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Sechs Wochen Ukrainehilfe und immer noch viel Herzblut

Im Grünen-Büro auf der Görlitzer Jakobstraße wurde seit Tag eins Flüchtlingshilfe koordiniert. Es ist nur wenig ruhiger als am Anfang.

Von Daniela Pfeiffer
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Das Team der ersten Stunde: Anne Döring, Anja-Christina Carstensen und Monique Hänel (v.l.n.r.) sind so gut wie jeden Tag im Büro auf der Görlitzer Jakobstraße.
Das Team der ersten Stunde: Anne Döring, Anja-Christina Carstensen und Monique Hänel (v.l.n.r.) sind so gut wie jeden Tag im Büro auf der Görlitzer Jakobstraße. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Die Studenten sind wieder weg. Das Semester hat angefangen und viele sind in ihre Studienstädte abgereist. Zwölf Studenten hatten fast sechs Wochen lang im Büro der Grünen auf der Görlitzer Jakobstraße täglich viele Stunden verbracht. Mit der Hilfe für ukrainische Flüchtlinge. „Sie haben fast die kompletten Semesterferien geopfert und sich hier wunderbar mit eingebracht, hochkompetente junge Leute, die sich traumhaft selbst organisieren konnten.“ In so hohen Tönen spricht Anja-Christina Carstensen von den jungen Leuten.

Freiwillige Helfer: Helena Schnettler, Hannah Krause und Tiberus Möller (v.l.) in der Ukrainehilfe auf der Jakobstraße. Hannah und Tiberius sind inzwischen wieder zum Studium, da die Semesterferien vorbei sind.
Freiwillige Helfer: Helena Schnettler, Hannah Krause und Tiberus Möller (v.l.) in der Ukrainehilfe auf der Jakobstraße. Hannah und Tiberius sind inzwischen wieder zum Studium, da die Semesterferien vorbei sind. © Martin Schneider

Anja-Christina Carstensen, Anne Döring und Monique Hänel sind noch da. Und sie sind alle Frauen der ersten Stunde, wenn man so will. Sobald der Krieg in der Ukraine begonnen hatte und klar war, dass ein großer Flüchtlingsstrom zu erwarten sein würde, wurde das Grünen-Abgeordnetenbüro von Franziska Schubert und Kassem Taher Saleh auf der Jakobstraße zu einer Koordinierungsstelle für Flüchtlingshilfe umfunktioniert. Carstensen und Döring sind hier als Angestellte und fast rund um die Uhr da - viel mehr als die Stunden, die in ihrem Vertrag stehen. Monique Hänel beendete kurz vor Kriegsbeginn ihre Elternzeit und wollte eigentlich bis Sommer eine Pause einlegen, um sich dann beruflich neu zu finden. So landete sie in der Jakobstraße und sagt nach fünf Wochen ehrenamtlicher Arbeit: „Es sind emotionale Beziehungen entstanden, das ist mir so viel mehr wert als alles Geld der Welt.“ Und sie habe Glück, dass ihr Mann sie so unterstützt und ihr gut zugeredet hat, das zu machen.

Inzwischen seien sie - ein Team von acht bis 15 Leuten - im Schnitt alle so gut zusammen gewachsen, dass sie sich alle sehr fehlen werden, wenn mal alles vorbei ist, sagt Monique Hänel. Aber wann das soweit ist, ist nicht absehbar. Noch immer kommen täglich viele Leute ins Büro. Diejenigen, die schon ein paar Tage oder Wochen da sind und Hilfe beim Ausfüllen von Formularen, bei der Suche nach einem Kita-Platz oder einer Schule oder einem Job benötigen. Aber immer noch auch diejenigen, die gerade frisch in Deutschland angekommen sind. „Es stehen nach wie vor Menschen mit Koffer in der Hand bei uns in der Tür“, sagt Anne Döring.

Oksana Polikovska war kurz nach Kriegsausbruch geflohen und hatte schon früh in der Koordinierungsstelle auf der Jakobstraße beim Übersetzen geholfen. Denys Seredenko studiert seit einigen Monaten in Görlitz und meldete sich ebenfalls als freiwilliger Hel
Oksana Polikovska war kurz nach Kriegsausbruch geflohen und hatte schon früh in der Koordinierungsstelle auf der Jakobstraße beim Übersetzen geholfen. Denys Seredenko studiert seit einigen Monaten in Görlitz und meldete sich ebenfalls als freiwilliger Hel © Martin Schneider

Verändert hat sich die Verfassung der Geflüchteten nicht wesentlich. Allerdings haben die, die erst jetzt das Land verlassen, schon deutlich mehr schlimme Dinge gesehen, Bombenangriffe erlebt. Ein paar weniger seien es wohl, schätzt Anja-Christina Carstensen. Denn die Fluchtwege sind deutlich unsicherer geworden.

Wie sehr so mancher traumatisiert ist, zeigt die Geschichte einer Familie, die Franziska Schubert erlebte. Ein Ehepaar kam nach der Flucht im Grünen-Büro an, der Mann war so aufgeregt, dass er sich nicht beruhigen konnte. Die hochschwangere Frau wurde in einem Hinterzimmer des Büros von einer Görlitzer Hebamme untersucht.

Einige Wochen später traf Franziska Schubert die Beiden wieder. Komplett neue Menschen seien sie nun gewesen, ihnen ging es viel besser, sie waren angekommen, beruhigt, der Mann hatte Arbeit gefunden. Alles dank der großen Hilfe durch das Team im Büro, aber auch der vielen Görlitzer Familien, die Ukrainer schnell und unkompliziert bei sich aufgenommen haben. „Die Leute leisten alle eine Rundumbetreuung und versorgen praktisch noch eine komplette Zweitfamilie seit mehreren Wochen mit, darunter sogar Familien, die selber von Hartz IV leben“, erzählt Monique Hänel.

Doch die Unzufriedenheit und die Belastung in diesen Familien wächst, je länger die Flüchtlinge nicht offiziell beim Landkreis registriert sind und somit auch keinerlei finanzielle Mittel erhalten. „Hier brauchen wir dringend weiter Unterstützung, sei es in Form von Gutscheinen für Supermärkte oder Geldspenden über die Ca-Tee-Drale“, sagt Anja-Christina Carstensen. Erleichterung kann jetzt auch die Möglichkeit von Abschlagszahlungen durch die Städte und Gemeinden schaffen, die mit dem Kreis vereinbart wurden.

Doch das Herzblut sei bei allen nach wie vor da. Biete man an, die Familien woanders unterzubringen, lehnen das so gut wie alle ab. "Es ehrt sie alle, dass sie zur Stange halten, aber die Unterbringung der Flüchtlinge ist Aufgabe des Landkreises und hier dauert alles viel zu lange", so Anne Döring.

„Dass durch die vielen Gastfamilien die Flüchtlinge hier weicher ankommen, als wenn sie in Aufnahmelager müssten, ist einfach großartig", sagt Monique Hänel. Aber ewig durchhalten können sie eben auch nicht. Um die 275 private Unterkünfte mit 1.060 Betten hat die Koordinationsstelle allein in Görlitz und Umgebung auf ihren Listen stehen, etwa 300 Betten sind mittlerweile wieder frei.

Doch so mancher hat sich inzwischen auch bereits wieder auf den Rückweg in die Ukraine gemacht. Und die drei Frauen erzählen von einer Tochter, die mit ihrem Vater in die Jakobstraße kam und gemeinsam seine Heimreise organisierte, wohl wissend, dass es ungewiss sei, ob sie sich je wiedersehen. Aber der Vater - noch im wehrfähigen Alter - wollte einfach zurück. Solche Geschichten und Schicksale seien es, die sie alle bewegen. Auch nach Wochen noch.

So können Sie helfen

LANDKREIS GÖRLITZ:

Für Hilfsangebote verschiedenster Art können Sie den Landkreis Görlitz kontaktieren:

Telefon: 03581 3290188, E-Mail: [email protected]

GÖRLITZER UKRAINE-HILFE

Büro Franziska Schubert, Görlitz, Jakobstr. 31, täglich ab 9 Uhr, 03581 87 66 900: Registrierung von Helfern, Sammlung privater Unterkünfte (telefonisch über 0151 152 605 48)

WILLKOMMENSBÜNDNIS GÖRLITZ:

Katja Knauthe: [email protected]

SPENDEN:

Ca-Tee-Drale:

Original verpackte Verbandsmaterialien können Montag bis Donnerstag zwischen 10 und 17 Uhr im Jugendhaus Ca-Tee-Drale e. V., auf der Christoph-Lüders-Str. 47 in Görlitz, vorbeigebracht werden.

Zentrallager Wendel-Roskopf-Straße 12:

Was genau benötigt wird, finden Sie auf der Website der Pfarrgemeinde Heiliger Wenzel.

Annahmezeiten:

Montag, Mittwoch 15-18 Uhr
Freitag 15-19 Uhr
Samstag 10-14 Uhr

Pfadfinderorganisation in Zgorzelec:

Sammelt Erste Hilfe-Artikel, zum Beispiel Verbandsmaterial, sterile Mullpakete, Wundpflaster, Schmerzmittel. Abgabe: im Sportzentrum ul. Maratonska 2, Zgorzelec

GELDSPENDEN:

Pfarrgemeinde Heiliger Wenzel Görlitz: IBAN: DE 05 7509 0300 0008 2866 47 Stichwort: Ukraine (das Geld ist für die Anschaffung von Materialien)