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Kunststreit: Görlitz will am Dienstag Installation abbauen

"Görlitzer Art" zeigt zum zweiten Mal Kunst-Installationen im öffentlichen Raum. Doch um eines der Werke gibt es jetzt Streit, obwohl es erst wenige Tage an der Stadthalle steht.

Von Susanne Sodan
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Seit einigen Tagen steht das Werk "Kulisse" vor der Stadthalle. Die Meinungen, ob es bleiben soll, gehen auseinander.
Seit einigen Tagen steht das Werk "Kulisse" vor der Stadthalle. Die Meinungen, ob es bleiben soll, gehen auseinander. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Eines haben die Kunstwerke der Görlitz Art jetzt bereits geschafft: Debatten auszulösen.

Die Görlitzer Art findet dieses Jahr zum zweiten Mal statt. Aus 18 Ideen von Meisterschülern der Hochschule für Bildende Künste in Dresden wurden neun Installationen von einer Jury ausgewählt und stehen nun an verschiedenen Orten in Görlitz. Mindestens eins aber wohl nicht mehr lange.

Werk inhaltlich stark verändert

Denn die Installation "Kulisse" vor der Stadthalle, nahe der Grenze zu Polen, ist vom Abbau bedroht. Das machte seine Autorin, Lisa Maria Baier, am Wochenende auf ihrer Facebook-Seite bekannt.

Vom Görlitzer Bau- und Kulturbürgermeister Michael Wieler habe sie die Aufforderung erhalten, die Installation zu verändern oder abzubauen. Hintergrund ist offenbar, dass die Künstlerin stark vom Entwurf abgewichen ist. Das realisierte Werk stimme keineswegs mit dem prämierten Entwurf überein, bestätigt Wieler gegenüber der SZ. Eigentlich sollte es bei „Kulisse“ um Görlitz als Filmstadt gehen. Im Vordergrund steht nun das Thema Frauenrechte und Abtreibungsgesetz in Polen.

Banner wie dieses waren im Herbst häufig in polnischen Städten zu sehen, als Frauen gegen das Abtreibungsgesetz Polens, das mitten in der Coronakrise noch mal verschärft wurde, demonstrierten.
Banner wie dieses waren im Herbst häufig in polnischen Städten zu sehen, als Frauen gegen das Abtreibungsgesetz Polens, das mitten in der Coronakrise noch mal verschärft wurde, demonstrierten. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Künstlerin will um Werk kämpfen

Lisa Maria Baier aber verteidigt ihre Arbeit. „Die Elemente des Grundkonstruktes der Installation weichen nicht ab von der Skizze, die die Stadt Görlitz zusammen mit der Hochschule für Bildende Künste prämiert hat“. Statt aber einer Plexiglasscheibe, durch die man in die Kulisse, also einen Teil der Stadt Görlitz, blickt, ist nun ein Banner aufgespannt: „Prava Kobiet“(Frauenrechte) und „aborcja bez granic“ (Abtreibung ohne Grenzen) ist da zu lesen. Solche Banner waren häufig vorigen Herbst auf polnischen Straßen zu sehen, als tausende Frauen gegen das verschärfte Abtreibungsrecht in Polen demonstrierten.

Ein politisches und aktuelles Thema, sagt Lisa Maria Baier. Die Abbildungen seien Bilder aus einer Dokumentation des „Guardian“ über die Proteste der Frauen. Keinesfalls wolle sie ihr Kunstwerk abbauen - sie beruft sich auf die Kunstfreiheit.

Stadt hätte die Debatte gerne früher geführt

Die Stadt sieht sich überrumpelt und obwohl es auch in Zgorzelec Demonstrationen für die Frauenrechte gab, gibt man sich besorgt über die Reaktionen jenseits der Neiße. „Das ist nicht die Art der politischen Kommunikation, die wir als Stadt mit der polnischen Seite pflegen“, sagt Michael Wieler. Das Problem, das er sieht: Die Jury der Görlitzer Art hatte nicht einzelne Künstler ausgewählt und es ihnen überlassen, ein Werk für Görlitz zu schaffen, sondern es wurde ein konkretes Werk ausgewählt. „Ich bin der Meinung, wer etwas ändern will, hat die Verpflichtung, dieses dem Vertragspartner mitzuteilen.“

So aber habe sich die Stadt mit den Änderungen nicht auseinandersetzen und dazu entscheiden können, argumentiert Wieler. „Ich betrachte dies nicht einmal mehr einfach als Geschäft der laufenden Verwaltung, sondern einen herausgehobenen kommunalen Akt, einer Künstlerin unseren Stadtraum für eine derartige Demonstration bewusst zur Verfügung zu stellen“, erklärt er. „Es handelt sich hier eben nicht nur um künstlerische Freiheit, die unbenommen ist, sondern um eine bewusste Positionierung der Stadt.“

Dass der Künsterin der Diskurs wichtig ist, könne er nachvollziehen. Wieler habe Lisa Maria Baier daher angeboten, das Werk wie vereinbart zu verwirklichen, wolle sie aber nicht vertraglich dazu zwingen, "ein Werk zu realisieren, mit dem sie sich – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr identifizieren kann.“ Wenn die Künstlerin die ursprüngliche Fassung nicht herstellen kann, dann will die Stadt allerdings an diesem Dienstag das Kunstwerk abbauen.

Meinungen gehen auseinander

Frau Baier und ihrer Kunst in Görlitz droht nun ein schnelles Ende, auch wenn sie Unterstützung erhält.

Kunst könne sich verändern, sich auch ihrem Ort - der Grenze zu Polen - anpassen, argumentier Künstlerin. Lisa Maria Baier. Die Stadt aber hätte sich dagegen vorab eien Debatte darüber gewünscht.
Kunst könne sich verändern, sich auch ihrem Ort - der Grenze zu Polen - anpassen, argumentier Künstlerin. Lisa Maria Baier. Die Stadt aber hätte sich dagegen vorab eien Debatte darüber gewünscht. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Gegen den Abbau spricht sich etwa Jana Lübeck von der Linkspartei in Görlitz aus, die auch als Vereinsvorsitzende die Galerie "Neun Görlitz" auf dem Fischmarkt mitverantwortet. Auch Mike Altmann, Fraktionsvorsitzender von Motor/Grüne, fürchtet, dass es dem Ruf der Stadt schaden würde, gingen Bilder vom Abbau eines Kunstwerkes in der Europastadt um die Welt.

Aber es gibt auch Kritik - nicht nur aus konservativer Richtung. So schreibt etwa Anja-Christina Carstensen, studierte Künstlerin und Kulturmanagerin: „Es tut mir schrecklich Leid, Frau Baier, aber mit dem Abweichen vom Entwurf durch die Ergänzung durch Banner, Kleiderbügel und vor allem der Fußbügel haben Sie das gesamte Thema verändert.“ Ja, ein Werk könne sich entwickeln. Aber in dieser Konstellation, im Grunde ein Vertragswerk, habe bei solchen Änderungen der Vertragspartner schon Mitspracherecht.