Warum ein Görlitzer Arzt einen Berliner Arzt braucht

Dass sogar ein Mediziner Probleme hat, einen Hausarzt für seine Behandlung zu finden, ist schwer vorstellbar. Das ist Dr. Dirk Schmoll passiert. Seit Anfang 2021 ist er Chefarzt der Klinik für Psychiatrie am Städtischen Klinikum Görlitz. Vor wenigen Wochen war er an Corona erkrankt und fand keinen Hausarzt, der ihm die Arbeitsunfähigkeit bescheinigte.
Kein Einzelfall
Dr. Schmoll kam aus Berlin an die Neiße. Als er jetzt einen Hausarzt brauchte, fand er keine Praxis in Görlitz, die ihn als neuen Patienten aufnahm. Der Chefarzt löste das Problem, indem sein Berliner Hausarzt die Krankschreibung schickte.
Der Chefarzt ist im Landkreis Görlitz kein Einzelfall. Zahlreiche Menschen finden keinen Hausarzt, keinen Augen- und Hautarzt, keinen Neurologen und Orthopäden, weil viele Praxen aus Kapazitätsgründen keine neuen Patienten aufnehmen.
Versicherte aus Polen füllen die Arztpraxen mit
Für die Ausstattung der sächsischen Regionen mit Ärzten ist die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen (KVS) zuständig. Sie legt Zahlen über den Versorgungsgrad mit Haus- und Fachärzten vor. Theoretisch fehlen "nur" Hausärzte und Psychiater/Psychologen. Doch die Praxis ist eine andere.
Eine der Ursachen sieht Dr. Dirk Schmoll darin, dass besonders in Görlitz viele Menschen die Arztpraxen aufsuchen, die zwar in Deutschland arbeiten und krankenversichert sind, aber in Polen leben. "Diese Menschen fallen aus der Görlitzer Bevölkerungsstatistik heraus, aber sie füllen die Arztpraxen", vermutet der Chefarzt.
Wie die KVS bestätigt, prüft der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen regelmäßig den Stand der vertragsärztlichen Versorgung. "Bei dieser Bedarfsprüfung werden die amtlichen Einwohnerzahlen des Statistischen Landesamtes Sachsen zugrunde gelegt", informiert KVS-Sprecherin Katharina Bachmann-Bux. Diese Einwohnerzahlen erfassen jene Menschen, die in Görlitz beziehungsweise im jeweiligen Bereich gemeldet sind, aber nicht jene, die hier arbeiten und krankenversichert sind, jedoch andernorts leben. Die folgenden Angaben beziehen sich laut KVS auf den Arztstand vom 1. Januar 2022 und auf Einwohnerzahlen vom 30. September 2021.
Zu wenig Hausärzte, aber genügend Kinderärzte
Für die Bereiche Görlitz und Niesky ergibt das: In Görlitz beträgt der Versorgungsgrad mit Hausärzten knapp 90 Prozent, in Niesky sind es knapp 80 Prozent. Von einer Überversorgung geht die KVS aus, wenn ein Versorgungsgrad von mehr als 110 Prozent erreicht ist. Von einer Unterversorgung ist die Rede ab 90 Prozent und weniger. Das heißt, dass für Görlitz sofort 10,5 freie volle Hausarztstellen besetzt werden könnten, in Niesky sechs - wenn es denn Bewerber für die Stellen gäbe.
Anders dagegen sieht es bei den Kinderärzten aus. Hier zeigt die KVS für Görlitz und den Bereich des ehemaligen Niederschlesischen Oberlausitzkreises einen Versorgungsgrad von 145,7 Prozent auf, also überversorgt. Ähnlich ist es mit 120,4 Prozent bei Hautärzten. Bei Augenärzten zwischen Görlitz und Weißwasser lautet der Versorgungsgrad 150,5 Prozent. Knapp 150 Prozent sind es bei Chirurgen und Orthopäden.
Es fehlen Kinderpsychiater und Psychotherapeuten
Patienten beklagen immer wieder, keinen neuen Orthopäden, Haut- oder Augenarzt zu finden oder als Patient keinen zeitnahen Termin zu bekommen. Mehr Facharztstellen gibt es trotzdem nicht. Der Landesausschuss bewertet das Gebiet als ausreichend oder überversorgt. Es gibt Zulassungsbeschränkungen für diese Facharztbereiche. Die Schaffung einer neuen Arztstelle sei außerdem nicht ohne Weiteres möglich, so die KVS-Sprecherin. Ein lokaler oder qualifikationsbezogener Sonderbedarf für ein Fachgebiet werde vom Zulassungsausschuss Ärzte geprüft.
Für den Landkreis Görlitz anerkannt ist bereits der große Bedarf an Kinder- und Jugendpsychiatern sowie an ärztlichen Psychotherapeuten. Hier wurde bereits 2020 eine drohende Unterversorgung festgestellt.
KVS will Ärzte mit Förderungen aufs Land locken
Wie sich die Versorgungsgrade mit Haus- und Fachärzten in Görlitz und Niesky entwickeln, kann die KVS nicht sagen. Für die Vertragsärzte gibt es keine Altersbeschränkung mehr. "Wann konkret sie aufgrund des Renteneintrittsalters in den nächsten Jahren ausscheiden, können wir nicht vorhersagen. Die Ärzte entscheiden selbst, wann sie ihre Praxis abgeben", erklärt Katharina Bachmann-Bux. Ob sie einen Praxisnachfolger suchen und auch finden, ist ungewiss.
Der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen Sachsen beschloss einen Maßnahmenplan zur Beseitigung von Unterversorgung. Dazu gehören Förderpauschalen und die Gewährung eines Mindestumsatzes für vertragsärztliche Tätigkeit. Außerdem wird zum Beispiel der Quereinstieg in die Allgemeinmedizin gefördert, ebenso das Modell "Hausarzt auf Probe".
Besonders der ländliche Raum ist von der Unterversorgung mit Haus- und Fachärzten bedroht. Die meisten jungen Ärzte zieht es nach dem Studium in Ballungszentren, die mit einer großen Vielfalt für die individuelle Lebensgestaltung aufwarten. Auch hier sollen Fördermodelle greifen, um Mediziner aufs Land zu locken und die ärztliche Versorgung der Menschen im ländlichen Raum sicherzustellen. Schnelle Lösungen gibt es jedoch nicht.
Dr. Dirk Schmoll ist mittlerweile genesen und arbeitet wieder im Klinikum. Doch die Situation in der Versorgung der Menschen zwischen Görlitz und Niesky mit Haus- und Fachärzten bereitet ihm große Sorgen - nicht nur, weil er selbst diese Erfahrung machte.
Hinweis:
Die KVS bietet auf ihrer Internetseite eine Suchfunktion nach Ärzten und Psychotherapeuten an. Über die Terminservicestelle der KVS unter der Rufnummer 116117 gibt es Hilfe, einen Arzt zu finden, auch wenn man weitere Wege in Kauf nehmen muss.