Das können Menschen viel besser. Mir ist bewusst, dass die Roboter ein gewisses Medienecho hervorrufen, aber bei der Versorgung spielen sie bislang nur eine geringe Rolle.

Wächst durch digitale Prozesse die Gefahr, die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen falsch einzuschätzen?
Grundsätzlich neigen wir Menschen dazu, bei automatisierten Prozessen anzunehmen, dass im Zweifelsfall eher wir uns täuschen als der Computer. Das birgt das Risiko, dass wir Prozesse nicht mehr hinterfragen oder kontrollieren. Werden die Technologien intelligenter, ist Vorsicht geboten. Problematisch wird es zudem, wenn die Datenerhebung so ausgeweitet wird, dass eine Pflegekraft kaum noch mit dem Pflegebedürftigen zu tun hat, sondern sich auf die Datenauswertung verlässt und dem Menschen nur noch als Datenpaket begegnet. Denn natürlich sind Menschen mehr als die Summe ihrer Gesundheitsdaten.