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Gibt es eine Lösung für „Marx’ Fabrik“?

Das Gebäude soll am 1. März bei einer Auktion versteigert werden. Auch bei der Stadt macht man sich Gedanken.

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© Matthias Weber

Von Anja Beutler

Zerbrochene Fenster, ein eingestürztes Dach: Marx’ Fabrik, gleich hinter Berthelsdorfs Ortseingangsschild, ist ein mächtiger Komplex, aber nur noch ein Abglanz seiner einstigen Pracht. Joseph Jung schaut immer wieder mal hier vorbei. Der 74-jährige Berthelsdorfer hat einen Großteil seines Lebens mit und in dieser Fabrik verbracht, die zuletzt zum VEB Frottana gehörte und vom Bademantel über Handtücher bis zum Waschhandschuh alles herstellte. „Ich war als Schlosser für die Maschinen zuständig, habe mit meiner Familie auch in einer Wohnung auf dem Betriebsgelände gelebt“, erinnert sich der Mann, dessen Eltern und Frau ebenfalls für die Fabrik gearbeitet haben. Von 1960 bis Anfang der 90er Jahre hat er selbst hier gearbeitet. Dass dieses Gebäude heute so trostlos aussieht, bedrückt ihn schon: „So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben, da muss etwas geschehen“, sagt er.

Geschehen könnte jetzt in der Tat etwas. Denn der englische Eigentümer hat die Immobilie überraschend zur Auktion gegeben. Die Sächsische Grundstücksauktionen AG wird Marx’ Fabrik samt Gelände am 1. März bei der Versteigerung anbieten. 1 000 Euro sind das Mindestgebot für Fabrik, Wohn- und Bürogebäude auf einem rund 13 000 Quadratmeter großen Grundstück. Der niedrige Preis, erschließt sich schnell beim Lesen der Katalogbeschreibung: Von undichten Dächern, Deckendurchbrüchen, Nässeschäden, Schädlingsbefall und einem insgesamt abrisswürdigen Zustand ist da die Rede. Für Katja Müller-Pflugbeil vom Vorstand der Sächsischen Grundstücksauktionen AG sind solche großen Industriegebäude und Grundstücke inzwischen die Ausnahme geworden. „So etwas haben wir nicht mehr oft “, sagt sie. In Dresden oder Leipzig gingen solche Immobilien generell immer gut weg. Für Berthelsdorf wagt sie lieber keine Prognose.

Ob Marx’ Fabrik in einigen Tagen ersteigert wird, das wüsste auch Herrnhuts Bürgermeister Willem Riecke (Herrnhuter Liste) nur zu gern. Vor allem auch mit Blick auf das, was danach kommt. Denn mit dem bisherigen englischen Eigentümer war nicht so einfach zu kommunizieren. „Wir haben mit dem Kreis erwirkt, dass er seinen Sicherungspflichten nachkommt“, konstatiert Riecke. Auf Anfragen zur Zukunft des Gebäudes – gerade auch mit Blick auf einen möglichen Abriss – sei der Besitzer nicht eingegangen. Und gerade das hätte die Stadt interessiert.

Interesse an einer Lösung für das Problem dieser Industriebrache hatte schon die Gemeinde Berthelsdorf selbst. Frustriertend war für die damalige Bürgermeisterin Janet Jähne, dass die Briten, die den Komplex 2008 für 2 000 Euro ersteigert hatten, alles Verwertbare aus dem Gebäude herausbrachten. Stehen blieb die bröckelige Hülle. Eine echte Idee für das Objekt war und ist bislang nicht in Sicht.

Deshalb stellt sich für Herrnhut nun auch die Frage, ob die Stadt hier nun die einmalige Chance hätte, selbst tätig zu werden, das Grundstück zu kaufen und mit Fördergeldern zur Brachflächensanierung die derzeit bröselnden Reste der Textilgeschichte zu beseitigen. Aber abgesehen davon, dass der Stadtrat erst am 3. März tagt und die Auktion schon am 1. März stattfindet, hat der Bürgermeister Bedenken: „Ich sehe das kritisch, auch wenn wir durch den Abriss von Pauls Fabrik für die Stadt ein gutes Ergebnis erzielt haben“, sagt er. Was ihn stört, ist der Gedanke, dass die Stadt einspringen und mit Steuergeldern die Ruine abreißen soll, nur weil ein Privatbesitzer bislang nicht viel damit anzufangen wusste – außer die Gebäude auszuschlachten. „Es steht die Frage, ob es in Herrnhut dazu einen politischen Willen gibt“, sagt Riecke. Dass er dennoch für alle Fälle gerüstet sein will, zeigt sich daran, dass er seine Verwaltung gebeten hat, einmal durchzurechnen, was ein solcher Abriss kosten würde. „Es ist ja mit den 1 000 Euro und der hinzukommenden Courtage nach der Auktion nicht getan“, sagt er.

Bauamtsleiterin Ute Hähnel geht fest von einer sechsstelligen Summe aus, die dafür nötig wäre. Fände sich ein Förderprogramm, das beim Finanzieren hilft, blieben bestenfalls immer noch zehn Prozent der Summe bei der Stadt. Zu klären wären zudem mögliche Altlasten auf dem Grundstück und auch die Frage nach dem Denkmalschutz, die sich in dem Fall ebenfalls stellen würde. Sollte die Fabrik am 1. März nicht ersteigert werden, hätte Herrnhut dann in der Nachkaufsfrist noch immer die Chance, zuzugreifen – aber eben nicht blindlings.

Joseph Jung könnte es jedenfalls verschmerzen, wenn die Fabrik abgerissen würde. Teile davon hatte ohnehin schon der Vorbesitzer der englischen Immobilienfirma abbrechen lassen – darunter die Näherei und ein Stück Heizhaus. „Das kann doch heutzutage keiner mehr bewirtschaften“, schätzt Jung ein. Da käme jeder Investor mit einer guten Idee besser, wenn er etwas Neues baue. An einen Neustart für die alte Fabrik glaubt er nicht mehr.