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Wochenbettdepression statt Mutterglück: Dresdner Psychologin erklärt, was hilft

Jede zehnte Mutter leidet unter einer Wochenbettdepression. Ein Onlineprogramm der TU Dresden greift schon vor Ausbruch der Krankheit ein.

Von Susanne Plecher
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Viele Mütter fühlen sich kurz nach der Entbindung überfordert, traurig, ungenügend. Das geht meist schnell vorbei.
Viele Mütter fühlen sich kurz nach der Entbindung überfordert, traurig, ungenügend. Das geht meist schnell vorbei. © 123rf

Endlich ist das Baby da! Doch kaum eine Mutter findet sich nach der Geburt in der rosa Glückswolke wieder, in der sie sich vorher vermutet hätte. Der Körper schmerzt, das Schlafdefizit ist riesig, mit dem Stillen will es auch nicht gleich klappen, und das Kind schreit und schreit.

Die meisten Frauen rutschen nach der Entbindung in die Heultage. Das ist völlig normal, sagt Juliane Schmidt-Hantke, solange aus dem Babyblues keine Wochenbettdepression wird. Die Diplompsychologin arbeitet an der Professur für Klinische Psychologie und E-Mental-Health der TU Dresden.

Sie hat gemeinsam mit der Masterandin Pia Mohring das Online-Programm PandaMom Plus entwickelt, das Schwangeren und frisch gewordenen Müttern durch schwere Stunden am Anfang hilft.

In diesem Artikel:

Frau Schmidt-Hantke, wie geht es Frauen, die den Babyblues haben?

Sie sind niedergeschlagen, weinen vermeintlich grundlos, fühlen sich angegriffen, reagieren schnell auf Kritik, fühlen sich überfordert, erschöpft und ängstlich. Manche berichten von Schlaf- oder Konzentrationsschwierigkeiten.

Der Babyblues tritt am dritten bis fünften Tag nach der Entbindung bei 50 bis 80 Prozent aller Frauen auf. Er wird ausgelöst durch die Herausforderungen rund um die Geburt und den rapiden Hormonabfall danach.

Der Begriff steht für starke Stimmungsschwankungen, eine Achterbahn der Gefühle, die bei manchen Frauen nur wenige Stunden anhält. Bei manchen kann sie sich aber über einige Tage hinziehen.

Vergeht der Babyblues von allein?

Ja, in der Regel ist er nach maximal zwei Wochen vorbei. Aber für die Frauen und die Angehörigen ist es ganz wichtig, zu wissen, dass es ihn gibt. So kann man feinfühliger reagieren.

Inwieweit unterscheidet sich die Wochenbettdepression vom Babyblues?

Sie hat eine gesteigerte Symptomatik. Frauen sind niedergeschlagen, antriebslos, berichten Interesselosigkeit, Konzentrations- und Schlafschwierigkeiten. Sie sind erschöpft, ziehen sich zurück. Viele haben das Gefühl, nicht auszureichen, keine gute Mutter zu sein, es nicht zu schaffen, nicht alles perfekt zu machen.

Manche haben sogar das Gefühl, ihr Kind nicht zu lieben. Die Wochenbettdepression kann auch mit Selbstmordgedanken einhergehen. Sie dauert länger als zwei Wochen, kann im gesamten ersten Jahr nach der Entbindung auftreten und trifft zehn bis 15 Prozent der Frauen. Aber die Dunkelziffer ist vermutlich sehr hoch.

Warum?

Weil viele Frauen Scham- oder Schuldgefühle haben und sich nicht trauen, anderen davon zu erzählen oder Hilfe aufzusuchen. Die Meinung, dass ein Kind am Anfang anstrengend ist, dass die Zeit zwar hart ist, aber eine Mutter die Herausforderungen einfach schaffen muss, weil man es früher ja auch geschafft hat, ist gesellschaftlich weit verbreitet.

Wenn jemand seine Bedürfnisse erkennt, seine Grenzen wahrnimmt und sagt, dass er nicht mehr kann und Unterstützung benötigt – was ja eine Stärke ist–, wird das oft abgewertet.

Aber die Frauen sind keine schlechten Mütter, und sie tragen auch keine Schuld.

Gibt es Frauen, die ein höheres Risiko für eine Wochenbettdepression haben?

Ja, das sind Frauen, die früher schon einmal eine Depression oder eine Angststörung hatten. Eine Rolle spielt auch eine genetische Veranlagung zur Depression.

Auch in der Kindheit erlernte Denk- und Handlungsmuster können Risikofaktoren sein, oder wenn jemand zum Beispiel perfektionistisch ist, mit Stress schlecht umgehen kann oder enorm hohe Anforderungen an sich selbst hat.

Gefährdet sind auch Frauen, die in der Regel alles alleine stemmen und kaum Unterstützung haben, egal ob vom Partner oder vom sozialen Umfeld.

Schafft man es aus der Wochenbettdepression selbst heraus?

Je nachdem, wie ausgeprägt die Symptomatik ist, kann das gelingen, wenn man zum Beispiel ein gutes soziales Netzwerk hat, das einen unterstützt. Wenn die Depression aber ausgeprägt ist und sich die Spirale immer weiter abwärts bewegt, braucht man professionelle Unterstützung.

Die kann bei manchen Frauen auch medikamentös erfolgen. Die Medikamente können zwar in die Muttermilch übergehen, müssen dem Kind aber nicht schaden. Das Für und Wider muss hierbei abgewogen werden.

Eine Psychotherapie kann darauf aufbauen und der Frau Werkszeuge an die Hand geben, mit dem sie es aus der Depression schaffen kann.

Sie haben mit PandaMom Plus ein Programm entwickelt, das schon vorher ansetzt. Wie funktioniert es?

Ja, es setzt in der 30. Schwangerschaftswoche an, weil festgestellt wurde, dass viele Frauen schon vor der Geburt eine Belastung aufweisen. Ziel ist, das psychische Wohlbefinden von Schwangeren und jungen Müttern mit einem erhöhten Risiko für die Wochenbettdepression zu fördern.

Dafür wird das Selbsthilfeprogramm PandaMom-Plus in einer randomisierten kontrollierten Studie mit dem Entspannungsprogramm „ME – Meine Entspannung“ verglichen. Beides hilft Betroffenen weiter.

Juliane Schmidt-Hantke ist Diplompsychologin und hat in Jena und Dresden studiert. Seit 2015 arbeitet sie an der Professur für Klinische Psychologie und E-Mental Health an der Technischen Universität Dresden. Sie forschte dort zunächst zur Frage, wie Ange
Juliane Schmidt-Hantke ist Diplompsychologin und hat in Jena und Dresden studiert. Seit 2015 arbeitet sie an der Professur für Klinische Psychologie und E-Mental Health an der Technischen Universität Dresden. Sie forschte dort zunächst zur Frage, wie Ange © privat

Beides findet nur online statt?

Ja. Dadurch hat die Frau keinen zusätzlichen Termin, der sie vor allem nach der Geburt stresst, in einer Zeit, in der sie sich erst einmal selber finden und einen Rhythmus mit ihrem Baby entwickeln muss.

Wenn sie zum Beispiel lange stillt, kann sie das Programm nebenbei absolvieren. Sie kann es jederzeit abbrechen und zu einem späteren Zeitpunkt wieder starten.

Das Programm besteht aus einem Modul mit acht Kapiteln für die Zeit der Schwangerschaft und einem Wochenbettmodul aus vier weiteren Kapiteln. Idealerweise bearbeitet die Frau eins pro Woche.

Was beinhalten die zum Beispiel?

Es geht um psychische Erkrankungen während der Schwangerschaft und im Wochenbett, um Gedanken, Gefühle und das Verhalten dazu, um Selbstfürsorge, die Mutter-Kind-Bindung, Fragen zur Partnerschaft und sozialer Unterstützung.

Es sind Fragen, Übungen und ein Symptomtagebuch enthalten. Das hilft der Frau dabei, Klarheit darüber zu gewinnen, wie es ihr geht.

Wenn es ihr nicht gut geht, lernt sie zu hinterfragen, welches Bedürfnis nicht erfüllt ist, was ihr dabei hilft, es zu erfüllen, und was sie dafür selber tun kann. Wir leiten an, sind unterstützend da, aber die Frau muss selber aktiv werden.

Die Teilnehmerinnen können am Ende jeder Sitzung anklicken, ob sie eine Rückmeldung von mir wünschen. In einem Freitextfeld können sie eingeben, welches Anliegen sie noch haben, wo wir unterstützen können.

Was kann schlimmstenfalls passieren, wenn eine Wochenbettdepression nicht behandelt wird?

Zum Einen besteht die Gefahr, dass die Depression chronifiziert. Zum Anderen kann die Familie, die Partnerschaft, das ganze soziale Gefüge beeinträchtigt werden.

Auch für den Partner ist die Wochenbettdepression der Frau eine Belastung. Wir sehen, dass auch die Väter erkranken können.

Auch Väter können eine Wochenbettdepression bekommen?

Herausforderungen, die mit dem Baby kommen, sind auch bis zu zehn Prozent der Väter davon betroffen. Auch sie müssen ihre Wunschvorstellungen mit der Realität abgleichen, können niedergeschlagen, erschöpft und antriebslos sein, sich unzureichend fühlen, unter Ängsten und Sorgen leiden.

Welche Auswirkungen kann die Erkrankung auf die Mutter-Kind-Bindung haben?

Wenn die Mutter deutlich passiver reagiert, weniger positive Emotionen hat, beeinträchtigt das das Kind. Feinfühligkeit ist die Grundstütze einer sicheren Bindung. Sind Mutter oder Vater feinfühlig, dann erkennen sie die Bedürfnisse des Kindes und reagieren prompt und adäquat darauf.

Werden diese Bedürfnisse nicht erfüllt, macht das etwas mit dem Kind. Seine Selbstregulation von Emotion kann beeinträchtigt werden, es kann später Schwierigkeiten im sozial-emotionalen Bereich und Verzögerungen der kognitiven Entwicklung haben.

Außerdem begibt man sich in einen Teufelskreis: Das Kind schreit mehr, die Mutter ist gestresster oder hat noch mehr das Gefühl, etwas falsch zu machen.

Inwieweit hat die Pandemie sich auf die Wochenbettdepression ausgewirkt?

Durch Corona ist das zum Teil noch schlimmer geworden. Es gab wenig oder gar keine direkten Angebote. Geburtsvorbereitungskurse, wenn es sie überhaupt gab, haben zum Teil nur virtuell stattgefunden.

Da hat viel Austausch gefehlt. Die Angst vor einer Infektion, das unklare Impfthema, die Frage, unter welchen Umständen das Kind entbunden werden kann – das alles waren zusätzliche Unsicherheiten und angstauslösende Faktoren. Einige Studien berichten länder- und versorgungsabhängig tatsächlich von höheren Erkrankungszahlen.

Wie erfahren die Frauen von Ihrem Programm?

In Deutschland gibt es für die peripartale psychische Erkrankung leider kein Routine-Screening. Entweder das Umfeld, die Hebamme oder der Frauenarzt bemerken, dass die Frau Anzeichen einer Depression hat. Sie können sie dann auf das Programm hinweisen.

Auf der Website der TU Dresden finden Frauen Informationen zum Programm und können einen Screening-Fragebogen ausfüllen, um herauszufinden, ob sie schon Symptome wie Niedergeschlagenheit oder Ängste haben. Danach erhalten sie von uns einen kostenlos Zugang.