AfD im Schulterschluss mit Corona-Maßnahmengegnern

Dass die AfD Corona-Maßnahmengegnern nicht fern steht, ist kein Geheimnis. In Görlitz rückt die Partei immer mehr heran - sogar körperlich bei der Montagsdemo auf dem Postplatz. Kommt da jetzt zusammen, was zusammengehört?
Trotz der Lage, dass Krankenhäuser Alarm rufen, das Gesundheitsamt bei der schieren Menge von Neuinfektionen überhaupt nicht mehr hinterherkommt, wurde die Demo seitens des Landkreises erneut genehmigt, als ortsfeste Versammlung auf dem Postplatz. Mit dabei zum Beispiel Sebastian Wippel, Stadtrat für die AfD in Görlitz und Landtagsabgeordneter der AfD in Dresden. Zu sehen waren dort auch bestimmt 20 Fahnen der "Freien Sachsen", die als rechtsextremistisch eingestuft wurden.
Dass zwischen den Wahlergebnissen der AfD in Regionen wie dem Landkreis Görlitz und dem Infektionsgeschehen ein Zusammenhang besteht, bestätigt eine Studie des Jenaer Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft. Er fußt auf einem Misstrauen gegen staatliche Institutionen, das sich zum einen in den AfD-Ergebnissen spiegelt, zum anderen auch in der Skepsis gegenüber den staatlichen Corona-Maßnahmen.
Ton wird rauer
Insofern ist auch die Nähe von AfD und Corona-Gegnern nicht überraschend. Was aber doch neu ist: Wie immer offensiver prominente Görlitzer AfD-Mitglieder sich der Argumentation von Corona-Maßnahmen-Gegnern bedienen. Etwa beim Thema Impfen. So kommentiert Sebastian Wippel auf Facebook: "Fakt ist: es ist eine Notfallzulassung. Die Hersteller sind von allen Regressansprüchen freigestellt. Es ist ein Feldversuch an der Masse."
Eine Behauptung, die seit Beginn der Corona-Schutzimpfung vehement verbreitet wird. Dabei handelt es sich zumindest in der EU nicht um eine Notzulassung, sondern eine sogenannte bedingte Zulassung. Was stimmt: Bei einer bedingten Zulassung liegen noch nicht alle Daten vor, die es für eine reguläre Zulassung braucht. Sie müssen nachgeliefert werden. Was nicht stimmt: dass die betroffenen Impfstoffe nicht erprobt wären. Sie haben alle die dreiphasigen Zulassungsstudien durchlaufen.
AfD verbreitet die Argumente der Corona-Skeptiker
Wippel bringt weitere gängige Corona-Gegner-Argumente: Die Impfung schütze offenkundig nicht andere, "da auch geimpfte etliche Leute anstecken können." Das ist wahr, aber die um das zehnfache höhere Inzidenz bei Ungeimpften im Vergleich zu Geimpften zeigt auch, dass die Impfung schützt.
Das sieht AfD-Bundessprecher und Görlitzer Bundestagsabgeordnete Tino Chrupalla in einem Interview mit dem Deutschlandfunk ganz anders: Die Impfung wirkt nicht wie versprochen, so argumentierte er. "Sicherlich haben wir eine hohe Impfquote von 70 Prozent. Da muss man sich als erstes fragen: Warum wirkt die Impfung nicht wie erhofft?" Als Beispiel bringt er Zahlen vom Landkreis Görlitz, wo kürzlich von rund 140 Covid-Patienten in den Kliniken rund die Hälfte geimpft war.
Doch die Impfquote von 70 Prozent stimmt für den Landkreis Görlitz ohnehin nicht. Es gibt nämlich gar keine Impfquoten nach den Wohnorten der Menschen, sondern nur nach dem Impfort. Und da wird von rund 57 Prozent für den Kreis Görlitz gesprochen. Das Problem: Im Impfzentrum Löbau, dessen Impfungen alle in der Statistik für den Landkreis Görlitz einflossen, haben sich viele Einwohner aus dem Kreis Bautzen, aus Dresden oder der Sächsischen Schweiz impfen lassen. Ihre Impfungen erhöhen die Impfquote für den Kreis Görlitz - doch der Impfschutz kommt nicht im Kreis an. Möglicherweise liegt die Quote hier dadurch sogar unter 50 Prozent.
Was ist dran an Chrupallas Argumenten?
Ungesagt bleibt bei Chrupalla auch, dass das Verhältnis von Ungeimpften und Geimpften für alle Corona-Patienten in den Kliniken im Kreis gilt. Auf den Intensivstationen ist das Bild aber ein anderes: Hier überwiegen die ungeimpften Patienten, das berichten seit Tagen die Kliniken, auch im Kreis Görlitz.
Aber ganz unrecht mag Chrupalla in einem Punkt nicht haben: Die Impfung war das Versprechen für die Rückkehr zum normalen Leben. Ungesagt bleibt dabei aber auch, warum sich das Versprechen nicht einlöste. Warum sich zu Herbstbeginn das Virus derart ausbreiten konnte, dass man inzwischen kaum noch daran vorbeikommt.
Das liegt an der Delta-Variante, die sich deutlich stärker verbreitet als die Ursprungsvariante vor einem reichlichen Jahr. Chrupallas Einschätzung über die Impfwirkung begegnete etwa der Berliner Infektionsepidemiologe Timo Ulrichs so: "Ohne Impfung wären wir schon seit Wochen im Lockdown".
Chrupallas Vorschläge zur Verbesserung der Lage lesen sich auf den ersten Blick gut: sofortige Aufstockung der Krankenbetten, weniger bürokratische Auflagen für die Kliniken, Wiedereinführung der Bettenpauschale, finanzielle Anreize für Pflegepersonal, Schutz vulnerabler Gruppen durch Testungen - auch bei doppelt Geimpften. Da aber nicht Betten in den Kliniken fehlen, wie erst vergangene Woche die Geschäftsführerin des Städtischen Klinikums in Görlitz versicherte, sondern Personal, können Chrupallas Vorschläge im Moment an der Lage kaum etwas ändern.
"Bleiben Sie standhaft!"
Die Corona-Pandemie gibt der AfD eine Bühne, sich einmal mehr als Verfechter gegen das "Establishment" darzustellen. Die AfD-Kommentare in den sozialen Netzwerken reichen fast bis zum Aufruf zum "Widerstand". Lutz Jankus, parteiloser AfD-Fraktionsvorsitzender im Görlitzer Stadtrat, der schon im Sommer bei einer Görlitzer Montagsdemo auftrat, postete im Internet: "Bleiben Sie standhaft."