Erst noch ein Fest - und dann ziehen die Flüchtlinge weiter

„Ich bekomme den Krieg nicht aus meinem Kopf“, sagt Shura. Der Stress, den sie spürt, sei groß. Shura und ihre Familie sind in Sicherheit in Deutschland. Wie es ihren Bekannten geht, weiß sie nicht. „Alle geflohen. Aber wohin?“, zuckt sie mit den Schultern. Dort, wo ihr Zuhause war, seien die Häuser zerstört. Die Region Luhansk im Nordosten der Ukraine ist nach Medienberichten vom Krieg schwer gezeichnet.
Am Freitag sitzt Shura zusammen mit etwa 200 Menschen in Buchholz an den extra aufgebauten Tischen auf einer Wiese bei der ehemaligen Grundschule. In der Schule sind Geflüchtete untergebracht, ebenso im alten Pfarrhaus, auf dem Familienferienhof Leubner und bei Privatpersonen. Sergej Kosiak, ukrainischer Pastor bei der Josua-Gemeinde Bautzen, singt zusammen mit einer Frau ein Volkslied in seiner Sprache. Shura klatscht und lächelt. Die Josua-Gemeinde hat in Zusammenarbeit mit Busunternehmen den Transport von Flüchtlingen nach Deutschland organisiert.
100 Flüchtlinge zeitweise in Vierkirchen beherbergt
In Buchholz gibt es töpfeweise mit Kartoffeln gefüllte Piroggen, Banosch – einen dicken Maisbrei mit Pilzen, saurer Sahne und geriebenem Käse und dazu dunklen Tee. Gekocht haben die ukrainischen Flüchtlinge. Ein Dankeschön an ihre ehrenamtlichen Gastgeber und die vielen Helfer vor Ort.
„Gott schütze euch!“ Von der Bühne in Buchholz werden die Worte gerufen. Auf einem großen Plakat ist ein Herz aufgemalt: in deutschen und ukrainischen Nationalfarben. Dazu Handabdrücke in blauer, gelber, roter und schwarzer Farbe. Auf dem Transparent steht „Vielen Dank“ - zweisprachig. Zeitweise bis zu 100 Flüchtlinge waren in der zur Verwaltungsgemeinschaft Reichenbach gehörenden Nachbarkommune Vierkirchen untergebracht. Die meisten von ihnen in Buchholz, aber auch etwa 30 in Melaune bei Privatpersonen und in den Räumen der evangelischen Jugendscheune.
Am Freitag wurde in dem kleinen Dorf ein Fest gefeiert – organisiert von Mitgliedern der Josua-Gemeinde, Einwohnern und den Kriegsflüchtlingen, um allen Gastgebern und Helfern für Unterstützung und Verständnis zu danken. Eingeladen als Gäste waren auch die in Reichenbach und Sohland Untergekommenen. Ukrainische Küche, Hüpfburg und Zuckerwatte, jede Menge Spiele für die Kinder und traditionelles Zöpfe flechten gab es zu einem Fest, welches Buchholz so noch nicht gesehen hat. Das wohl Wichtigste ist der Austausch miteinander und einmal für einige Stunden die Sorgen der Geflüchteten ein wenig zu dämpfen.
Bürgermeisterin gerührt über Solidarität
Was in Vierkirchen in den vergangenen Wochen durch ehrenamtliche Hilfe geschafft wurde, sei beispiellos, sagt Bürgermeisterin Andrea Weise sichtlich berührt. Jeder Flüchtling wurde versorgt, jeder Einzelne bekommt Unterstützung, die Solidarität ist groß. Und noch nie habe der kleine und etwa 280 Einwohner zählende Ortsteil so viele Kinder gehabt. Von etwa 35 Kindern geht die Bürgermeisterin aus. Doch sie werden nicht bleiben. Aktuell kümmert sich die Josua-Gemeinde um Wohnungen, in die die ukrainischen Familien umziehen.
„Etwa 80 Prozent der Flüchtlinge bei uns wollen in die Städte gehen“, sagt Martin Leubner, Mitarbeiter der Josua-Gemeinde und zusammen mit seiner Familie Gastgeber auf dem Leubner-Hof. Bei Leubners sind zwischenzeitlich mehr als 35 Ukrainer untergekommen. Dass die Schutzsuchenden weniger auf dem Land bleiben wollen, hänge unter anderem auch damit zusammen, dass es keine Integrationskurse in den Dörfern gebe. Deutschkurse bieten Ehrenamtliche im Ort und in Melaune an. „Wir arbeiten daran, passende Wohnungen zu finden und versuchen, dass jede Familie einen Paten zur weiteren Betreuung bekommt“, berichtet Martin Leubner. In etwa zwei Wochen sollen die vom Krieg Geflüchteten vom Leubner-Hof ausgezogen sein. Wohnungen würden zu rund zwei Dritteln in Bautzen vermittelt, wenige ziehen nach Görlitz um.

Folgen der schleppenden Arbeit in der Ausländerbehörde
Das hänge teils auch damit zusammen, „dass die Registrierung im Landkreis Görlitz so lange dauert“, sagt Martin Leubner. Dagegen ziehen von den Melaunern drei Familien nach Görlitz, die Wohnungen richten ehrenamtliche Helfer mit gebrauchten Möbeln auf Spendenbasis ein. Für die wenigen freien kommunalen Wohnungen in Vierkirchen bestünde aktuell kein Bedarf, so Bürgermeisterin Weise. Es sei auch sehr schwierig, solche Wohnungen für Flüchtlinge bereitzustellen. „Wir können uns als Kommune nicht um die Leute kümmern, das können wir nicht leisten“, sagt die Bürgermeisterin.
Denn Wohnraum ist das eine. Behördengänge, Arztbesuche, Schulanmeldung – das alles klappt nur, wenn Einheimische gerade in der Anfangszeit Ukrainer unterstützen, ihnen alles zeigen und – je nach Bedarf – helfen. So oder so war in den vergangenen Wochen die Hilfe der Bevölkerung in Vierkirchen und darüber hinaus groß. Kleidung, Hygienebedarf, Lebensmittel wurden für die Versorgung der ukrainischen Gäste gespendet.