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Geyers Rücktritt

Der Streit unter Dynamos Ehrenspielführern ist entschieden: Der 74-Jährige gibt den Titel nach Stasi-Vorwürfen zurück.

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© Robert Michael

Von Sven Geisler

Die Nachricht kommt überraschend. Eduard Geyer verzichtet darauf, Ehrenspielführer bei Dynamo Dresden zu sein. In einer Erklärung, die der Verein am Montagnachmittag verbreitet hat, teilt er knapp mit, dass er diesen Titel zurückgibt. Auf die Gründe für seine Entscheidung geht er nicht weiter ein, sie sind ohnehin bekannt, nicht erst, seit der Streit um seine Ehrung im Sommer öffentlich wurde. Ende Mai hatten Hans-Jürgen Kreische, Klaus Sammer und Dieter Riedel gefordert, Geyer abzusetzen. Andernfalls wollten sie keine Ehrenspielführer mehr sein.

Der Vorwurf: Geyer habe in einem – ihnen bislang unbekannten Ausmaß – mit der Stasi zusammengearbeitet und sie mit seinen Berichten an den DDR-Geheimdienst gefährdet. Deshalb sei es für sie unerträglich, dass sein Bild in einer Reihe mit ihren im Stadion hängt. Das ehemalige Präsidium unter Andreas Ritter hatte den Ernst dieser Auseinandersetzung offenbar unterschätzt und in einer ersten Stellungnahme die drei Antragsteller kritisiert.

Riedel habe die Ernennung von Geyer im November 2014 in seiner Funktion als Leiter der Traditionsmannschaft begrüßt, hieß es in der Mitteilung vom 1. Juni. Es seien ausschließlich sportliche Kriterien herangezogen worden, die gegen Geyer erhobenen Vorwürfe hätten keine Rolle gespielt, weil er die Betroffenen persönlich um Entschuldigung gebeten und eine umfassende öffentliche Aufarbeitung bereits stattgefunden habe. Tatsächlich war seine inoffizielle Mitarbeit für die Stasi seit 1992 bekannt. Damals hatte er im Nachrichtenmagazin Spiegel eingeräumt, manchmal „etwas leichtfertig“ erzählt zu haben. „Die Gespräche mit den Stasi-Offizieren gingen selten in die Tiefe, da hat man schon mal sehr flüchtig geurteilt“, sagte er: „Deshalb kann ich mich von Schuld nicht freisprechen. Im Nachhinein ist es beschämend.“

Nachdem Geyer als Trainer mit Energie Cottbus in die Bundesliga aufgestiegen war, erschien im August 2000 ein Bericht in der Bild am Sonntag. Die SZ konfrontierte Geyer direkt bei einem Pokalspiel in Hamm mit den Vorwürfen und berichtete ausführlich. Nach Aktenlage hat er regelmäßig und zum Teil ausführlich über Mitspieler berichtet. In dem im März 2001 erschienenen Buch „Mielke, Macht und Meisterschaft“ von Ingolf Pleil sind sowohl Geyers handschriftliche Verpflichtungserklärung als auch der mit seiner Unterschrift quittierte Empfang von 500 Mark der DDR sowie 100 D-Mark vom 10. November 1986 abgedruckt. Geyer hat bisher bestritten, Geld erhalten zu haben.

Riedel betont jedoch, die brisanten Unterlagen erst vor gut einem Jahr bekommen zu haben. „Ich bin bisher davon ausgegangen, er sei ein Mitläufer gewesen und habe nur belangloses Zeug berichtet“, sagte er im Interview mit der SZ. „Wenn man jetzt weiß, dass er mehr als 20 Spieler bespitzelt hat, war er ein Hochkaräter.“

Seine Kritiker sprechen ihm zudem die sportliche Qualifikation ab. Er habe „null Berechtigung, Ehrenspielführer zu sein“, erklärte Kreische. Geyer gehörte zwar zu den Double-Gewinnern 1971 und zur Meistermannschaft 1973, sein Name bleibt aber auch verbunden mit dem knappen Ausscheiden gegen die Bayern im Europapokal. Nach dem 3:4 in München ließ Geyer im Rückspiel in Dresden seinen Gegenspieler Uli Hoeneß zweimal entwischen, Dynamo drehte nach dem 0:2 zwar das Spiel, kassierte aber noch den Ausgleich zum 3:3.

Beim Europapokalspiel in Amsterdam 1971 hatte sich Geyer für die Stasi angreifbar gemacht. Nach dem 0:2 hatte er mit Torwart Peter Meyer, Frank Ganzera und Riedel bei einem Ajax-Spieler gefeiert, war zu spät und angetrunken ins Hotel gekommen. Unmittelbar danach habe man ihm gedroht, ihn aus dem Verein und vom Sportstudium an der DHfK in Leipzig auszuschließen, erklärte Geyer später. Mit seiner Verpflichtungserklärung unterschrieb er den Satz: „Ich sehe in dieser Zusammenarbeit eine Möglichkeit, mein fehlerhaftes Verhalten wieder gutzumachen.“

Die Stasi-Akte ist widersprüchlich, lässt Geyer einerseits als besonders eifrig erscheinen, andererseits wird er vom Führungsoffizier als unzuverlässig bezeichnet. Der Ehrenrat unter dem inzwischen zurückgetretenen Rechtsanwalt Klemens Rasel hatte im Sommer einen Kompromiss ausgehandelt. Es sollte eine Kommission zur Aufarbeitung der Stasi-Verstrickungen des Vereins gebildet werden. Kreische, Sammer und Riedel drängten jedoch auf eine Entscheidung im „Fall Geyer“, die ursprünglich bis 19. Oktober fallen sollte.

Vor sechs Wochen trat Dynamos Präsidium wegen eines anderen vereinsinternen Machtkampfes zurück. Holger Scholze, der zunächst bis zur Neuwahl am 19. Dezember als Präsident amtiert, hat den Ehrenspielführer-Streit sofort angepackt und mit den Beteiligten gesprochen. Das erste Ergebnis war ein zeitlicher Aufschub, um eine Lösung zu finden – die nun Geyer mit seinem Verzicht anbietet. Es sei eine Entscheidung zum Wohle des Vereins, erklärt der 74-Jährige. Befindlichkeiten Einzelner hätten vor dem zurückzustehen.

Scholze hat angekündigt, eine Abstimmung der Mitgliederversammlung am 17. November anzustreben, um alle Ehrenspielführer legitimieren zu lassen. Das sind außerdem Hans-Jürgen Dörner, die verstorbenen Wolfgang Oeser und Reinhard Häfner sowie mit Hartmut Schade und Ulf Kirsten zwei weitere verdienstvolle Spieler, die als Stasi-IM geführt worden sind.