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Glashütte: Wie der Prager Frühling Urlaubspläne durchkreuzte

Der Sommerurlaub 1968 war für Monika und Frieder Rudolph mehr als ungewöhnlich. Und das lag nicht am Wetter.

Von Maik Brückner
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Monika und Frieder Rudolph mit einem Fotoalbum in der Hand. Beide haben 1968 eine Reise nach Ungarn unternommen und mussten wegen des Prager Frühlings eine lange Rückfahrt nach Hause mit dem Zug erdulden.
Monika und Frieder Rudolph mit einem Fotoalbum in der Hand. Beide haben 1968 eine Reise nach Ungarn unternommen und mussten wegen des Prager Frühlings eine lange Rückfahrt nach Hause mit dem Zug erdulden. © Daniel Schäfer

Diesen Urlaub werden Monika und Frieder Rudolph ihr Leben nie vergessen - obwohl dieser schon zu lange zurückliegt. Doch jedes Jahr im August denken die beiden Dittersdorfer an jenen Sommerurlaub, der länger als geplant dauerte.

Zu "verdanken" hatten sie das den tschechischen Reformkommunisten, die einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" etablieren wollten, was aber den Machthabern in der damaligen Sowjetunion nicht passte. Die Reformbewegung, der "Prager Frühling", wurde blutig niedergeschlagen.

Frieder Rudolph kann sich nun gut an jene Tage erinnern. Im Juli 1968 unternahm er mit seiner Frau auf dem Motorrad einen Kurztrip nach Prag. Anzeichen, auf das, was wenig später folgen sollte, gab es keine, erinnert er sich.

Dieses Foto zeigt das Paar am 23. August 1968 in Budapest. Eigentlich sollte es an diesem Tag per Flugzeug zurück in die DDR gehen.
Dieses Foto zeigt das Paar am 23. August 1968 in Budapest. Eigentlich sollte es an diesem Tag per Flugzeug zurück in die DDR gehen. © privat

Wenig später hatten die beiden Dittersdorfer das Glück, eine Reise nach Ungarn machen zu können. Frieder Rudolph arbeitete damals als Werkzeugmacher in den Glashütter Uhrenbetrieben (GUB), seine Frau war dort als Bürofachfrau tätig. "Es war eine ganz normale Urlaubsreise, keine Auszeichnungsfahrt", erinnert er sich.

Organisiert wurde diese Reise von der GUB. Die gut 20-köpfige Reisegruppe startete am 9. August vom Flughafen Berlin-Schönefeld. Die ersten vier Tage konnten die "jungen Werktätigen" die Hauptstadt erkunden, dann ging es zur Entspannung an den Balaton.

Höhenfeuerwerk auf dem Gellertberg

Der letzte Tag, es war der 22. August, sollte in Budapest verbracht werden. "Dann kam das Ende der schönen Reise", erinnert er sich. Am Abend durften sie ein tolles Höhenfeuerwerk auf dem Gellertberg erleben, das dort aus Anlass des ungarischen Nationalfeiertags entzündet wurde. Am nächsten Tag war der Rückflug nach Berlin-Schönefeld geplant. Doch es kam anders.

Nichts tat sich. Die Dittersdorfer wurden nicht zum Flughafen gebracht. Keiner konnte ihnen erklären, warum die Reisepläne geändert wurden. Erst am Mittag bekamen sie eine Ahnung. Im Radio hörten sie vom Einmarsch der Roten Armee in Prag.

Ratlosigkeit machte sich breit. Wie soll es jetzt weitergehen? Wie kommen wir nach Hause, fragten sich die Dittersdorfer. "Wann werden wir unsere dreijährige Tochter Sylvia und die Oma wiedersehen?" Diese Fragen konnte ihnen die Reiseleitung nicht beantworten.

An ihre Tage in Debrecen haben die Rudolphs ganz spezielle Erinnerungen.
An ihre Tage in Debrecen haben die Rudolphs ganz spezielle Erinnerungen. ©  privat

Dann die Wendung: „Am Nachmittag wurden wir in den Zug gesetzt und nach Debrecen gefahren.“ Dort wurden die Dittersdorfer in einem schönen Ferienheim untergebracht, zu dem die Glashütter Uhrenbetriebe gute Beziehungen pflegten. Die Dittersdorfer logierten dort bei voller Verpflegung. Richtig entspannen konnten die Dittersdorfer nicht. Denn immer nicht war klar, wie es weitergehen soll. "Immer wieder wurde von Krieg gesprochen", erinnert sich Frieder Rudolph, der damals 24 Jahre alt war.

Nach drei Tagen dann hieß es, es geht zurück nach Hause, aber nicht mit dem Flugzeug. Das Paar wurde ohne Fahrkarte in einen Zug gesetzt, der sie in die DDR bringen sollte. Allerdings nicht auf dem kürzesten Weg über Prag. Der Zug fuhr über die Karpaten in die Sowjetunion ins ukrainische Lemberg (Lwiw). Dort mussten sie den Zug wechseln. In einem ungewöhnlichen Personenzug ging die Fahrt weiter über die sowjetische Grenze nach Polen – quer durchs Land über Kattowitz und Breslau und mit vielen Stopps an kleinen und großen Bahnhöfen bis nach Görlitz.

Dort hieß es warten. Erst nach zehn Stunden Aufenthalt ging die Fahrt nach Dresden weiter. „Am 28. August kamen wir frühmorgens am Hauptbahnhof an. Dort standen auf dem Nachbargleis mit Panzern beladene Güterzüge. „Jetzt sahen wir zum ersten Mal etwas von dem beinahe begonnenen Krieg.“

Von Dresden fuhren sie bis Heidenau und von dort nach Glashütte. Zu Fuß kehren sie von dort nach Dittersdorf heim. Für das junge Paar ging eine Odyssee zu Ende. „Es war uns die ganzen Tage nicht möglich, unsere Familie in Dittersdorf zu informieren. Man kann sich Sorgen unserer Oma vorstellen“, sagt Frieder Rudolph. Und auch die beiden Urlauber waren erleichtert, ihre Tochter wiederzusehen.

Die Glashütter Uhrenbetriebe zeigten sich großzügig. Für den nicht geplanten Zusatzurlaub in Debrecen mussten die Rudolphs nichts bezahlen. Ausgewertet wurde das Urlaubsende nur privat - nicht in der Betriebszeitung. "Es war eine schlimme Sache, die dort in Prag passiert ist. Das war nicht in Ordnung", sagt der Dittersdorfer.