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Babyglück: Warum Warnsdorf größer wurde als Großschönau

Nachwuchs-Historiker Jan Michael Goldberg erforschte die Entwicklung beider Orte. Und machte dabei eine Entdeckung. Dafür bekam er nun einen Preis in Görlitz.

Von Sebastian Beutler
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Varnsdorf und Großschönau sind Nachbarorte wie eh und je. Doch ihre Geschichte hat auffällige Besonderheiten. Ein junger Wissenschaftler erforschte sie und erhielt jetzt einen Preis dafür.
Varnsdorf und Großschönau sind Nachbarorte wie eh und je. Doch ihre Geschichte hat auffällige Besonderheiten. Ein junger Wissenschaftler erforschte sie und erhielt jetzt einen Preis dafür. © Sampedro

Jan Michael Goldbergs Familienname ist für den 27-jährigen jungen Mann schon mal einen Preis wert. Anhand der Goldbergs in Warnsdorf und Großschönau erforschte er, warum sich beide Kommunen nach dem Dreißigjährigen Krieg so unterschiedlich entwickelt haben.

Am Wochenende erhielt der Doktorand von der Universität Halle-Wittenberg für diese Forschung den Hermann-Knothe-Preis der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften sowie der historischen Sechsstädte der Region verliehen. Zum zehnten Mal wurde einem Nachwuchshistoriker für eine Arbeit über die Region der Preis zuerkannt, der nach einem wichtigen Historiker in der Oberlausitz im 19. Jahrhundert benannt ist.

Jan Michael Goldberg (Mitte) ist der Preisträger 2022 des Hermann-Knothe-Preises. Am Wochenende erhielt er den Preis auf der Frühjahrstagung der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften in Görlitz verliehen. Die Auszeichnung überreichten Lars-Arn
Jan Michael Goldberg (Mitte) ist der Preisträger 2022 des Hermann-Knothe-Preises. Am Wochenende erhielt er den Preis auf der Frühjahrstagung der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften in Görlitz verliehen. Die Auszeichnung überreichten Lars-Arn © Kai Wenzel

Frühes Interesse an Familiengeschichte

Dabei kam Jan Michael Goldberg, der in Rheda-Wiedenbrück in Westfalen geboren, bei Miele zum Elektroniker und anschließend an Hochschulen und Unis in Bielefeld zum Wirtschaftsingenieur ausgebildet wurde, eher zufällig an sein Thema. Als 13-, 14-Jähriger begann er sich für die Geschichte seiner Familie zu interessieren, von der es nur hieß, sein Ururgroßvater sei mit der Kiepe auf dem Rücken aus Österreich nach Westfalen ausgewandert. Tatsächlich aber fand Goldberg heraus, dass sein Urahn aus Zwickau in Nordböhmen stammte, dem heutigen Cvikov bei Česká Lípa in der Region Liberec.

Kurz darauf stellten tschechische Behörden alte Kirchenbücher ins Internet, in denen fand Goldberg weitere Menschen und Familien gleichen Namens, vor allem im heutigen Varnsdorf. Nur mit Kontakten war es schwierig. So nahm er sich das Telefonbuch aus der südlichen Oberlausitz, schrieb sich 30 Adressen von Goldbergs heraus und adressierte Briefe an sie. Eine Antwort erhielt er aus Waltersdorf von Christine Goldberg-Holz und Gerd Goldberg. Seitdem führten Jan Michael Goldberg viele Reisen in die Oberlausitz, wo er im südlichen Grenzgebiet zu Böhmen mittlerweile 10.000 Personen seines Namens in 13 Zweigen nachweisen konnte.

Als er nun an der Uni Halle-Wittenberg seine Dissertation zu Fragen der sozialen Ungleichheit und Mobilität begann, da erinnerte er sich an seine Familienforschung. Ein Teil der Arbeit widmet sich nun der Frage, von welchen Faktoren die unterschiedliche Entwicklung im Mandautal zwischen Zittau und Rumburg abhing. Dabei spielt der Dreißigjährige Krieg als Zäsur eine wichtige Rolle, weil anschließend die nordböhmischen Gemeinden wie Warnsdorf zum katholischen Österreich, das benachbarte Großschönau aber zum evangelischen Kursachsen zählte.

Und obwohl die beiden Orte so nah beieinander lagen, die Voraussetzungen auch ziemlich ähnlich waren, nahmen sie eine völlig unterschiedliche Entwicklung: Warnsdorf entwickelte sich zur Stadt mit über 20.000 Einwohnern, Großschönau blieb ein Textildorf. Der wichtigste Unterschied, während die Familien im böhmischen Warnsdorf bis um 1800 zwischen sieben und neun Kinder hatten, waren es in Großschönau nur zwei bis vier.

Katholische Familien hatten mehr Kinder als protestantische

Da es keine erheblichen Unterschiede in der Kindersterblichkeit, beim Ehealter oder bei anderen Faktoren zwischen beiden Orten gab, führt Jan Michael Goldberg diesen Unterschied auf die unterschiedlichen Konfessionen zurück. Forscher haben schon in anderen Zusammenhängen festgestellt, dass katholische Familien mehr Kinder als protestantische hatten. Ob dieser Zusammenhang in Warnsdorf und Großschönau wirklich so direkt bestand, daran gibt es zwar auch Kritik und Skepsis. So hatte das Kurfürstentum Sachsen, zu dem Großschönau gehörte, trotz des evangelischen Glaubens eine Spitzenposition in Europa - die von keinem katholischen Territorium erreicht wurde. Auch können andere Wirtschaftskrisen oder Kriege eine Rolle gespielt haben.

Für seine Arbeit hat Jan Michael Goldberg riesige Datenmengen erfasst und bearbeitet. Die vielleicht künftig noch für weitere Analysen der Entwicklung in der sächsisch-böhmischen Grenzregion verwendet werden können.

Goldberg hofft nun, seine Dissertation noch in diesem Jahr abzuschließen. Anschließend wird dem vielseitig interessierten Wirtschaftswissenschaftler, der sich für die SPD in seiner Heimat engagiert, sicher erneut ein Thema einfallen, das für Furore sorgen wird.