AfD-Mann verteidigt Sitz in der Stadthallenstiftung

Wie groß war die Freude, als die Stadthallenstiftung 2017 ein so prominentes Mitglied wie den ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) in ihren Reihen begrüßen konnte. Und wie groß war das Bedauern, als Thierse und Tomasz Tomaszewski, der Präsident der Internationalen Beethoven-Gesellschaft, vorige Woche ihren Austritt aus dem Kuratorium der Stiftung bekanntgaben.
"Wir bedauern diese Entscheidung wirklich sehr", sagt Octavian Ursu (CDU), der als Oberbürgermeister der Stadt Görlitz zugleich Vorsitzender des Stiftungsrates ist. Er habe am Mittwoch sowohl mit Wolfgang Thierse als auch mit Tomasz Tomaszewski gesprochen und versucht, sie zum Bleiben zu bewegen. "Aber sie hatten sich aus freien Stücken entschieden, die Sanierung und Wiedereröffnung der Stadthalle zu unterstützen, und sind ebenso in ihrer persönlichen Entscheidung frei, die Stiftung zu verlassen." Die Stadthalle sei beiden aber weiterhin ein Anliegen.
Thierse will nicht in nationalistischer Gesellschaft sein
Der Grund, der Thierse und Tomaszewski zu ihrer Entscheidung veranlasste, ist die Kuratoriumsmitgliedschaft von Lutz Jankus, parteiloser Vorsitzender der AfD-Fraktion im Görlitzer Stadtrat und NPD-Mitglied in jungen Jahren.
"Durch einen Zufall erfahre ich, dass ein Herr Lutz Jankus, AfD-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat Görlitz und früheres Mitglied der NPD, Mitglied des Kuratoriums der Stadthallenstiftung Görlitz geworden ist", schrieb Wolfgang Thierse an das Kuratorium. Schon der Umstand, dass die Kuratoriumsmitglieder von dieser Tatsache nicht in Kenntnis gesetzt wurden, sei skandalös und ein Grund, aus diesem Gremium auszuscheiden. "Vor allem aber möchte ich mich nicht in jeder Gesellschaft aufhalten", schrieb Thierse, "jedenfalls in keiner, in der ein Funktionär einer nationalistischen Partei eine Rolle spielt."
Musiker fordert Ausschluss des AfD-Politikers
Auch Tomasz Tomaszewski möchte das nicht: "Ich verwahre mich auf das Schärfste dagegen, dass mein Name durch jedwede Verbindung zu Herrn Jankus in den Schmutz gezogen wird", schrieb er. Die Mitgliedschaft von Lutz Jankus im Kuratorium der Stadthallenstiftung sei "ein himmelschreiender Affront gegen die von uns vertretenen europäischen Werte". Auch verfüge Jankus "über keinerlei relevante Expertise", die seine Ernennung in das Stiftungskuratorium rechtfertigen würde. Tomaszewski forderte den Ausschluss von Lutz Jankus aus dem Kuratorium.
Das ist aber nicht so einfach möglich. Die Stiftungssatzung schreibt vor, dass zwei Mitglieder des Görlitzer Stadtrates Teil des Kuratoriums sind. Nach der Kommunalwahl 2019 wurden auch die Gremien, in denen Stadträte vertreten sind, neu besetzt. Die beiden Mitglieder für das Stadthallenkuratorium wählte der neue Stadtrat damals mittels eines Listenverfahrens. Die AfD-Fraktion hatte Lutz Jankus und Alexander Lehmann auf ihre Liste gesetzt, CDU und Bündnisfraktion schlugen auf ihrer gemeinsamen Liste Dieter Gleisberg (CDU) und Joachim Schulze (Bürger für Görlitz) vor. Wegen der 13 (AfD) zu 19 (CDU/Bündnis) Stimmen kamen Lutz Jankus und Dieter Gleisberg ins Kuratorium. Die frühere NPD-Mitgliedschaft von Lutz Jankus, die er öffentlich als Fehler eingestand, wurde erst im Sommer darauf bekannt.
Jankus schießt zurück
Jankus selbst äußert sich zum Austritt von Thierse und Tomaszewski auf Nachfrage der Sächsischen Zeitung, indem er die Kritik erwidert. Er finde es bemerkenswert, dass den "beiden Herren" seine Mitgliedschaft im Kuratorium erst 14 Monate nach seiner Wahl auffalle, und deutet daraus: "Allzu ernst scheinen beide die Sache offenbar nicht zu nehmen." Wolfgang Thierse sei "offenkundig nicht in der Lage, demokratische Entscheidungen zu akzeptieren". Thierse wolle "die AfD stellen", laufe aber vor ihr davon.
Gegen die Äußerung Tomasz Tomaszewskis, Jankus fehle die Expertise, wehrt er sich, indem er versucht, dem Musiker ebenfalls die Expertise abzusprechen. In Wikipedia werde Tomaszewski kaum erwähnt, sagt er, und das Renommee der Beethoven-Gesellschaft sei anzuzweifeln. Unter anderem, weil sich auf deren Internetseite Rechtschreibfehler befänden.
Zu seiner früheren, mindestens einjährigen, NPD-Mitgliedschaft gibt Jankus zu bedenken, dass alle "Aussteigerprogramme" ad absurdum geführt würden, wenn man ihm dies 30 Jahre später immer noch vorwerfe. Es zeige potenziellen Aussteigern, dass man dieses Stigma nie los werde. So könne sich eine "Lohnt sich nicht"-Mentalität einstellen, besonders bei den "richtig harten Jungs".
Austritt kommt nicht infrage
Insofern kommt ein Austritt aus dem Kuratorium für Lutz Jankus – zum Beispiel um den Austritt weiterer Mitglieder zu verhindern – nicht infrage. "Ich sehe aktuell keinen Grund, das Kuratorium zu verlassen", sagt er. "Die Görlitzer Bürger haben mir ein Mandat für den Stadtrat erteilt und damit auch mittelbar für die Arbeit im Kuratorium. Es wäre das falsche Zeichen. Damit würde gezeigt, dass einzelne Personen demokratische Entscheidungen beeinflussen können."
Den Weg von Lutz Jankus ins Kuratorium sieht auch dessen Vorsitzender Volker Bandmann (CDU) so: "Es war eine demokratische Entscheidung." Es sei bedauerlich, dass zwei Menschen mit überregionaler Bedeutung die Stiftung verlassen hätten, und für ihr Engagement in den vergangenen Jahren danke er ihnen sehr. Tomasz Tomaszewski habe die Konzerttätigkeiten in der Stadthalle unterstützt und sei als Vermittler zwischen der deutschen und der polnischen Seite sehr präsent gewesen. Den Vorwurf der NPD-Vergangenheit von Lutz Jankus könne er allerdings nicht teilen. "Wenn jemand in jungen Jahren mal auf dem falschen Weg war, ihn aber dann verlassen hat, dann sollte man ihm das nicht ein Leben lang vorhalten."
Der Unterschied zwischen Ausstieg und Austritt
Dass es aber ein Unterschied ist, ob man aus einem rechtsradikalen Umfeld "aussteigt", vielleicht sogar eine politische Wende vollzieht, oder ob man später eine politische Funktion für die AfD übernimmt, das sehen vor allem Jankus' Kritiker.
Etwa die Fraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne und die Fraktion Bürger für Görlitz, die sich umgehend nach Bekanntwerden des Austritts von Thierse und Tomaszewski dazu äußerten. "Wir fürchten einen Schaden für den Ruf der Stadt Görlitz", sagt Motor-Sprecher Mike Altmann. "Wir wollen klären, ob die Stadtratsvertreter im Kuratorium der Stadthallenstiftung neu gewählt werden können." Besonders vor dem Hintergrund, dass der Verfassungsschutz die sächsische AfD als "Verdachtsfall Rechtsextremismus" einstufe, bestehe eine besondere Sorgfaltspflicht dafür, wer die Stadt Görlitz in den Gremien vertritt.
Ähnlich die Fraktion Bürger für Görlitz. Sie schlägt allerdings keine Neuwahl des Kuratoriums vor, sondern hofft mit Blick auf die AfD als "Verdachtsfall" auf ein kommendes Verbotsverfahren. Der Vertretung der AfD in den Gremien liege in der Verantwortung der Görlitzer, die sie gewählt haben, sagt Bürger-Sprecher Joachim Schulze. "Man mag es als Schwäche sehen, dass wir zur Einhaltung der Wahlgesetze verpflichtet sind und diese einhalten." Dies sei aber zugleich die Stärke der Demokratie im Unterschied zu autoritär geführten Gesellschaften.
Neue Kuratoriumsmitglieder gesucht
So ist es nun Aufgabe des Stiftungsrats, der die Kuratoriumsmitglieder bestellt, zunächst mit den Fraktionsvorsitzenden des Görlitzer Stadtrats zu beraten, wie es weitergeht. "Es wird sicher Diskussionen geben", sagt Stiftungsratsvorsitzender Octavian Ursu. Ob anstelle von Thierse und Tomaszewski zwei neue Kuratoriumsmitglieder gefunden werden sollten, ist noch offen. Mindestens fünf müssen es sein, das Kuratorium hat zur Zeit sieben.
Volker Bandmann sagt dazu: "Die Görlitzer wissen, wie viel Herzblut in der Stadthalle seit ihrer Erbauung steckt, und zeigen immer wieder, wie sehr sie gewünscht und gebraucht wird." Die Mitarbeit im Kuratorium sei ehrenamtlich. "Es wäre wichtig, wieder Mitglieder zu bekommen, die bereit sind, sich dieser ehrenamtlichen Arbeit zu stellen."