AfD-Kundgebung vs. Familienfest: So lief der Wahlkampf in Görlitz bis zur letzten Minute
Der offizielle Abschluss des AfD-Wahlkampfes fand zwar auf dem Theaterplatz in Dresden statt. Aber am Freitagabend sind die wichtigsten Köpfe der Partei dann doch noch einmal in Görlitz zu Gast. Eine Stadt, die sie nach Europa- und Kommunalwahlen offenbar als eine ihrer Hochburgen sehen. Etwa 920 Zuschauer wollen die beiden Bundessprecher Alice Weidel und Tino Chrupalla auf dem Marienplatz hören. Mit dabei: die Direktkandidaten für den Landkreis, allen voran Sebastian Wippel.
Er hat in Görlitz quasi ein Heimspiel, wird als "nächster sächsischer Innenminister" angekündigt. In seinem Wahlkreis Görlitz kandidiert er direkt gegen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU). Kein Wunder, dass sich Wippel vor allem auf seinen Konkurrenten eingeschossen hat - und auf seine Koalitionspartner in der Landesregierung.
- Nachrichten per Push erhalten - hier können Sie sich anmelden.
"Im kommenden Jahr machen wir den Westen blau"
Die Grünen, so Sebastian Wippel, machten ihren Gaudi-Wahlkampf. "Sie machen nichts, um das Land besser zu machen". Und Kretschmer sei auch noch stolz auf seine Kenia-Koalition. "Eigentlich müsste man sie Afghanistan-Koalition nennen", so Wippel. "Wenn Kretschmer mit den Asylfolgen um die Ecke kommt, mit einer Deckelung - mal 50.000, mal 60.000 pro Jahr - dann ist das uns zu populistisch. Unser Ziel heißt: Null Migration nach Sachsen". Derzeit gebe es hier Zustände, "die wir nicht haben wollen". Das Land müsse vom Kopf auf die Füße gestellt werden.
Ähnliche Worte findet Tino Chrupalla, angekündigt als "Michael Kretschmers schlimmster Albtraum". Chrupalla selbst bezeichnet Kretschmer als einen "Raubkopierer", der eins zu eins das Programm der AfD übernehme. Er gibt sich siegessicher: "Wir werden am 1. September in Sachsen gewinnen." Er kritisiert die angebliche Gängelei des Staates, die vor allem im Osten schlecht ankomme. "Uns braucht niemand zu sagen, welche Heizung wir haben, welches Auto wir fahren sollen", nennt er zwei Beispiele. Und positioniert sich deutlich zu einem Energiemix: Kohle, Kernkraft und Gas aus Russland. Apropos Russland: Mit einer AfD in Regierungsverantwortung werde es keine Stationierung von Langstreckenraketen geben. All das sind zwar Themen, auf die eine Landesregierung nicht allzu viel Einfluss hat - aber als Landesregierung, so Chrupalla, wolle man sich vehement für Friedenspolitik einsetzen.
- Hier können Sie sich für unseren kostenlosen Görlitz-Niesky- oder Löbau-Zittau-Newsletter anmelden.
Provokationen gegen Gegendemonstranten
Einen Plan hat er auch für die etwa 200 Gegendemonstranten vor dem C&A: "Für diese Faulpelze und Schulabbrecher heißt es dann arbeiten." Schon weit vor Start der AfD-Veranstaltung sah man viel Polizei in der Innenstadt, sie war mit einem großen Aufgebot vor Ort.
Beste Laune trotzdem bei Alice Weidel: "Hallo Görlitz, ist das schön hier", begrüßt sie ihr Publikum. Sie würde auch gern privat hier herziehen, sagt sie, eine Anspielung auf einen Spruch vom Dresdner Theaterplatz. Dort hatte sie gesagt: „Vielleicht ist ja mal eine Wohnung neben Tino Chrupallas Haus frei.“ In Görlitz ergänzt sie nun: "Es muss ja nicht gleich die Wohnung von Tino Chrupalla sein. Aber vielleicht die von Sebastian Wippel." Politisch zeigt Weidel derweil Härte. "Ich weiß, dass wir Thüringen und Sachsen blau machen werden. Die anderen werden ihr blaues Wunder erleben. Im kommenden Jahr machen wir den Westen blau."
Gegenprogramm: 600 bis 700 Gäste feiern Vielfalt in Görlitz
Bis gegen 20 Uhr bleibt es am Freitag weitgehend friedlich in Görlitz - auch wenn die meisten AfD-Demonstranten mehr oder weniger provozierend direkt an der Gegenversammlung vorbeilaufen. Komplett friedlich bleibt es derweil am Sonnabend. Die Polizei zieht zwar immer mal wieder Runden auf dem Görlitzer Obermarkt, bekommt aber nichts zu tun: Die Initiative "Görlitz bleibt bunt" und das Bündnis "Klare Kante" hatten unter dem Motto "Görlitzer Vielfalt" auf den Obermarkt eingeladen. Zu einer letzten Möglichkeit vor der Wahl, um zu zeigen, nicht ganz Görlitz ist "blau-braun", wie es Hauptorganisator Daniel Preißler ausdrückt, sondern sehr wohl bunt.
Bereits nach dem Potsdam-Treffen zwischen AfD-Mitgliedern, Vertretern der rechtsextremen Identitären Bewegung, der Werteunion und der CDU hatten Anfang des Jahres "Görlitz bleibt bunt" und "Klare Kante" eine Demonstration gegen Rechtsextremismus in Görlitz veranstaltet. Eine Demo, die stark von Reden geprägt war, "das wollten wir diesmal anders machen", sagt Preißler. Im Grunde: "Überzeugen werden wir jetzt niemanden mehr." Vielmehr gehe es darum, jene zusammenzubringen, die nicht AfD wählen. Ein Fest, um zu sehen: Man steht nicht alleine auf weiter Flur. Die AfD und ihre Anhänger "werden sich nicht verstecken", so Preißler. "Warum sollten wir es tun?"
- Mehr Nachrichten aus Görlitz und Umland oder Löbau und Umland oder Niesky und Umland oder Zittau und Umland
Es ist ein Kommen und Gehen auf dem Obermarkt, auf dem verschiedene Bands auftreten: Banda Comunale, Unerhoert und Freunde, Strom und Wasser, der Rapper Flaiz und der Liedermacher Martin Goldbaum. Bei einem Stand der Caritas kann man Strategiespiele spielen. Nebenan laufen sich die Organisatoren des Görlitzer CSD, der Ende September stattfindet, warm und nutzen die Gelegenheit, Helfer zu suchen. Bei dem Stand von Bündnis "Klare Kante" und Linksjugend verpasst Samara Schrenk den Gästen Glitzer-Tattoos, es gibt Limo, Zuckerwatte und einen kleinen Trödelmarkt. Beim Esta-Verein wird Knüppelkuchen gebacken.
"Man sieht, dass man nicht alleine ist"
Ernster geht es bei den "Engagierte Bürger_innen Görlitz" zu. Sie haben Zitate von AfD-Politikern an ihrem Stand ausgehängt, zur Mahnung, welches Gedankengut die Partei trägt. "Das große Problem ist, dass man Hitler als das absolut Böse darstellt" - ein Zitat von Björn Höcke.
Sportvereine wie die Görlitz Grizzlies und der Kampfsportverein Görlitz sind dabei, der Deutsche Gewerkschaftsbund. Mittendrin: Aus Markersdorf sind Rebekka Pelz und ihre Töchter Feline und Josefa nach Görlitz gekommen. "Es ist eine gute Stimmung", sagt Rebekka Pelz. Mehr könne zwar immer sein, aber, "es sind doch ziemlich viele da". Es lohne sich immer, Präsenz zu zeigen gegen das Klischee der braunen Oberlausitz, findet das Trio. "Und man sieht sich", ergänzt eine Freundin der Familie, Nina Rutsch. "Man sieht, dass man nicht alleine ist."
Rückenstärkung aus Wiesbaden
Um die 600 bis 700 Gäste waren insgesamt auf dem Obermarkt, wird Daniel Preißler am Abend schätzen. Das Publikum: Viele Kinder, viele Familien, auch Stadtratsmitglieder von den Bürgern für Görlitz, CDU, Motor Görlitz, Bündnisgrünen und Linkspartei. Oberbürgermeister Octavian Ursu (CDU) sitzt mit seiner Frau und einer seiner Töchter in der ersten Reihe, als Banda Comunale aufspielen.
- Hier können Sie sich für unseren kostenlosen Görlitz-Niesky-Newsletter anmelden.
Am Abend steht er dann in Funktion als OB selbst auf der Bühne: Die "Görlitzer Vielfalt" wurde ausschließlich mithilfe von Spendengeldern organisiert - Unterstützung kam gar aus Münster und der Görlitzer Partnerstadt Wiesbaden, wo am Sonnabend das 30. Jubiläum des dortigen Schlachthofes, ein soziokulturelles Zentrum, gefeierte wurde. Für ein paar Minuten feiert man gemeinsam, stärkt sich den Rücken - eine Live-Schalte zum Wiesbadener OB Gert-Uwe Mende macht es möglich.
Die Stimmung in Görlitz: Fröhlich, freundlich, aber nicht ausgelassen. Mittanzen mit den Bands, danach ist doch den wenigsten zumute. Vielleicht ist es so, wie Michal Tomaszewski von der Banda Comunale sagt: Er kritisierte die AfD deutlich. Aber, die Wahlprognosen sind, wie sie sind. Jetzt, so Tomaszewski, gehe es eher um das Danach. Darum, sichtbar zu machen, "dass die meisten Leute immer noch cool und nett sind." Das werde zu schnell vergessen.