Glaubensstreit um die Görlitzer Stadthalle

Die Stadthalle formt seltene Allianzen im Görlitzer Stadtrat. AfD-Fraktionsvorsitzender Lutz Jankus stellte sich in der Debatte am Donnerstag hinter die Worte des grünen Stadtrates Joachim Schulze. Jankus fiel selbst auf, wie seltsam das ist, dass er mit Schulze übereinstimmt. "Es ist selten genug, dass wir einer Meinung sind. Aber er hat alles gesagt, was zu sagen ist. Wir müssen es jetzt anpacken."
Nun hatte Schulze es nicht darauf angelegt, mit Jankus einer Meinung zu sein. Doch wie schon bei den Grundsatzentscheidungen der vergangenen Jahre stellte Schulze die Sanierung der Stadthalle bis 2026 in einen größeren Zusammenhang. Görlitz profitiert gerade vom Strukturwandel, indem sich Forschungsinstitute ansiedeln, neue Technologien entwickelt werden. All diese Einrichtungen benötigen Treffpunkte - entweder für ihre Unternehmungen oder zum Austausch mit anderen. Oberbürgermeister Octavian Ursu berichtete, dass die Stadt zunehmend Anfragen dieser Art erhalte. Nur fehlen Räume. Die Stadthalle wird auch dafür gebraucht, war seine Botschaft. Und Schulze warb für das Projekt, weil Görlitz nun auf Wachstum setzen kann.
Wirtschaftliche Effekte für Görlitz möglich
Je länger über die Sanierung der Stadthalle nachgedacht wird, umso weniger liegt der Fokus auf der Musikhalle. Klar: Die Philharmonie wird hier wieder ganz anders Sinfoniekonzerte spielen können als gegenwärtig im Theater, Künstler aller Art werden hier auftreten. Aber allein damit ist heute eine Investition in Höhe von 43, vielleicht sogar 48 Millionen Euro kaum noch zu rechtfertigen. Und so bezeichnete CDU-Fraktionschef Dieter Gleisberg die Stadthalle als Wirtschaftsförderung.
Was er damit meinte, führte der Görlitzer Hochschulprofessor Falk Maiwald aus. Er lehrt Betriebswirtschaftslehre an der Fakultät Management- und Kulturwissenschaften. Zwar waren seine Ausführungen allgemeiner Art und nicht speziell auf die Görlitzer Stadthalle bezogen, doch büßten sie dadurch nicht an Wirkung ein. So könnten solche Häuser zahlreiche Effekte auf die Stadt und die Wirtschaft haben. Nicht nur, dass Menschen hier ihr Auskommen finden werden, die Stadthalle bezieht Güter und Dienstleistungen für ihren Betrieb, die Besucher geben Geld aus für Eintrittskarten, aber auch für Friseur, Gaststätten und Taxis, überregionale Besucher tragen den guten Eindruck nach außen, sodass wiederum andere sich für die Stadt interessieren. Und schließlich gewinnt die Stadt an Image, sie vermeidet, dass Veranstaltungen aus der Stadt abwandern, und eine Stadthalle kann als Ort der Gesellschaft identitätsstiftend wirken.
Das alles sind Effekte, die an vielen Orten der Welt nachgewiesen wurden. Warum, so Maiwald, sollte das nicht auch Görlitz gelingen? Entscheidend sei, dass die "Hülle" Stadthalle von einem guten Team nach der Eröffnung mit Leben erfüllt wird.
Skeptiker finden die Planung gut
Für dieses Team versicherte der frühere Wiesbadener Kurhaus-Chef Henning Wossidlo der seit 18 Monaten das Projekt begleitet, dass die Entwurfsplanung für die Stadthalle mit dem Anbau zum Neiße-Parkplatz hin logistisch perfekt abgestimmt sei und mit einem so aufgestellten Haus am Markt erfolgreich agiert werden könne.
Das sehen selbst die Skeptiker des Vorhabens so. Danilo Kuscher erklärte für seine Fraktion Motor Görlitz/Grüne, dass die Entwurfsplanung tatsächlich auch nach seiner Auffassung gelungen sei. Deswegen hatte die Fraktion auch nichts dagegen, sie als Grundlage für die geplante Sanierung zu nehmen. Größere Bauchschmerzen haben er und seine vier Fraktionskollegen weiterhin mit den Risiken, die damit verbunden sind, dass die Planung nun weiter vorangetrieben werden soll. 2,5 Millionen Euro städtische Gelder würden dadurch riskiert, weil kein Fördermittelbescheid vorliege und auch steuerliche Fragen nicht geklärt seien. Warum diese beiden Dinge nicht abgewartet werden können, erschließt sich ihm nicht. Ganz ähnlich sieht die Linkspartei die Lage.

Muss die Stadt für die Stadthalle anderes schließen?
Unterstützt in dieser Ansicht fühlen sie sich auch von einer Stellungnahme des Görlitzer Unternehmerverbandes, die 24 Stunden vor der Stadtratssitzung verbreitet wurde. Darin werden einerseits die Chancen der Stadthalle genannt, doch weitaus stärker die Risiken beschrieben. Insbesondere die Ankündigung von Bürgermeister Michael Wieler, dass die Stadthalle Mehrbelastungen von einer Million Euro im Jahr für die Stadt ab der Eröffnung wahrscheinlich im Jahre 2026 bedeute. Der Unternehmerverband fürchtet nun Kürzungen bei den freiwilligen Leistungen sowie Erhöhung von Grund- und Gewerbesteuer, um sowohl den Bau als auch den Betrieb der Stadthalle zu finanzieren.
Autohändler Raimund Kohli hatte deshalb im Vorfeld eine Online-Petition an den Görlitzer Stadtrat adressiert, dass zusammen mit den Bürgern nun über Einsparungen diskutiert beziehungsweise das Stadthallen-Projekt nochmals kritisch daraufhin untersucht werden solle, ob die Stadt es sich leisten könne.
Genau das ist auch die Hauptsorge von Linken-Abgeordneten Mirko Schultze, der sonst auch nicht einer Meinung mit dem Unternehmerverband ist. Er malte ein Bild der Stadt in fünf Jahren, wo für die Stadthalle das Theater, der ÖPNV und vieles mehr gestrichen werden muss.
Dabei erwirtschaftet die Stadt jetzt schon ein Defizit in Millionenhöhe, wo die Stadthalle noch gar nicht ins Gewicht fällt. Das Haushaltsloch wird durch die Birkenstock-Millionen nur verdeckt. Wenn Motor Görlitz und die Linkspartei richtig liegen, müsste die Stadt schon jetzt den Theaterzuschuss einstellen, Museen und Musikschule schließen.
Unternehmer dafür und dagegen
Es gibt aber auch Unternehmer wie den früheren CDU-Stadtrat Helmut Goltz, die sich für die Stadthalle aussprechen. Solche politischen Projekte sind nie unter kaufmännischen Gesichtspunkten restlos zu erklären. Wenn alles nur danach ginge, dürfte die Stadt keine neuen Straßenbahnen anschaffen, denn auch sie "rechnen" sich nicht. Im Stadtrat zog Ursu die Parallele zur Rekommunalisierung der Görlitzer Verkehrsbetriebe, die anfangs den Zuschuss reduzieren sollte - mittlerweile liegt er erheblich über dem zu Zeiten, als der Nahverkehr noch von der Veolia-Gruppe verantwortet wurde. Und Bürgermeister Michael Wieler wiederum erklärte, dass die Stadt mit erheblichen Sicherungsarbeiten in den nächsten Jahren an der Stadthalle rechnen müsse, wenn sie nicht saniert wird. Auch das könne in die Millionen gehen, wofür es keine Fördergelder gibt.
Die Mehrheit aus CDU, Bürger für Görlitz, SPD, dem einzelnen grünen Stadtrat Joachim Schulze sowie der AfD sehen es wie Oberbürgermeister Octavian Ursu bei der Stadthalle. "Wir glauben an diese Stadt und deren Zukunft. Und deshalb wollen wir auch die Stadthalle." 25 Stadträte stimmten für die weitere Planung, sieben dagegen.