Görlitzer Hausbesitzer tauchen ab

Das Dach ist weg. Aber das Gerüst an der Fassade reicht bis ganz nach oben. Wer derzeit von dort in das Haus hineinschaut, sieht im Wesentlichen ein großes Loch. Die Geschossdecken sind zusammengebrochen, an einer Stelle sogar schon bis hinab ins Erdgeschoss. Nur das Treppenhaus macht noch einen halbwegs soliden Eindruck. „Das ist noch begehbar“, sagt einer der Bauleute, die hier arbeiten.
Die Rede ist von der Heilige-Grab-Straße 83, einem großen Mehrfamilienhaus an der Rückseite des Aldi-Marktes Pontestraße. Einst gehörte es dem städtischen Großvermieter Kommwohnen, der damals noch WBG hieß. Er plante vor zehn Jahren sogar mal eine Komplettsanierung. Später entschied er sich dann doch zum Verkauf. Bei näherer Prüfung des Gebäudes hätten sich der Hof und die Parkplatzsituation als ungeeignet erwiesen, erklärte die damalige Sprecherin im März 2015. Außerdem seien die Bemühungen um die Erweiterung des Grundstücks ohne Erfolg geblieben.
Eigentümer sind im Ausland
Was die Käufer im Anschluss mit dem Haus vor hatten, bleibt ihr Geheimnis. Fakt ist nur: Sie leben im Ausland und haben das schon damals desolate Haus noch weiter verfallen lassen. So sehr, dass die Stadt schon im Jahr 2018 reagieren musste. Sie errichtete damals eine Absperrung, damit keine Passanten von eventuell herabstürzenden Teilen getroffen werden können.
Parallel versuchte sie, an die Eigentümer heranzukommen, schließlich waren sie in der Pflicht – und nicht die Stadt. Im Februar 2019 gab es einen Ortstermin der Baukontrolle, um die Situation einzuschätzen. Ergebnis: Das Haus ist akut einsturzgefährdet. Die Substanz sollte möglichst kostengünstig erhalten werden. „Hier brauchen wir eine schnelle Entscheidung“, sagte damals Hartmut Wilke, der Leiter des Amtes für Stadtentwicklung. Leider komme die Stadt nicht an die Eigentümer heran. Sie seien zwar bekannt, würden aber nicht auf Schreiben der Stadt reagieren.
Vor einem Jahr kam die Kehrtwende
Daraufhin hat die Stadt 2019 die Sicherung selbst ausgeschrieben. Ergebnis: Es gab zwar Firmen, die es machen würden, aber diese waren ausgelastet und haben anfangs keine Preisangebote abgegeben. Im Februar 2020 kam plötzlich die Kehrtwende: Die Eigentümer reagierten doch noch auf die Schreiben der Stadt. „Sie beabsichtigen nun, die Sicherung selbst durchzuführen, es gab einen gemeinsamen Ortstermin“, sagte Wilke damals. Die Eigentümer bezahlten nun auch die Absperrung. Schon in den nächsten Tagen sollten die Sicherungsarbeiten beginnen. Die Besitzer wollten zuerst das Dach dicht bekommen, dann die eingestürzten Decken herausnehmen und das Gebäude stabilisieren. Geplant war, das komplette Haus zu erhalten. Eine konkrete Zeitschiene vereinbarten Stadt und Eigentümer nicht.
Zweite Kehrtwende folgte
Doch dann kam die zweite Kehrtwende. „Nach dem Ortstermin vom Februar 2020 reagierten die Eigentümer nur noch sporadisch – und irgendwann überhaupt nicht mehr“, sagt Wilke. Zuerst habe es noch geheißen, dass sich die Sicherung wegen Corona verzögere, aber später erreichten die Stadt gar keine Hinweise mehr auf einen Baubeginn. Im August zeigte dann die Firma, die die Absperrung gestellt hat, bei der Stadt an, dass die Eigentümer inzwischen nichts mehr dafür überweisen. „Im Oktober fiel schließlich die Entscheidung, dass wir als Stadt dafür zahlen und mit der Sicherung selbst loslegen“, erklärt Wilke. Ein Hintergrund war auch, dass sich der Zustand des Gebäudes inzwischen weiter verschlechtert hatte. „Es sind weitere Decken eingestürzt“, berichtet Wilke. So habe die Stadt nun zur Tat schreiten müssen – mal wieder. Schon in den vergangenen Jahren sprang sie mehrfach für säumige Eigentümer ein, etwa in der Bahnhofstraße 54 oder der Bismarckstraße 29 und 18.
Im Februar begannen die Sicherungsarbeiten. Zunächst wird alles abgetragen, was kaputt ist. Das passiert mit einem Kran. So können die Bauleute von einer Gondel aus arbeiten, schließlich ist das Haus nicht mehr betretbar. „Ziel ist es, alle Geschosse zu erhalten und anschließend ein Dach aufzusetzen“, sagt Wilke. Die genaue Dachform stehe noch nicht fest: „Es wird sicher nicht die alte Form haben, möglicherweise wird es ein Flachdach.“ Wichtig sei, dass die noch vorhandene Substanz erst einmal trocken abgedeckt ist.
Nur das Nötigste wird gemacht
Wo es für die Aussteifung erforderlich ist, werden auch Geschossdecken eingezogen. Das Problem ist freilich, dass die Stadt nur so viel machen darf, wie unbedingt nötig ist, damit das denkmalgeschützte Haus erhalten bleibt. Die Stadt will die Kosten den Eigentümern schließlich in Rechnung stellen. Und da darf sie nur das abrechnen, was tatsächlich nötig ist. Wilke rechnet mit Kosten von ungefähr 100.000 Euro, aber das sei momentan noch sehr schwer einzuschätzen: „Es kann auch etwas mehr oder weniger werden.“ Bis zum Sommer werden die Arbeiten wohl dauern, schätzt er.
Und dann? Die Stadt wird den Hausbesitzern eine Rechnung schicken. Zahlen sie nicht, kann das Rathaus eine Zwangsversteigerung anstreben, um wenigstens einen Teil des Geldes zurückzubekommen. Ob der jetzige – oder ein späterer – Besitzer das Denkmal eines Tages sanieren wird, ist indes vollkommen offen.