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SZ + Görlitz

Putin-Kritikerinnen rütteln in Görlitz auf

Rund 500 Gäste kamen zum Pussy-Riot-Auftritt nach Görlitz. Manche sehen ihren Besuch als Statement gegen Putin-Versteher in der Region.

Von Susanne Sodan
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Pussy Riot auf der Bühne am Kühlhaus in Görlitz - mit drastischen Worten und Bildern.
Pussy Riot auf der Bühne am Kühlhaus in Görlitz - mit drastischen Worten und Bildern. © dpa

Minutenlang läuft Olga Borisova auf der Bühne hin und her, holt Wasserflasche nach Wasserflasche, öffnet sie, und schleudert den Inhalt ins Publikum. Vielleicht zum Aufwachen, falls die Bilder, die Videos auf der Leinwand noch nicht gereicht haben, und die Worte, der Sprechgesang der von Pussy Riot. Die, die hier stehen, das Publikum des russischen Künstlerinnen-Kollektivs, brauchen das vielleicht nicht.

Aber nett sein ist nicht bei diesem Auftritt, das war vorher klar. Am Sonnabend traten Pussy Riot am Kühlhaus in Görlitz zum Abschluss des Neiße-Filmfestivals auf. Für Irina ein Muss. Sie war zu Besuch in Görlitz. Am Sonnabend wollte sie bereits wieder zurück in Berlin sein, doch als sie von dem Pussy-Riot-Auftritt im Kühlhaus hörte, beschloss sie, länger zu bleiben.

Pussy-Riot-Auftritt: für gebürtige Russin ein Muss

„Sie sind eine sehr wichtige Stimme des Protestes in Russland“, sagt Irina, selbst gebürtige Russin. Im Camillo-Kino in Görlitz kam sie während ihres Besuches zufällig ins Gespräch mit Angelika und Cora. Die beiden Dresdnerinnen arbeiteten beim Neiße-Film-Festival mit - und hatten eine Karte für Pussy Riot über. Da überlegte Irina nicht lange. Schon lange lebt sie in Deutschland, doch die Geschehnisse in ihrem Heimatland bewegen sie offensichtlich. Sie musste einfach bleiben zum Konzert, sagt sie, „ich muss sie live sehen“.

Pussy Riot, russische Aktivistinnen und Künstlerinnen, zählen zu den bekanntesten Kritikerinnen Wladimir Putins und seines immer autoritäreren Staates. Ihr „Punk-Gebet“ 2012 in der Christ-Erlöser-Kathedrale Moskau sorgte weltweit für Aufsehen - vor allem die Folgen. Für zwei Mitglieder der Gruppe, darunter Marija Aljochina, lautete das Urteil zwei Jahre Haft.

Ende 2013 wurden die beiden Frauen im Zuge einer Amnestie Strafgefangener zum 20. Jahrestag der russischen Verfassung freigelassen - nach Monaten in Straf- und Arbeitslagern. Marija Aljochina wurde 2021 in Zusammenhang mit Aufrufen zu Demonstrationen für den inhaftierten Alexej Nawalny erneut verurteilt. Aus dem überwachten Arrest konnte sie aber voriges Jahr, verkleidet als Essenslieferant, fliehen.

Ginny Sol und Elli Gundlach sind aus Düsseldorf und Chemnitz angereist.
Ginny Sol und Elli Gundlach sind aus Düsseldorf und Chemnitz angereist. ©  privat

Seither tourte das Künstlerinnen-Kollektiv in Europa. Schwer zu übersehen ist auf dem Kühlhaus-Gelände Ginny Sol. Die Studentin war vor einer reichlichen Woche bereits zum Konzert in Hamburg - und so beeindruckt, dass sie es noch einmal sehen wollte. Von Düsseldorf reiste sie nach Görlitz. Mit einer Chemnitzer Freundin und einem in wenigen Tagen selbst geschneiderten Outfit: neongelbe Warnweste, Netzstrumpfhose und ein Rock aus Vinyl mit dem aufgenähten Markenzeichen von Pussy Riot: eine Strickmaske.

Untermalt von Violine und Bässen erzählen die Frauen von Pussy Riot ihre Geschichte. Keine Punk-Band, sondern eher ein loses Kollektiv, das 2011 mit ersten Aktionen auf öffentlichen Plätzen startete. Damals strebte Wladimir Putin seine dritte Amtszeit an. Pussy Riot kritisierten und kritisieren Putins Machtstreben, die massiven Verflechtungen mit der russisch-orthodoxen Kirche, die sich im wahrsten Sinne verkauft habe, das inzwischen herrschende Frauenbild: „Um Seine Heiligkeit nicht zu beleidigen, müssen Frauen gebären und lieben.“

In schnellem Sprechgesang, getrieben von den Bässen erzählen die Frauen, wie sie das „Punk-Gebet“ vorbereiteten, von den bangen Tagen bis zu ihrer Verhaftung, dem Verfahren, das nicht nur sie als reine Farce empfanden, von Einschüchterungsversuchen und von den Übergriffigkeiten in Haft, von der massiven Erschöpfung in den Straflagern, wie Schikane auf Schikane folgte.

Gemischtes Publikum in Görlitz

Auf der Leinwand laufen zum Beispiel Videos von den Massenprotesten Ende 2011 nach der mutmaßlich gefälschten Parlamentswahl. „Aufstand in Russland - Putin pisst sich ein“, reimen Pussy Riot. Und immer wieder wird die Erzählung der Frauen geschnitten mit offiziellen Aussagen aus dem russischen Staatsapparat oder der russisch-orthodoxen Kirche. Das alles mag recht selbstreferenziell sein.

Um Russlands Krieg in der Ukraine geht es erst zum Schluss. Mit ihren Auftritten sammeln Pussy Riot für Krankenhäuser in der Ukraine. Doch geben Pussy Riot einen eindrücklichen Einblick, wie Propaganda in Russland funktioniert, wie das Recht und letztlich demokratische Strukturen unterlaufen werden.

Konzert-Besuch als Statement in der Oberlausitz

Das Publikum in Görlitz: gemischt. Geschätzt um die 500 Besucher kamen zusammen, viele junge Leute aus Dresden, Leipzig, auch Berlin sind da. Vor dem Konzert fand die Preisverleihung des Neiße-Filmfestivals mit zahlreichen Lokalpolitikern statt, nur wenige von ihnen bleiben. Eine Gruppe Camper aus Berlin und Dresden auf dem Kühlhaus-Gelände will sich die Gelegenheit dagegen nicht entgehen lassen.

Auch einige ältere Besucher sind da, und auch Gäste aus Görlitz und der Region. „Es interessiert mich, und es ist ein politisches Statement“, sagt Janina Pallmann aus Zittau. „Es ist bewundernswert, wie diese Frauen ihre Meinung äußern, trotz allem, was sie erfahren mussten. Das muss man unterstützen.“ Ein Statement, das man hier in der Oberlausitz als besonders notwendig sieht. Eine Region, in der noch immer die Montagsdemos laufen, „und es noch immer so viele Putin-Unterstützer gibt“, sagt sie.