Schnell entmutigen lässt sich Nancy Scholz nie. "Aber in den ersten beiden Jahren war es wirklich hart", sagt die 32-Jährige. "Ein Café zu betreiben bedeutet ja viel mehr, als nur ein paar Stunden hinterm Tresen zu stehen und Kaffee zu verkaufen."
In der Anfangszeit habe sie in ihrem Café Herzstück auf der Görlitzer Weberstraße sogar hin und wieder übernachtet, so viel habe sie mit der Vor- und Nachbereitung zu tun gehabt, als sie noch keine Helfer hatte, und so wenig hätte es sich gelohnt, nach Hause zu gehen.
Mit Masken und Lieferservice in den Lockdown
Heute hat sie rund 15 Leute an ihrer Seite, Angestellte, Aushilfskräfte, temporäre Helfer. Verkaufte sie während des ersten Lockdowns selbst genähte Masken, kann sie auch jetzt nicht klagen, bietet Essen zum Liefern und Abholen an sowie Caterings und Torten, etwa für kleine Hochzeiten. "Die Auftragsbücher sind trotz Lockdown voll."

Zuversichtlich war sie jedoch immer, auch in Situationen, in denen andere geklagt oder aufgegeben hätten. "Waren nur Bananen und Kokosmilch da, machte ich das Beste draus und sagte: Dann gibt es heute Bananen-Kokos-Suppe." Schrieb es mit Kreide an die Tafel, freute sich über jede Suppe, die sie verkaufte, und jeden, dem sie schmeckte.
Diese Kreativität, die Bereitschaft, mit sehr wenig auszukommen, und das Vertrauen darauf, dass ein guten Bauchgefühl nie trügt, sind zusammen wohl das kleine Geheimnis ihres Erfolgs. Damit gehört Nancy Scholz zu den jungen Unternehmern, die Görlitz gerade ganz still verändern, indem sie Geschäfte anders betreiben als frühere Generationen und auf Dinge setzen, die heute wichtiger werden. Die SZ stellt einige dieser "Jungen Macher" in einer Serie vor.
Vegan vor allen anderen
Nancy Scholz war vielleicht nicht die Einzige, die sich 2013/14 auf den Weg machte, in Görlitz auf vegane und vegetarische Kost zu setzen, aber ihr Café Herzstück besteht nun seit fast sechs Jahren. Noch bevor andere den ernährungsbewussten Trend für sich zu nutzen wagten, durfte sie schon erfahren, wofür sich der schwere Anfang gelohnt hatte.
Dabei half ihr, dass sie sich mit Tiefpunkten und dauerhafter Überforderung auskannte. "Wer einmal ganz unten war, den kann so schnell nichts erschüttern", sagt sie. Der Weg zum eigenen Café hat sich für sie über Umwege geöffnet. Ihre Karriere begann sie nämlich als Automobilkauffrau.
Nancy Scholz ist die Tochter der Betreiber des Autohauses Scholz in Bautzen mit Filialen in Görlitz, Löbau und Oderwitz. Der Weg schien vorgebahnt: Ihre Schwester und sie würden Teil des Familienunternehmens sein. "Unsere Eltern haben uns viel ermöglicht, als wir Kinder und Jugendliche waren", sagt sie, "aber wir sollten auch mit anpacken, etwas leisten."
Die Welt gesehen und das Leben entdeckt
Aufgewachsen in Streitfeld bei Löbau, ging Nancy Scholz nach dem Abitur für ihre Ausbildung nach Köln. Weil sie danach um die Welt reisen wollte, verbrachte sie ihre Zeit vor allem mit Arbeiten, hatte immer mehrere Nebenjobs. "Ab morgens um vier putzte ich in einem Fitnessstudio, danach ging ich ins Büro." Auch mit Babysitting, Schülerhilfe und Jobs in der Gastronomie verdiente sie Geld für ihre Reise.
Aus Köln zurück, arbeitete sie ein Jahr im Autohaus ihrer Eltern, danach brach sie mit einem Freund in die Welt auf. Schon damals kam sie mit sehr wenig aus. "Wir trampten bis nach London, ohne Geld für die Fahrt oder die Fähre auszugeben", erzählt Nancy Scholz von der sechsmonatigen Reise, die sie später durch die USA und einige Länder Asiens führte.
"Teilweise war ich allein unterwegs und merkte bald, dass man nirgends wirklich allein ist, sondern immer Hilfe bekommt, wenn man sie braucht." Schon damals wurde ihr der Gedanke vertraut: "Wenn du gibst, bekommst du auch zurück." Und sie begann zu ahnen, dass Arbeit und Leistungsstreben nicht alles sein kann. "Damals verwandelte ich mich vom Kopf- in einen Gefühlsmenschen."
Vom Autohaus ins Wohnzimmercafé
Wieder zu Hause, kehrte sie dennoch in ihr früheres Leben zurück, arbeitete im Autohaus, jetzt in Löbau, fügte sich wieder ein. "Ich stand dahinter, es machte mir Spaß", sagt Nancy Scholz, "und mit täglich zwölf oder 14 Arbeitsstunden kam ich klar." Irgendwann aber nicht mehr. Da fiel eine Kollegin aus, sie leistete noch mehr – und wurde krank. Bald litt sie so schwer an Asthma, dass sie glaubte sterben zu müssen. Das änderte ihr Leben.
Bereits nach ihrer Reise war sie nach Görlitz gezogen, ursprünglich nur für ein Jahr, um mal in einer anderen Stadt als Löbau oder Bautzen zu wohnen. "Doch Görlitz, das ich bisher nur von Ausflügen zu H&M kannte, zog mich in seinen Bann", erzählt Nancy Scholz. Nachdem sie bei ihren Eltern gekündigt hatte – ein schwerer Schritt – nahm sie sich Zeit zu überlegen, was sie sich wirklich wünschte.

Schon als Zehnjährige hatte sie sich entschieden, vegetarisch zu leben. Auch hatte sie immer gern genäht, gebastelt, Zeit mit Freunden verbracht. Und sie sehnte sich nach einem Ort, an dem sie und andere sich wohlfühlten. Um das alles verbinden zu können, kam ihr die Idee: "Ein Wohnzimmercafé, so etwas hat Görlitz noch nicht." Also schrieb sie einen Plan für ihr vegan-vegetarisches Nähcafé.
Gute Idee, aber nichts für Görlitz
"Doch jeder riet mir davon ab", sagt Nancy Scholz. "Das klappt nie in Görlitz", hieß es. Auch die Banken machten ihr wenig Hoffnung. Doch als sie das Café Gramont in der Jakobstraße als Ort für ihre Pläne gefunden hatte, schien alles klarzugehen – bis es wegen einer Uneinigkeit nicht zur Vertragsunterzeichnung kam.
Nancy Scholz war wieder am Boden, fuhr an die Ostsee, überlegte noch einmal neu. Und entschied sich wieder für Görlitz. "Erneut erfuhr ich, dass es nie umsonst ist, sich für etwas einzusetzen, man bekommt immer etwas zurück." Direkt in den Verhandlungen um das Café Gramont erfuhr sie über ihren Anwalt, dass der Besitzer des Hauses Weberstraße 2 für sein Erdgeschoss, das frühere Fitnessstudios "Slender you", einen Mieter suchte.
Aus früherem Fitnessstudio wurde Nähcafé
So fand Nancy Scholz zu den heutigen Räumen ihres Café Herzstück, richtete ihre Nähstube darin ein, erfand vegane und vegetarische Rezepte für Kuchen, Torten und Herzhaftes und baute sich so ihre eigene kleine Arbeitswelt auf, in der Gemütlichkeit und Kreativität Platz fanden.

Obwohl anfangs nicht absehbar war, ob sich das vegane Café würde tragen können: "Ab dem dritten Jahr funktionierte plötzlich alles", sagt Nancy Scholz. Café und Caterings waren gefragt, bald konnte sie Personal engagieren und ausbilden. "Wir haben inzwischen viele Stammkunden und sind dankbar dafür." Vor Kurzem hat sie den zweiten Teil des Erdgeschosses angemietet, um mehr Raum für die Nähkurse und im Café mehr Platz zu haben.
"Ich war zwar immer überzeugt von meinem Konzept", sagt Nancy Scholz, "aber im Rückblick stand es manchmal auf der Kippe." Das Café Herzstück steht für ihren Herzenswunsch. "Dass er sich nun entgegen aller Prophezeiungen erfüllt hat, macht mich sehr glücklich."
Bislang sind in dieser Serie erschienen:
Philosoph am Kochtopf - über Jörg Daubner, den Chef der Görlitzer Obermühle
Die Suppen-Queens von Görlitz - über Susanne und Bianca Leonhardt und ihr Suppenstübchen in Görlitz