Soll ich wegen Corona meine Patientenverfügung anpassen?

Die Bilder von künstlich beatmeten Patienten auf Corona-Intensivstationen haben bei vielen Menschen Angst und Zweifel ausgelöst. Denn in ihrer vor der Pandemie verfassten Patientenverfügung hatten sie lebenserhaltende Maßnahmen für den Fall ausgeschlossen, dass sie an einer unheilbaren Krankheit leiden und den eigenen Willen nicht mehr äußern können. Was sie nun tun sollten, erklärt Dr. Ralph Kipke, Facharzt für Anästhesiologie und Notarzt, im Gespräch mit der SZ.
Herr Dr. Kipke, muss ein Corona-Patient künftig fürchten, im Krankenhaus benachteiligt zu werden, wenn er in seiner Patientenverfügung eine künstliche Beatmung abgelehnt hat?
In der Patientenverfügung muss genau beschrieben werden, in welchem konkreten Fall, welche Therapiemöglichkeiten abgelehnt werden. Dabei ist unerheblich, welche Erkrankung zu dieser Notsituation geführt hat. Bei einer Corona-Erkrankung werden Patienten mit Lungenversagen in ein künstliches Koma versetzt und beatmet, um die Heilung herbeizuführen.
Eine Beatmung grundsätzlich auszuschließen, halten Sie also für falsch?
Pauschal lässt sich das nicht beantworten. Intensivmedizinische Maßnahmen erhöhen zum Beispiel bei jüngeren Menschen, etwa nach einem Unfall, die Überlebenschancen. Ich kenne viele Patienten, die beatmet wurden und hinterher eine sehr hohe Lebensqualität hatten. Bei älteren Menschen mit chronischen oder multiplen Erkrankungen kann der Wunsch, auf eine Beatmung oder lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten, sinnvoll sein. Am Ende muss es jeder für sich entscheiden.
Wann entscheiden sich Mediziner für eine maschinelle Beatmung?
Wenn sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen Behandlungserfolg bringt. Bezüglich Covid-19 muss eine Patientenverfügung also daher die Frage beantworten: Sind die Ergebnisse, die mit einer Beatmung erreicht werden können, aus Sicht des Patienten Behandlungserfolge?
Was raten Sie daher?
Wichtig ist, die Patientenverfügung möglichst konkret zu formulieren. Oft sind die Dokumente zu allgemein, das ist für uns Ärzte wenig hilfreich. Sinnvoll ist es, über die eigenen Wertvorstellungen im Zusammenhang mit Krankheit, Leiden und Tod nachzudenken und das seinen Angehörigen und behandelnden Ärzten mitzuteilen.
Viele haben in ihrer Verfügung ergänzt: "Möchte nicht beatmet werden, außer bei Covid-19". Was halten Sie davon?
Nicht viel. Grundsätzlich ist für uns Ärzte unerheblich, welche Erkrankung die Beatmung notwendig macht, wenn sie zur Heilung beiträgt. Aus meiner Sicht gibt es auch keinen plausiblen Grund dafür, eine Intensivbehandlung in allen anderen Fällen abzulehnen, bei Covid-19 jedoch nicht.
Und wie sieht es aus mit: "Ich möchte beatmet werden, außer bei Covid-19"?
Das macht ebenso keinen Sinn. Wenn ein Patient in einer Akutsituation beatmungspflichtig wird, kann ein Arzt nicht innerhalb von Sekunden sicher feststellen, ob der Zustand Folge einer Corona-Erkrankung ist oder der Patient gerade einen Herz-Kreislauf-Stillstand erleidet. Viele Patienten überleben einen Herzstillstand ohne Spätfolgen, eben weil sofort mit Wiederbelebungsmaßnahmen begonnen wird. Etwas anderes ist es, wenn jemand mit Corona auf der Intensivstation liegt und sich sein Zustand stetig verschlechtert.
Ist es aus Ihrer Sicht überhaupt nötig, die Patientenverfügung anzupassen?
Nein. Ich finde es deutlich sinnvoller, sich grundsätzlich Gedanken über das Ende des Lebens zu machen. Was wünsche ich mir? Was möchte ich und was nicht? Das sollte konkret formuliert sein. Auch junge Patienten können in eine Notsituation kommen, in der Angehörige verunsichert sind. Daher ist es wichtig, zu reden und festzuhalten, was in bestimmten Fällen zu tun ist oder nicht mehr gemacht werden soll. Wichtig ist, es geht um den Patientenwillen und nicht etwa um den des Partners.
Ist eine Patientenverfügung seit der Pandemie noch wichtiger geworden?
Sie war schon immer sehr wichtig. Wir haben während der Corona-Wellen beobachtet, dass die meisten Patienten, die gestorben sind, hochbetagt waren. Je älter man ist und je mehr Vorerkrankungen man hat, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, im Krankenhaus behandelt zu werden. Und umso wichtiger ist es, eine wirksame Patientenverfügung zu besitzen. Während der Pandemie kam es vor, dass Patienten in eine Klinik kamen und Maßnahmen ergriffen wurden, die rückblickend vielleicht nicht immer sinnvoll waren.
Was meinen Sie damit?
Die Überlebensraten bei einer Corona-Behandlung mit der Ecmo, also Herz-Lungen-Maschine, waren in Deutschland nachweislich geringer als in anderen Ländern. Es konnte weniger Menschen das Leben gerettet werden als erwartet. Verschiedene Ursachen werden diskutiert. Vielleicht wurde in kleinen Kliniken, die keine Ecmo-Geräte haben, zu lange mit einer Verlegung gewartet. Möglicherweise wurden Patienten behandelt, die aufgrund ihrer Vorerkrankungen oder des Alters ohnehin eine geringe Überlebenswahrscheinlichkeit hatten.
Deckt eine Patientenverfügung eigentlich Erkrankungen ab, die bislang unbekannt sind – so wie Covid-19?
Ja, das Dokument gilt immer allgemein für Zustände und nicht für Krankheiten. Bezüglich des Geltungsrahmens heißt es dann zum Beispiel "wenn ich mich im Endstadium einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Krankheit befinde". Das schließt auch eine Corona-Erkrankung ein.
Neuer Notfallbogen hilft Sachsens Senioren
- Um unnötige oder nicht gewünschte Therapien beziehungsweise Krankenhauseinweisungen zu vermeiden, hat die Sächsische Landesärztekammer den sogenannten Notfallbogen entwickelt. Gedacht ist das einseitige Formular für pflegebedürftige und kranke ältere Menschen. Auch Bewohner von Pflegeeinrichtungen können ihn nutzen. "Der Notfallbogen bietet Ärzten eine wichtige Entscheidungshilfe, wenn keine Zeit bleibt, sich durch eine Patientenakte zu lesen oder eine Patientenverfügung zu suchen", sagt Dr. Ralph Kipke. Im Unterschied zur Patientenverfügung kann im Notfallbogen auch der Bevollmächtigte den mutmaßlichen Willen des Patienten festhalten.
- In einem Stufenschema kann man sich entscheiden zwischen drei Therapiezielen (Lebensverlängerung, Lebensverlängerung mit folgenden Maßnahmen, Linderung) sowie passend sechs Behandlungsformen mit unterschiedlicher Intensität (Wiederbelebung, Beatmung Tubus, Beatmung Maske, Intensivstation, Krankenhaus, Linderung). Idealerweise sollte der Notfallbogen gemeinsam mit dem behandelnden Arzt ausgefüllt werden.
- Weitere Informationen und der Notfallbogen zum Download: www.sz-link.de/Notfallbogen