Wie Görlitz in Zukunft aussehen soll – Studien und Ideen darüber gibt es viele. Auch den Aktionskreis Görlitz interessiert diese Frage – und er lädt am Wochenende zum Zukunftsforum nach Görlitz ein. Zu den einjährigen Vorbereitungen gehörte auch die Partnersuche für den Kongress. Fündig wurde der Aktionskreis bei Robert Knippschild vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung und bei Raj Kollmorgen vom Institut für Transformation, Wohnen und soziale Raumentwicklung der Hochschule Zittau-Görlitz. Diese drei Akteure laden nun die Stadtgesellschaft zur Diskussion: Was braucht Görlitz für die Zukunft? 120 Menschen werden diskutieren. Rainer Müller vom Aktionskreis erklärt, warum das trotz aller Studien wichtig ist. Und welche Zukunftspunkte ihm besonders am Herzen liegen.
Herr Müller, es gibt diverse Zukunftsstudien für Görlitz. Die hat der Aktionskreis nun ausgewertet – und eine Zusammenfassung erstellt. Mit welchem Ziel?
Um dem Kongress Ende der Woche eine Richtung zu geben. Diese Studien, die wir ausgewertet haben, wurden von klugen Köpfen erstellt, sie haben aber kaum oder keine Wirkung bisher gezeigt. Wir wollen am Wochenende ein offenes Diskussionsforum darüber eröffnen, was in der Zivilgesellschaft für die Görlitzer Zukunft als wichtig gesehen wird. Dabei können sich auch ganz neue Punkte herauskristallisieren. Aber wir brauchen zunächst Anknüpfungspunkte, sonst endet das ganze in unstrukturiertem Gerede.
Die wichtigsten Trends in den Görlitz-Visionen
Sie sagen, die Studien sind klug erstellte, haben dennoch wenig Wirkung in der Umsetzung. Woran liegt das?
Ihre erste Frage in diesem Gespräch wurde uns mehrfach gestellt, als wir vor einem Jahr mit der Idee zu dem Zukunftsforum aufkamen: „Wozu das Ganze. Es läuft doch in Görlitz?“ Das stimmt auch, in den vergangenen 20 Jahren hat sich Görlitz fantastisch entwickelt. Es ist also offenbar vieles richtig gemacht worden. Vielleicht ist es deshalb schwieriger, Vorhaben außerhalb der bisherigen Strukturgrundlage umzusetzen. Aber wir wissen, dass Veränderungen zum Beispiel in der wirtschaftlichen Struktur anstehen. Auslöser für unsere Idee zum Zukunftsforum waren die angekündigten Veränderungen bei Siemens und Bombardier, seit vielen Jahrzehnten Schwergewichte in Görlitz. Es ist richtig, um ihren Erhalt zu kämpfen. Aber wir müssen auch offensiver an Überlegungen rangehen, wie Görlitz mit anderen Strukturen zukunftsfest gemacht werden kann.
Warum nehmen Sie an, dass der Zukunftskongress Ende der Woche mehr Wirkung zeigen kann?
Weil er durch die Zivilgesellschaft getragen ist. Jede Verwaltung oder Behörde ist per se träge – das ist kein Görlitzer Phänomen, das ist in jeder Stadt so. Die Stadtgesellschaft dagegen kann freier agieren, Jeder Prozess beginnt damit, dass ein politischer Wille ausgedrückt wird; Aufgabe der Zivilgesellschaft ist es, diese Dinge voranzutreiben. Eine Zivilgesellschaft kann auch lästig werden, wenn es dem guten Zweck dient. Darin sehe ich auch die Aufgabe des Aktionskreises, nicht so leicht nachzugeben. Der Zukunftskongress soll auch keine einmalige Sache sein. Ziel ist es eine Reihe daraus zu etablieren, vielleicht im Turnus von zwei Jahren, um aktuelle Veränderungen wieder mit einzubeziehen.
Was sind für Sie persönlich die wichtigsten Punkte für die Zukunft?
Das Wichtigste ist, dass Görlitz wieder wächst. Für die jetzige Einwohnerschaft ist die Stadt, so wie sie einst geplant und gebaut wurde, überdimensioniert. Arbeitsplätze braucht es dafür, die Attraktivität muss gesteigert und offensiver verkauft werden. Attraktivität hat Görlitz, für mich gehört das vielfältige, große Kulturangebot dazu, auch die Internationalität, die zunehmend zu verspüren ist. Sehr wichtig ist auch, dieses Stigma als – vereinfacht gesprochen – ärmste Stadt Deutschlands loszuwerden. Wir haben ein hohes Durchschnittsalter, eine hohe Arbeitslosigkeit, eine geringe Kaufkraft. Bisher ist es trotzdem ruhig in der Stadt. Aber für mich bergen diese Faktoren eine große soziale Sprengkraft. Diese soziale Seite anzugehen, Menschen, die wirtschaftlich abgehängt wurden, einzubeziehen, zu aktivieren, ist ganz wichtig. Deshalb befürworte ich sehr das neue Soziokulturelle Zentrum, ich hoffe, es kann in diese Richtung mitwirken.
Wer kommt zum Zukunftskongress?
Wir wollen die Stadtgesellschaft in möglichst allen Facetten zusammenbringen. Dazu gehören Vertreter aus der Politik, der Kultur, Kirche, Wirtschaft, Verein, Stadtverwaltung. Wir haben 160 Einladungen verschickt, 120 Teilnehmer haben zugesagt, damit ist die Kapazität auf dem Campus der Hochschule sogar voll ausgeschöpft. Ziel ist es am Ende, der Stadt die Ergebnisse aus den zwei Tagen Diskussion zu übergeben, mit der Bitte um Umsetzung. Wir wollen zumindest Empfehlungen an die Stadt herantragen, welche Punkte die Zivilgesellschaft für die nachhaltige Entwicklung der Stadt als wichtig sieht.
Gespräch: Susanne Sodan