Hitze gab's früher auch: "Warum ist dann heute die Mortalität viel höher?"

Nina und Katwarn sind vielen inzwischen ein Begriff. Es sind Warn-Apps. Bekannt auch die Warn-Wetter-App des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Dieser hat nun eine weitere Option aufgebaut. Keine App, sondern eine Internetseite: „Hitzewarnungen.de“. Warum es diese braucht, für wen sie gedacht ist, und warum Hitze heute anders ist als früher, sagt Andreas Matzarakis, Professor für Umweltmeteorologie an der Universität Freiburg. Am DWD leitet er das Zentrum für Medizin-Meteorologische Forschung. Wetter und Medizin: Sein Team in Freiburg war auch an einer Studie beteiligt, die herausfand, wie schwerwiegend die Folgen von Hitze in den Extrem-Sommern 2018 bis 2020 ausfielen.

Herr Professor Matzarakis, bei all den Möglichkeiten, sich über Extremwetterlagen zu informieren, warum eine weitere Hitze-Warn-Website?
Der DWD gibt beispielsweise auch einen Newsletter per E-Mail heraus, für den man sich anmelden kann. Auch in Katwarn, Nina, der Warn-Wetter-App und der Gesundheitswetter-App des DWD sind Hitzewarnungen enthalten. Manche Apps sind allerdings kostenpflichtig. Dennoch kann man sich natürlich auch auf vielen anderen Wegen informieren. Auf der DWD-Internetseite etwa sind zahlreiche Daten frei verfügbar hinterlegt. Die Website "Hitzewarnungen.de" soll Informationen für alle Nutzer bündeln. Die Seite ist sehr einfach gehalten, aber stark regionalisiert. Über mehrere Karten kann man sich im eigenen Landkreis oder in Städten über Hitzewarnungen aktuell und in den kommenden Tagen informieren. Es gibt auch Hinweise, was man gegen Hitze tun kann.
Zum Beispiel?
Es sind Handlungsempfehlungen, wie man Hitze meidet, am besten die Wohnung kühl und die eigene Flüssigkeits- und Elektrolytzufuhr hochhält. Wir haben ganz bewusst wenig Material zusammengefasst, denn man möchte sich schnell informieren und nicht erst einen Wälzer lesen.

Hitzeschutzkonzepte, Warnung der Bevölkerung - das sind derzeit sehr präsente Themen ob der aktuellen Lage. Sie forschen schon länger zu Hitze, warum ist Ihnen das Thema so wichtig?
Wegen der Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Hält Hitze länger als zwei, drei Tage an, steigen die Mortalität, die Einlieferungszahlen in Krankenhäuser, die Einsatzzahlen von Rettungsdiensten. Zum Beispiel bekommt man Hitze, hält sie länger an, nachts nicht mehr aus der Wohnung, was zu Schlafbeschwerden führt. Man geht in den nächsten Tag schon mit einer Vorbelastung. Deshalb beinhaltet die neue Website auch nicht nur die Hitzewarnungen für den aktuellen und den Folgetag, also die offiziellen Hitzewarnungen. Sondern wir veröffentlichen auf Grundlage der uns vorliegenden Daten auch einen Ausblick auf Tag drei bis sechs, einen Hitzetrend. Das ist eine grobe Abschätzung, dennoch war uns das wichtig.
Was ist eigentlich Hitze?
Es gibt keine offizielle Definition. Es gibt mehrere Möglichkeiten, mehrere Faktoren, die man einbeziehen kann. Man kann sagen: Steigt das Thermometer auf über 30 Grad ist Hitze. Aber dann frage ich Sie: Was ist schlimmer, über 30 Grad im Mai oder im September? Natürlich im Mai, weil der Körper zu dieser Jahreszeit nicht auf solche Temperaturen angepasst ist. Wir definieren Hitze auf Grundlage der Frage, wann es aus welchen Gründen gefährlich für den Menschen werden kann.
Wir lesen bei unserer SZ-Klimawandelserie in den sozialen Netzwerken oft Kommentare, Hitze habe es auch früher schon gegeben. Was stimmt, Görlitz gehört zu den Städten mit den längsten Wetteraufzeichnungen, es gab schon so einige Wetterrekorde. Was hat sich geändert?
Es stimmt, auch früher gab es Hitzeereignisse. Zum Beispiel 1994 gab es im Norden Deutschlands eine ganz starke Hitzewelle. Aber damals hat man das gar nicht so extrem mitbekommen. Dass man es heute mehr wahrnimmt, liegt daran, dass die Hitzewellen wirklich intensiver werden. Extremwerte treten häufiger auf, und sie dauern immer länger an. Da sind wir wieder bei den Auswirkungen auf den Menschen, die auch stärker ausfallen. Gerade, wenn Hitzewellen früher im Jahr auftreten, umso schlechter sind die Menschen daran angepasst. Wenn jemand sagt, ach, das alles hatten wir auch früher schon - warum haben wir dann jetzt eine viel höhere Mortalität als früher?
Eine Studie, die vor drei Wochen veröffentlicht wurde, besagt, dass in den drei Sommern 2018 bis 2020 rund 19.000 Menschen an den Folgen von Hitze starben.
Ja, dafür haben wir mit dem Robert-Koch-Institut und dem Bundesumweltamt zusammengearbeitet. In einer rückwirkenden Simulation hat sich schon gezeigt, dass es eine Beziehung gibt zwischen Mortalität und der Hitze.
Es ist schwierig, Statistiken zu Hitzetoten zu führen. Zum Beispiel kann Hitze dafür sorgen, dass sich eine Krankheit so verschlimmert, dass sie zum Tod führt. Hitze als Grund dahinter wird nicht immer erkannt. Wie kamen Sie auf die Zahlen?
Bundesweit haben wir uns die Mortalitätsraten der einzelnen vergangenen Jahre angesehen. Bekannt sind die Temperaturen und andere Werte, die vor allem 2018 und 2019 extrem ausfielen. Ziel war, besser zu erkennen, wie diese Hitzejahre sich in den einzelnen Regionen Deutschlands ausgewirkt haben. Wie war es im Norden, wie im Süden? Wo sind Menschen vielleicht besser angepasst an Hitze? Mit der Simulation, die so erarbeitet wurde, ist man den realen Werten sehr nahe gekommen. Es ist eine Studie, die eine Basis bilden soll, um weiterzudenken, wie man mit Hitze umgehen kann, und um gezielt Maßnahmen zu ergreifen. Sie hat auch bestätigt, was andere Studien bezüglich der Mortalität von Hitze schon früher nahegelegt haben.
Nicht nur Hitzeereignisse sind mehr geworden, auch Unwetter. Voriges Jahr kam Görlitz zum Glück glimpflich davon, aber auch hier gab es teils Hochwasser. Es war schwierig, sich darüber zu informieren. Es schien auch schwierig, zu warnen. Während in der Innenstadt vielleicht 30 Liter ankamen, standen ein paar Kilometer weiter Keller unter Wasser. Während die eine App vor Starkniederschlägen warnte, tat eine andere es nicht. Wie gehen Sie damit um?
Da muss man unterscheiden. Hitze ist nicht lokal beschränkt. Sie betrifft immer größere Regionen, bis hin zu ganz Europa. Starkniederschläge sind viel stärker regional beschränkt. Das Muster ist ein ganz anderes, es spielen viel mehr Faktoren, etwa die Topografie, eine Rolle. Ganz abgesehen davon, kommt es bei den Auswirkungen zum Beispiel auch darauf an, auf welche Bodenbeschaffenheit und welche Landnutzung das Wasser trifft. Ich fand es sehr erschreckend, dass die Flut an der Ahr voriges Jahr zu so vielen Todesopfern führte.
Viele sind bis heute schockiert über das Hochwasser an der Ahr, bis heute haben viele die Bilder vor Augen. Auch Hitzefolgen kann man sehen, aber weniger offenbar. Ist das eine Hauptgefahr?
Mit Hitze kann nicht nur der Tod verbunden sein, sondern auch viel Leid. Das hat auch das Hochwasser gezeigt. Ich meine damit, Hitze ist ein übergreifender Sektor. Sie bedeutet auch, dass Menschen öfter zum Arzt und in die Apotheke müssen, weil es ihnen nicht gut geht, die Rettungsdienste sind häufiger gefragt. Anders als bei Hochwasserereignissen, die voriges Jahr wirklich furchtbar genug ausgefallen sind, ist Hitze ein stärker übergreifendes Thema.
Viele haben inzwischen die Nina-App, Feuerwehren und Behörden informieren sich meist über die direkten DWD-Wetterwarnungen. Wie ist man als Privatperson am besten informiert?
Insgesamt ist es sinnvoll, sich nicht nur auf einen Kommunikationsweg zu verlassen. Ich bevorzuge den Newsletter über die E-Mail-Adresse, das ist aber eine persönliche Sache. Sobald ich am Arbeitsplatz bin, also regelmäßig, sehe ich in meinen E-Mails, was vorliegt. Wir empfehlen auch Pflegeheimen, sich für den E-Mail-Newsletter anzumelden. Ich wäre dafür, die Wetterwarnungen sogar in den Videotext aufzunehmen - bis heute schauen viele ältere Menschen sich den Videotext an. Für mich ist das auch eine soziale Frage. Warum sollte nicht der Enkel mit Wetter-App seine Oma anrufen und darüber informieren?