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Wie schwer sich die Görlitzer AfD mit Russlands Krieg tut

Niemand äußerte sich pro-russischer vor dem Krieg als die AfD im Kreis Görlitz. Das ist jetzt ein Problem.

Von Sebastian Beutler & Susanne Sodan
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Sergei Lawrow (li) und Tino Chrupalla bei der Ellenbogen-Begrüßung im Außenministerium in Moskau vor anderthalb Jahren.
Sergei Lawrow (li) und Tino Chrupalla bei der Ellenbogen-Begrüßung im Außenministerium in Moskau vor anderthalb Jahren. © picture alliance/dpa

Was waren das für Bilder: Tino Chrupalla, Fraktionsvorsitzender der Bundes-AfD, und Sergej Lawrow, Außenminister Russlands, bei der Begrüßung. Im Dezember 2020 trafen sich in Moskau Mitglieder der AfD und Mitglieder der russischen Regierung zu einem Arbeitsessen in "herzlicher Atmosphäre", wie es damals hieß. Später nahm Chrupalla noch an einer Konferenz des russischen Außenministeriums teil.

Es sind Bilder wie aus einer vergangenen Welt. Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine sind auch jene Parteien in Deutschland düpiert, die bis dahin besonders enge Verbindungen mit Russland gepflegt hatten. Während die Linkspartei vergleichsweise deutlich und schnell Russlands Putin als Aggressor bezeichnete, tut sich vor allem die AfD mit einer klaren Haltung schwer. Das zeigt sich auch im Görlitzer Kreisverband.

Plötzlich ist von Russland-Reisen nichts mehr zu hören

Tino Chrupalla, Vorsitzender der AfD-Bundestagsfraktion, ohne den noch immer wenig im Kreisverband an der Neiße geht, hatte dabei die Linie vorgegeben: den Krieg verurteilen, aber sich ansonsten neutral verhalten. So kritisierte er den russischen Angriff als "durch nichts gerechtfertigt". Hilfe, gar Waffenlieferungen für die Ukraine, damit sie sich gegen Russland wehren kann, schloss er aber tags darauf schon aus. "Deutschland und Europa haben kein Interesse an diesem Konflikt und sollten sich zur Neutralität bekennen."

Stattdessen, so die AfD, solle die Bundesregierung mit Russland in den Dialog treten. Als würde Bundeskanzler Scholz nicht regelmäßig mit Russlands Präsident Putin telefonieren. Angesichts der in der Vergangenheit doch so herausgestellten engen Kontakte zu Lawrow sind eigene Vermittlungsbemühungen Chrupallas bislang nicht bekannt geworden.

Gespaltene Wählerschaft

Insgesamt ist die Rechte gespalten - und auch die Wählerschaft. Das zeigt eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Allensbach. Demnach hat die Mehrheit der Deutschen kein Verständnis für Russlands Angriff auf die Ukraine. Fast 80 Prozent gaben an, die Lage als bedrohlich oder sehr bedrohlich wahrzunehmen. Auch knapp zwei Drittel der Linken-Anhänger sehen das so. Nur die AfD-Anhänger sind sich uneins. Befürworter und Gegner Putins halten sich etwa die Waage.

Auch der Görlitzer Landtagsabgeordnete Sebastian Wippel, jetzt auch Sprecher des AfD-Regionalverbandes Görlitz, äußerte sich oft und viel zu Russland und musste ebenso mit dem Kriegsbeginn seine Posts aus der Vergangenheit in den sozialen Netzwerken wieder einsammeln. Nachträglich versah er sie teils mit dem Hinweis, sie seien auf dem Kenntnisstand vor dem Krieg verfasst worden. Hellsichtigere hatten aber auch schon da vor einem Angriff Russlands gewarnt.

Zwar verurteilte Wippel den russischen Einfall zunächst mit aller Schärfe. Spätere Beiträge wirken schwammiger. Während er den Angriff Russlands als völkerrechtswidrig bezeichnet, machen die Russen aus seiner Sicht nichts anderes als die Nato: Sowohl sie als auch die Russen würden knallharte Geopolitik betreiben. Da verschwimmt schon wieder, wer in die Ukraine einmarschiert ist.

Die Frage, ob Wippel hinter seinem ersten Statement zum Ukraine-Krieg noch steht, lässt er auf Nachfrage der SZ in dieser Woche offen. Seine Position decke sich mit der AfD, teilt er mit. "Ich halte es für richtig, auch den getöteten Zivilisten der letzten Jahre zu gedenken, zumal sie demselben Konflikt zum Opfer gefallen sind."

Er nimmt dabei Bezug auf seinen Parteikollegen Roberto Kuhnert, der nach einer Schweigeminute im Weißwasseraner Stadtrat sagte, er habe der Zivilbevölkerung von Luhansk und Donezk gedacht, "die in den vergangenen acht Jahren durch die Militärmaschinerie der ukrainischen Regierung und des dazugehörenden faschistischen Asov-Bataillons ihr Leben verloren." Es ist Putins Rechtfertigung für seinen Angriffskrieg: Die Ukraine müsse "entnazifiziert" werden.

AfD sät Zweifel mit

Nach Angaben der Vereinten Nationen starben 2021 im Donbass 19 Zivilpersonen, 2020 waren es 26, im Jahr zuvor 27. Die meisten Toten waren 2014 mit 2.084 zu beklagen, im Jahr, als sich Gebiete um Donezk und Luhansk mit Unterstützung Russlands mit Waffengewalt von der Ukraine abspalteten. Bei den Zahlen 2014 sind aber auch die toten Passagiere des Flugzeugs der Malaysia Airlines, das in den Niederlanden gestartet und mutmaßlich von pro-russischen Milizen abgeschossen wurde. Ohnehin ist nicht zu schlussfolgern, dass für die zivilen Opfer im Donbass lediglich die ukrainische Seite "Schuld" trägt. Und schon jetzt hat der Russland-Krieg in vier Wochen das Leben von mehr Zivilisten gekostet.

Wippel erklärt indes: "Es gibt keine toten ukrainischen Kinder erster und zweiter Klasse." Allerdings hat das auch niemand behauptet. Er verweist auf den Propagandakrieg derzeit. Dabei sät er aber auch Zweifel, indem er beispielsweise die russischen Vorwürfe zitiert, die Ukraine habe mit den USA Biowaffen geheim entwickelt, wilden Spekulationen auf seiner Facebook-Seite Raum gibt. Die Wahrheit lasse sich nur schwer im "dichten Nebel des Krieges" finden, sagt Wippel.

Andere Parteien: Zwischen Unverständnis und Sorge

Bei anderen Parteien stößt es auf Unverständnis, aber nicht unbedingt auf Sorge, wenn sich die AfD mal wieder uneins ist. Putin, sagt Matthias Urban, Sprecher der CDU-Fraktion im Görlitzer Stadtrat, "hat eine Grenze überschritten, von der ich niemals dachte, dass man sie im Europa des 21. Jahrhunderts noch überschreiten könnte." Sicher gelte es aufzuarbeiten, wie es dazu kommen konnte. Klar sei aber, wer die Grenze letztlich überschritt, "und da habe ich keinerlei Verständnis für Diskussionen", so Urban.

Eine klare Haltung ohne Doppelbödigkeit zu Völkerrecht, Menschenrechten und Fragen der Humanität vermisst Joachim Schulze von den Görlitzer Bündnisgrünen sowohl bei der politischen Rechten als auch bei Teilen der traditionellen Linken. "Entweder, weil hier taktiert wird, um die Wähler nicht zu verprellen, oder, weil man dort wirklich so 'tickt'. Vermutlich gilt beides." Schulze ist besorgt: "Das ist nicht allein das Problem jener Akteure, sondern es verweist auf Unsicherheitsfaktoren hinsichtlich der Verteidigung von Grundwerten." Es war daher auch kein Wunder, dass die AfD als einzige Partei auf der Görlitzer Friedensdemo vergangenen Sonntag fehlte.