So wird die größte Görlitzer Villa immer schöner

Geschafft! „Vorige Woche wurden die letzten zwei Spitzen aufgesetzt, und nun ist das Dach fertig“, freut sich Helmut Bolzek. Drei Jahre hat es gedauert. Aber das Dach der Villa Goethestraße 5 ist auch kein gewöhnliches Dach, auf dem alles gerade ist. Es gibt nicht viele glatte Flächen, dafür viele Rundungen, überall sind Verblechungen nötig. Und es musste wieder mit Schiefer eingedeckt werden. Weil es dadurch teurer wird, beteiligte sich der Freistaat finanziell, zahlt also selbst für den Mehraufwand. Über die Kosten für das Dach redet Bolzek nicht so gern. „Aber man hätte mit dem Geld auch drei Einfamilienhäuser bauen können“, sagt er.

Bolzek ist ein Bekannter von Rafal Kordeusz, jenem polnischen Bauunternehmer, der die frühere Hochschul-Villa Ende 2016 gekauft hat. Bolzek dolmetscht für ihn, nimmt Behördentermine wahr – und hat den Bau im Blick. Ebenso den Anbau aus DDR-Zeiten, in dem 13 Wohnungen entstehen sollen. Dort wird nun das Dach gedeckt – ebenfalls mit Schiefer. „Das wollen wir vor dem Winter fertig bekommen“, sagt er. Es ist das Einzige, wofür es momentan einen konkreten Zeitplan gibt. Die Sanierung der Villa indes wird noch Jahre brauchen. Wie viele? Bolzek zuckt mit den Schultern. Das ist von vielen Faktoren abhängig, von verfügbaren Handwerkern und Baumaterialien, Auflagen des Denkmalschutzes – und nicht zuletzt vom Geld, das Kordeusz mit seinen Bauprojekten in Polen verdient und für seine Privatvilla in Görlitz ausgibt, wenn es in Polen gut läuft.
Ebenso unklar ist die künftige Nutzung der Villa. Kordeusz hat sie einst gekauft, weil er sich in das prächtige Bauwerk verliebt hat. Der heute 50-Jährige möchte die Villa gern nach historischem Vorbild sanieren – und anschließend selbst einziehen. Allerdings hat sie – mit dem Anbau aus den 1950er-Jahren – 2.876 Quadratmeter Nutzfläche. Ob sie tatsächlich nur die private Wohnung der Familie Kordeusz beherbergen wird, will er erst später entscheiden.

Das Hauptgebäude stammt von 1896/97, drinnen gibt es edle Holzvertäfelungen an Wänden und Decken, historische Schiebetüren, Stuck, einen Hörsaal mit halbkreisförmig angeordneten Holzsitzen, andere repräsentative Räume und obendrauf ein Türmchen mit drei Etagen. Die mittlere hat Fenster in alle Richtungen, von hier reicht der Blick auf die Altstadt mit der Peterskirche, auf die komplette Landeskrone vom Fuß bis zum Gipfel, und in der Ferne auf Iser- und Riesengebirge. Die unteren Etagen haben so viele Räume, dass man sich überall verlaufen kann. Mehrere Treppenhäuser erschließen das Haus. Keine Frage: Die Villa Hagspihl ist eines der schönsten Gebäude weit und breit. Hinzu kommen im ersten Stock eine riesige Terrasse zum Garten und ein Hanggrundstück von 5 400 Quadratmetern mit einigen alten Bäumen. Das Haus und auch das Grundstück sind denkmalgeschützt. Die Villa war nach dem Fabrikbesitzer Guido Hagspihl benannt, der hier lebte, Er war ein bedeutender Görlitzer Unternehmer, dem auch die Görlitzer Hefefabrik gehörte.
Bolzek freut sich, dass zumindest die Tiefgarage im Rohbau fertig ist. Auf 550 Quadratmetern bietet sie Platz für 24 Autos. Momentan wird sie als Lager für die Baumaterialien genutzt. Auch an der Villa geht es voran. Derzeit werden neue Fenster eingebaut. „Insgesamt gibt es 178 Fenster – und fast keine zwei sind identisch“, sagt Bolzek. Sie werden in Polen gefertigt: „Deutsche Fensterbauer haben keine Angebote abgegeben.“ Einige besonders große Fenster werden nicht ersetzt, sondern restauriert – und zwar von einer Spezialfirma im ostpolnischen Lublin, etwa 100 Kilometer vor der ukrainischen Grenze. „Wir haben diese Firma selbst besucht und uns das angeschaut“, sagt Bolzek.

Die Fenster kommen nach und nach, einige sind schon eingebaut, bei weiteren steht das kurz bevor, bei anderen dauert es noch. Wenn alle drin sind, soll die Fassade fertiggestellt werden. Parallel hat aber auch schon der Innenausbau begonnen. Eine Zwischendecke war so kaputt, dass sie getauscht werden musste, anderswo können die Decken drin bleiben, aber einzelne schadhafte Balken sind zu tauschen, die anderen werden saniert. Auch das läuft jetzt.
Besonders stolz ist Bolzek momentan auf das einstige Kutscherhaus. Es befindet sich zwischen Villa und DDR-Anbau. Letzterer wurde direkt an das Kutscherhaus angebaut. „Dabei ist die Fassade einfach zugebaut worden“, sagt Bolzek. Als nun das Dachgeschoss des Anbaus abgerissen wurde, kam die Fassade wieder zum Vorschein – und mit ihr die zugemauerten Fenster.

Mittlerweile wurden sie alle wieder geöffnet, ebenso eine Tür. Und es steht fest: Hier oben soll sie sichtbar bleiben. Damit das gelingt, erhält der Anbau an dieser Stelle ein Flachdach. Es wird zur geräumigen Dachterrasse – begehbar ausschließlich vom Kutscherhaus, nicht vom Neubau. Von hier blickt man schön ins Grüne.
Selbst die darunter befindliche Tiefgarage erhält ein begrüntes Dach, wird also von oben gar nicht mehr als solche erkennbar sein. Unterirdisch ist sie direkt mit dem Anbau verbunden. Wer unten parkt, kommt von da sowohl per Aufzug als auch über eine Treppe zu den Wohnetagen. Die stehen gerade ohne Fenster da, werden also durchgelüftet. „Und das ist auch gut so“, sagt Bolzek: „Hier riecht es jetzt schon viel besser als noch vor ein paar Wochen.“