Corona: Was steckt hinter der dritten Welle

Die dritte Welle ist anders, sagt Roger Hillert, Infektionsepidemiologe am Medizinischen Labor Ostsachsen in Görlitz. Hier werden die meisten Proben aus den Kreisen Görlitz und Bautzen untersucht - wieder mit mehr positiven Ergebnissen. Dennoch ist das Szenario ganz anders als vorigen Winter, sagt er.
Herr Dr. Hillert, eine beliebte Theorie in den sozialen Medien ist gerade: Die Inzidenz im Kreis steige nur, weil so viel getestet wird, durch die Schnelltests. Ist es tatsächlich so, dass mehr getestet wird als je zuvor?
Nein. Als positiver Covidpatient wird nur gerechnet, wessen Ergebnis in der PCR bestätigt wurde. Durch die Schnelltests ist zwar ein besseres Screening in einigen Bereichen möglich. Aber ein positiver Fall wird erst nach dem PCR-Test gezählt. Den Höhepunkt der Testungen hatten wir vor Weihnachten mit 7.000 pro Woche. Ab 5. Januar gingen die Zahlen jede Woche ein bisschen zurück, bis etwa 20. Februar. Seither geht es wöchentlich wieder nach oben. Vorige Woche waren wir bei 2.600 Testungen, diese Woche werden wir sicherlich die 3.000 erreichen.
Treiben die Schnelltests dennoch die Positivrate nach oben? Weil vielleicht vor allem diejenigen einen PCR-Test brauchen, deren Schnelltest positiv ausfiel?
Auch das nicht. So viele Schnelltests sind ja nun auch nicht positiv. Und man hätte sie sonst in der PCR womöglich auch gefunden. Noch ist die Positivrate niedriger als vor Weihnachten, als sie bei 35 Prozent lag. Jetzt sind wir bei etwa 16 Prozent. Noch. Ich nehme an, das wird sich bald ändern.
Seit einigen Wochen sind zunehmend Kinder betroffen. Sind die Jüngeren jetzt die Risikogruppe?
Risikogruppe würde ich nicht sagen. Zum Glück erkranken Kinder nach wie vor nur selten schwer. Es gibt Fälle von Long-Covid auch bei Kindern. Aber im Vergleich zur Gruppe der über 80-Jährigen sind schwere Folgen äußert selten. Bis Ende Januar hatten wir nur sehr wenige positive Corona-Fälle bei Personen unter zehn Jahren. Das hat sich geändert und liegt an der britischen Variante, eindeutig.
Wie viele Fälle sind auf die britische Mutation zurückzuführen?
Seit etwa vier Wochen untersuchen wir verstärkt bei den positiven Proben, ob es sich um eine südafrikanische, britische oder brasilianische Variante handelt. Die südafrikanische und brasilianische haben wir hier im Labor bislang nicht festgestellt, aber die britische immer mehr. Ich schätze aufgrund unserer Stichproben, dass die britische Variante vor einem Monat in der Region unter zehn Prozent der Fälle ausmachte. Diese Woche sind wir bei 80 Prozent.
Es bestätigt sich also, dass die britische Variante deutlich infektiöser ist?
Besonders bei Jüngeren, sie werden durch die britische Variante offenbar schneller infiziert als durch die vorherige. Es zeigt sich deutschlandweit, dass Schulen und Kitas immer mehr Fälle haben.
Schulen wieder zu?
Ich bin nicht dafür. Fakt ist, die Zahlen steigen. Die Frage ist, wie wir damit umgehen. Wir müssen jetzt andere Parameter anlegen, weil die Lage trotz der steigenden Zahlen anders ist als vor Weihnachten.
Die einen sagen, es brauche noch mal einen Lockdown, damit die Zahlen bis zum Sommer runtergehen. Die anderen plädieren dafür, Lockerungen an der Inzidenz zusammen mit der Kapazität in den Krankenhäusern und damit der Schwere der Erkrankungen festzumachen. Was sagen Sie?
Das ist eine politische Entscheidung. Ich bin dafür, nicht nur auf die Inzidenzwerte zu schauen. Es gibt zwei Sachen, auf die wir jetzt achten müssen: Das Impfen, da sind wir derzeit begrenzt in den Möglichkeiten, das wird sich aber bald ändern. Und wir müssen auf die Schwere der Erkrankungen und die Todesfälle achten. Das Problem dabei ist der Nachlauf: Wir wissen nicht, was in zwei oder drei Wochen ist. Das macht diese Entscheidung so schwer. Deshalb wäre ich für eine Grenze, die sich nach der Klinikauslastung richtet und natürlich nicht bei 100 Prozent liegen darf.
Ist das nicht trotzdem gefährlich? Wir haben im Dezember gesehen, wie schnell die Dinge kippen und sich nicht mehr unter Kontrolle bringen lassen.
Wir haben aber eine andere Situation als im Dezember. Die Inzidenzwerte sagen uns heute nicht mehr so viel. Ende 2020 war die Inzidenz bei den über 80-Jährigen hoch, die der unter 20-Jährigen niedrig. Jetzt ist es andersherum, aber die Jüngeren erkranken deutlich seltener schwer als ältere Menschen. Wir können die Inzidenz 100 vor der Impfung nicht mit der Inzidenz 100 nach der Impfung der Älteren vergleichen.
Im Landkreis Görlitz leben aber besonders viele Ältere, häufig nicht im Heim, von denen viele noch nicht geimpft sind.
Wir sind zu langsam beim Impfen. Aber eines haben wir geschafft: eine relativ hohe Immunisierungsrate in der gefährdetsten Gruppe. Zwar noch nicht hoch genug, aber durch den Impfverlauf und die britische Variante geht die Entwicklung in eine andere Richtung. In der ersten Novemberhälfte hatten wir insgesamt 2.310 positive Fälle. Elf Prozent der Betroffenen waren über 80, acht Prozent unter 20 Jahre alt. In der ersten Märzhälfte sind nur noch neun Prozent über 80 und 15 Prozent unter 20 Jahre alt. Das bedeutet fast eine Verdopplung bei den unter 20-Jährigen und eine leichte Senkung bei den über 80-Jährigen – in reinen Zahlen sogar eine ganz deutliche Senkung.