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Görlitz ohne Synagoge

Im Großen Sitzungssaal des Rathauses hängt eine Stadtansicht von 1938. Das jüdische Gotteshaus ist darauf nicht zu sehen.

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© Stadtverwaltung

Von Daniela Pfeiffer

Ein kleiner Hinweis wäre doch das Mindeste. Wenn schon die Stadtverwaltung eine Stadtansicht im Ratssaal hängen hat, auf dem die Synagoge fehlt. Einem Görlitzer Bürger missfällt das. Er weiß, dass das Gemälde ein Auftragswerk der Stadt an den Maler Arno Henschel war – entstanden im Jahr 1938. „Aber dann muss man es dem Betrachter doch erklären“, findet der Görlitzer, der in diesem Zusammenhang lieber auf die Nennung seines Namens verzichten will. Künstlerische Werk aus NS-Zeiten gebe es doch viele, sagt er. Aber die meisten davon würden nicht ohne Hinweise auf die Umstände ihrer Entstehung gezeigt.

Hat Arno Henschel bewusst die Synagoge weggelassen – womöglich dem Nazi-Regime zuliebe? Kai Wenzel vom Kulturhistorischen Museum mag solche Spekulationen nicht. Er kennt sich aus mit Arno Henschel, schließlich verwaltet das Museum den Nachlass des Görlitzer Malers, der von 1897 bis 1945 lebte. „Ich glaube nicht, dass die Synagoge bewusst fehlt“, sagt Kai Wenzel. „Vielleicht ist sie vom Standpunkt des Malers aus gar nicht Teil des Bildes.“ Zudem sei es kein Bild, das offen auf den Nationalsozialismus verweist. Es seien weder Schriftzüge noch Hakenkreuzfahnen zu finden. Warum die Synagoge in der Otto-Müller-Straße fehlt, ist also keine so leicht zu beantwortende Frage. Andere markante Gebäude wie die Peterskirche, Frauenkirche, Reichenbacher Turm oder die Landeskrone hat Henschel gemalt. Andererseits wäre Henschel nicht der erste Maler, der auf einer Görlitzer Stadtansicht etwas Wichtiges weggelassen hat. Auf dem bekannten Kupferstich von 1575 lässt der Künstler Franz Hogenberg gar die Landeskrone weg. Alle anderen stadtbildprägenden Bauten sind auf dem Kupferstich zu sehen und sogar beschriftet.

Auf der Vorlage, nach der das Werk entstand – dem monumentalen zwölfteiligen Holzschnitt Metzker und Scharffenbergs von 1565 – ist der Görlitzer Hausberg noch da. Arno Henschels Werk von 1938 soll ebenfalls auf dem alten Holzschnitt von 1565 basieren. Diese Vorlage kann natürlich keine Synagoge haben, da diese erst 1911 erbaut wurde. „Inwieweit Henschel bei diesem Auftragswerk des damaligen Oberbürgermeisters inhaltlich beeinflusst wurde, wissen wir nicht“, sagt Rathaussprecher Wulf Stibenz auf SZ-Nachfrage. Er räumt ein, dass „diese neuromantische Stadtansicht heute als ein beredtes Zeitzeugnis der damaligen politischen Umstände gelten mag“. Ob Henschel aber aufgrund dieser politischen Umstände auf die Synagoge verzichtet hat, darf angezweifelt werden. Seit 1934 habe die NSDAP-Kreisleitung vergeblich versucht, ihn zum Parteieintritt zu bewegen. Er weigerte sich standhaft. „Eine Berufung zu einer Professur in Breslau 1943 scheiterte dann auch am Veto Goebbels“, so der Ratshaussprecher. Im März 1945 stürzte Henschel bei einem Aufklärungsflug bei Posen ab. Damit endete eine große Künstlerkarriere. Denn Arno Henschel gehörte zu den bekanntesten und bedeutendsten Malern der Oberlausitz, der seine Werke auch auf internationalen Ausstellungen präsentierte.

Wulf Stibenz: „Das Bild ist in der Tat ein Zeitzeugnis der Dreißiger. In unserem ‚Rathausführer‘ haben wir darauf hingewiesen.“ Die Idee einer erklärenden Tafel werde in der Verwaltung noch zu diskutieren sein. „Mit einer Erläuterung stimmt es ja den Betrachter noch nachdenklicher.“