Görlitzer Kneipenwirt im Kreuzfeuer

Gastronomen stehen derzeit unter enormen Druck. Ab Montag sind Restaurants und Bars, Clubs und Kneipen geschlossen. Die Gastronomen fühlen sich ungerecht behandelt - und fürchten um ihre Existenz. Der Druck war aber schon zuvor groß.
So postete der Betreiber der Görlitzer Altstadtkneipe "Schwarze Kunst" auf der Neißstraße, nachdem die Sperrstunde ab 22 Uhr eingeführt wurde, im sozialen Netzwerk Facebook: "So Leute heute is der letzte Tag zum gemütlichen Saufen! Immer rin in Hals, damit wir die Arschgeigen auf den Loggien mit ihren Amtsläufern ertragen können. Ab morgen beerdigen wir die Gastro wieder ... dann ist Sperrstunde ab 22.00 Uhr." Und fügte an: "Möcht mal wissen, wann hier endlich der Rest mal aufwacht."
Wirt bekommt viel Gegenwind
Robert Chylla, so heißt der Wirt, trat damit eine Lawine los. Unterstützer und Kritiker gaben sich in den Kommentaren das Wort. Menschen mit Sorgen vor dem Corona-Virus - und solche, die es verharmlosen bis hin zu denen, die Verschwörungstheorien posten. Vor allem aber bekam die Diskussion eine ganz andere Wendung: Auf einmal standen mutmaßliche rechte Tendenzen des Wirts im Raum.
Mehrere Facebook-Nutzer schreiben, der Schankwirtschaft keinen Besuch mehr abstatten zu wollen, einer merkt dabei an: "Wer 8,88 € und 14,88 € für Gerichte verlangt und damit Nazicodes verwendet (HH und 14 words), hat mich eh verloren." Das sei auch der Grund, warum die Bierblume die Kooperation mit der Schankwirtschaft aufgegeben hat. Diana Klaus-Metzner und Alexander Klaus, die Inhaber der kleinen Brauerei Bierblume, bestätigen das. "Wir wüssten nicht, wie wir unseren Gästen diese Zahlenkombinationen auf der Karte erklären sollten", sagt Alexander Klaus.

Sie haben selbst keine Gastroküche. Dafür Bier. Und so kam es, dass die beiden Bierbrauer, wenn von Gästen gewünscht, sich Essen von der Schwarzen Kunst liefern ließen. "Und andersrum hat das Restaurant unser Bier ausgeschenkt", erklärt Diana Klaus-Metzner.
Mit der Wiedereröffnung der Schwarzen Kunst nach dem Lockdown gab es eine neue Speisekarte: Nun möchte der Betreiber "8,88 Mark" für eine "Körriworscht" und "14,88 Mark" für das "Brotzeit-Brett'l". "Das war vorher nicht so". Sie hätten den Betreiber der Schwarzen Kunst auch darauf angesprochen. "Er sagte, er wüsste nicht, was wir meinen."
Wirt: Preise sind Zufall
Robert Chylla bezeichnet die Facebook-Kommentare als unwahr. Die Zahlen seien Zufall: Seine Preise, teilt er mit, seien knallhart kalkuliert, würden bei einer Mischkalkulation zufällig solche Werte errechnet, werde es eben so weitergegeben. Es gebe auf der Karte auch andere, nicht glatte Preise, etwa 13,44 und 3,87 Mark. Seltsamerweise hätten seine Kritiker dafür aber keine Erklärung gefunden.
Er spricht von unterschwelliger Hetze seitens der Facebook-Nutzer, die das Thema aufgebracht haben, und kündigt Konsequenzen an. Ob es vielleicht daran liege, dass freies Denken und Äußern nicht erwünscht seien, fragt er. Als Selbstständiger werde er - gerade jetzt - sagen, was er denke.
Um welche Codes es geht
Die Ziffernfolge 88 gilt als Code für "Heil Hitler". Bekannt ist etwa der Fall Tommy Frenck und sein "Hitler-Schnitzel". In seinem Lokal in Kloster Veßra hatte er zum Geburtstag von Adolf Hitler, 20. April, Schnitzel für 8,88 Euro angeboten, wurde wegen Volksverhetzung verurteilt. Die Zahlenkombination "14 88" nimmt in der rechten Szene Bezug auf die "14 Words", die dem US-amerikanischen Rechtsextremen David Eden Lane zugeschrieben werden. Übersetzt: „Wir müssen die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft für die weißen Kinder sichern.“
Die 14 in Kombination mit der 88 sei ein sehr bekannter Code in der rechten Szene, bestätigt Petra Schickert vom Kulturbüro Sachsen, das seit Kurzem auch eine Anlaufstelle in Görlitz hat. Aber mit welchem Zweck solche Codes auf einer Speisekarte stehen sollten? Schwer einzuordnen, sagt Petra Schickert. "Es wirkt ein bisschen plump, Provokation vielleicht?" Kürzlich, erzählt sie, gab es in Bautzen einen Fall, wo ein Wirt seine Meinung zu den Corona-Maßnahmen sehr deutlich auf die Kassenzettel aufdruckte.
Auch mit Gastwirten, die mit der rechten Szene vernetzt sind, hatte sie in der Region in der Vergangenheit schon zu tun. Aber meistens werde dabei weniger offensichtlich vorgegangen. Was Petra Schickert allerdings seltsam findet: "Wenn die Inhaber der Brauerei den Wirt tatsächlich darauf angesprochen haben und eine geschäftliche Kooperation auf dem Spiel stand, warum hat er dann nicht gesagt: Okay, das wusste ich nicht, das müsste ich vielleicht ändern?"
Bierblumen-Brauer sind enttäuscht
Auch Diana Klaus-Metzner und Alexander Klaus sind sehr verwundert. "Wir kennen ihn so nicht", sagt Diana Klaus-Metzner, "sonst wären wir nicht diese Kooperation eingegangen." Ihnen ist es zu viel Zufall. Auch sie seien von der Coronakrise sehr betroffen, "aber deshalb muss man nicht Beleidigungen oder krude Thesen auf Facebook posten." Seltsam finden sie auch die sehr starken Erhöhungen bei den betreffenden Preisen. "Auch wir haben unsere Preise erhöht, aber nicht in solchem Maße. Knapp neun Euro für eine Currywurst passt eigentlich nicht." Suppe und einfache Gerichte kocht sie nun selbst für ihre Gäste. Für Größeres hat das Ehepaar sich einen neuen Kooperationspartner gesucht.