Römer ersteigert nächste Görlitzer Ruine

Als Gaetano Barbato am Montagmorgen den Saal 119 des Görlitzer Amtsgerichts betritt und die beiden Männer hinten in der Ecke erblickt, schläft ihm fast das Gesicht ein: „Heute nicht, oder?“, murmelt er leise zu sich selbst.
Der Inhaber des Hotels Italia am Görlitzer Obermarkt und des zugehörigen Gästehauses auf der Brüderstraße erlebt sein Dèjà-vu: Die Männer heißen beide Leonardo Spettmann, sind Vater und Sohn, kommen aus Düsseldorf, handeln dort mit Buddha-Statuen und haben Barbato exakt zwei Wochen zuvor im gleichen Saal bei der Zwangsversteigerung des ruinösen Gebäudes Bismarckstraße 18 überboten. Damals stieg Barbato bei 55.200 Euro aus, der jüngere Spettmann erhielt am Ende bei 70.101 Euro den Zuschlag. Seine Masche damals: Egal, was die anderen boten: Er bot immer einen Euro mehr.

Nun also sind Barbato und die Spettmanns erneut Konkurrenten. Diesmal geht es um kein ganzes Haus, sondern nur noch um Reste: Die Rauschwalder Straße 53, schräg gegenüber der Einmündung Spremberger Straße, war so verfallen, dass die Stadt schon vor vielen Jahren alles abgerissen hat, was für Straße und Gehweg zur Gefahr geworden war. Übrig sind seither nur noch Keller- und Erdgeschoss, das Treppenhaus sowie Anbauten im Hof. Von der Denkmalliste wurde das Haus gestrichen. Es ist abbruchreif. Die Stadt empfiehlt einen Komplettabriss und einen Neubau, der sich aber in seiner Größe in die Umgebungsbebauung einfügen muss.
Eigentümerin des 700 Quadratmeter großen Grundstücks ist die „Siegfried Immobiliengesellschaft mbH in Liquidation“, die ihren Sitz in Seifhennersdorf hatte. Die Stadt hatte ihr den Teilabriss in Rechnung gestellt, sie hat nicht gezahlt. Um ihre Kosten wenigstens teilweise ersetzt zu bekommen, lässt die Stadt die Ruine nun zwangsversteigern. Der Verkehrswert liegt bei 2.800 Euro. Die Schulden der Eigentümer sind weitaus höher: 62.000 Euro bei der Stadt für den damaligen Teilabriss, für ausstehende Grundsteuern und weitere Forderungen. Vor der Stadt aber steht noch eine Firma aus Hannover im Grundbuch, bei der 15.000 Euro Schulden offen sind.

Die Versteigerung beginnt jedoch bei 3.036 Euro. Das entspricht den Gerichtskosten. Unter den elf anwesenden Interessenten wagt eine junge Polin das erste Gebot: 3.100 Euro würde sie für die Ruine zahlen. Dann steht Barbato auf: Er bietet 10.000 Euro. Ein anderer Görlitzer erhöht auf 11.000, Barbato ohne zu zögern auf 20.000. Die junge Polin geht heim, alle anderen schweigen still – bis die 30 Minuten Bietzeit abgelaufen sind. Dann ruft die Gerichtsdame Barbatos 20.000 Euro auf, zum Ersten, zum Zweiten, zum Dr ...
Konkurrenten gehen kurz raus
In dem Moment meldet sich Leonardo Spettmann junior zu Wort: 20.001 Euro. Nicht für sich, sondern für Roberto Petrucci aus Rom. Genau wie vor zwei Wochen. Während die Gerichtsdame alle Angaben notiert, geht Barbato aus dem Saal, gefolgt von Spettmann senior. Was die beiden draußen besprechen, bleibt ihr Geheimnis. Nach drei Minuten sind beide zurück. Von nun an steigern sich Barbato und Spettmann junior hoch. Egal, was Barbato bietet: Spettmann bietet einen Euro mehr. Exakt genauso wie vor zwei Wochen.
Bei 40.000 Euro bricht Barbato ins Schimpfen aus. Das Grundstück solle Görlitzer Eigentümer bekommen und keine Auswärtigen, die es am nächsten Tag weiterverkaufen. Bei der Bismarckstraße 18 war es so gelaufen: Das Haus stand bereits am nächsten Morgen für 99.999 Euro im Internet zum Weiterverkauf, angeboten von einer Anastasia Spettmann in Düsseldorf.

Für viele Beobachter stand somit fest: Die Käufer sind wohl Spekulanten. Doch alles Schimpfen nutzt Barbato nichts: Spettmann bietet für Petrucci 40.001 Euro. So geht es weiter, bis Barbato 70.000 und Spettmann 70.001 Euro bietet. Nun ist Barbato am Ende: „Wenn schon, dann wenigstens teuer“, sagt er: „Und morgen steht es wieder zum Verkauf.“ Dann steht er auf und geht. Spettmann erhält den Zuschlag.
Bei der Bismarckstraße 18 hatten die Spettmanns behauptet, Petrucci hätte in Görlitz schon mehrere Häuser und einen Bautrupp. Er würde das Gebäude als Wohn- und Geschäftshaus sanieren. Was ist diesmal geplant? „Es ist noch nicht sicher, was wir damit machen“, sagt Spettmann junior auf SZ-Nachfrage. Als die SZ auch den Senior fragt, behauptet dieser das genaue Gegenteil: „Es ist alles geplant.“ Doch was genau geplant ist, verrät er diesmal nicht.
Ein gemeinsames Essen hinterher
Er hat den Gerichtssaal nach dem Zuschlag eilig verlassen – und dabei heimlich das Gutachten für das Haus mitgehen lassen. Als die Gerichtsdame es zurückfordert, ist nur noch der Junior da. Der sagt, dass er es nicht hat. Kurz darauf gibt es draußen ein fröhliches Wiedersehen: Spettmanns und Barbato gehen gemeinsam in bester Laune in Richtung Altstadt. „Wir gehen noch zusammen essen“, erklärt Barbato.
Ob die Ruine am Dienstag zum Verkauf steht? Nicht ganz unwahrscheinlich. Immerhin kann sich die Stadt freuen: Von den 70.000 Euro gehen rund 18.000 an das Gericht und die Firma aus Hannover, aber auf rund 52.000 der ausgelegten 62.000 Euro kann das Rathaus nun hoffen – falls Petrucci am Ende tatsächlich zahlen sollte.