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Zwangsversteigerung: Görlitz bleibt auf 130.000 Euro sitzen

Die Stadt hat das Gebäude Bahnhofstraße 54 notgesichert, weil die alten Eigentümer nichts unternahmen. Doch dann gab es eine böse Überraschung.

Von Ingo Kramer
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Die Stadt Görlitz hat das denkmalgeschützte Gebäude Bahnhofstraße 54 für 130.000 Euro notgesichert, damit es nicht einstürzt.
Die Stadt Görlitz hat das denkmalgeschützte Gebäude Bahnhofstraße 54 für 130.000 Euro notgesichert, damit es nicht einstürzt. © Martin Schneider

Die Fassade grau, der Putz bröckelnd, die Fenster mit Spanplatten verschlossen: Ein Schmuckstück ist die Bahnhofstraße 54 nun wirklich nicht. Für die Stadt Görlitz aber könnte das Gebäude nun zum finanziellen Desaster werden – und das sogar in doppelter Hinsicht. So, wie es aktuell aussieht, bleibt sie auf 130.000 Euro sitzen.

Haus gehörte zwei Frauen

Um das zu verstehen, ist ein Blick in die Vergangenheit notwendig. Das Haus gehörte über lange Jahre zwei Frauen. Eine heute 71-Jährige aus Görlitz war zu einem Viertel Eigentümerin des Hauses, das einst ihrer Oma gehörte. Die anderen drei Viertel gehörten ihrer sieben Jahre älteren Cousine in Bad Kösen bei Naumburg. Die beiden Frauen hatten kein besonders gutes Verhältnis. Was mit dem Haus in der Bahnhofstraße geschehen sollte, darüber konnten sie sich nicht einigen. Darüber verfiel es.

So lange, bis es akut einsturzgefährdet war. Dann forderte die Stadt die beiden auf, bis zum 28. Februar 2018 mit der Sicherung zu beginnen. Weil die Frauen sich außerstande sahen und dem nicht nachkamen, sicherte die Stadt von November 2018 bis Frühsommer 2019 als Ersatzvornahme. Kostenpunkt: 130.000 Euro. Normalerweise versucht die Stadt, dieses Geld hinterher bei den Eigentümern einzutreiben. Zahlen sie nicht, dann kommt es zur Zwangsversteigerung, bei der die Stadt hofft, wenigstens einen Teil der Kosten wieder reinzubekommen.

Zuschlag für 46.000 Euro

So war es dann auch bei der Bahnhofstraße 54. Zwangsversteigerungstermin im Amtsgericht Görlitz war der 7. April, den Zuschlag bekam für 46.000 Euro Leonardo Spettmann aus Geldern/Düsseldorf. Er hatte in den Vorwochen bereits die Häuser Bismarckstraße 18 und Rauschwalder Straße 53 ersteigert – alle drei Gebäude aber nicht für sich, sondern für Roberto Petrucci aus Rom. Teils bot er Summen, die weit über dem Verkehrswert lagen. Nun bietet Spettmanns Schwester Anastasia alle drei Häuser im Internet zum Weiterverkauf an – für Preise, die weit unterhalb der Summen aus den Zwangsversteigerungen liegen.

Für die Ruine der Rauschwalder Straße 53 bot Leonardo Spettmann 70.000 Euro, seine Schwester bot sie im Internet zunächst für 7.777 Euro zum Weiterverkauf an, inzwischen für 500 Euro.
Für die Ruine der Rauschwalder Straße 53 bot Leonardo Spettmann 70.000 Euro, seine Schwester bot sie im Internet zunächst für 7.777 Euro zum Weiterverkauf an, inzwischen für 500 Euro. © Martin Schneider

Die Bahnhofstraße 54 beispielsweise soll nur 500 Euro kosten, obwohl Leonardo Spettmann dafür 46.000 Euro geboten hatte. Mittlerweile verdichten sich die Hinweise, dass die Spettmanns nicht planen, die Ersteigerungssummen tatsächlich zu zahlen. Und, dass Petrucci nur ein Strohmann ist. Auf dessen Adresse in Rom, die Spettmann im Görlitzer Amtsgericht nannte, hat ihn die Stadt Duisburg schon vor drei Jahren nicht mehr angetroffen. Sie wollte damals offene Grundsteuerforderungen von Petrucci erheben. Somit steht die Befürchtung im Raum, dass die Stadt von den 46.000 Euro gar nichts sehen wird.

Doch im Falle der Bahnhofstraße 54 ist die Lage für die Stadt noch viel ungünstiger. Wie bei der Zwangsversteigerung am 7. April bekannt wurde, haben die Alteigentümerinnen nämlich einen Rückzieher gemacht: Sie haben zum 1. Februar 2019 ihr Eigentum durch Verzicht aufgegeben – also zu einer Zeit, als die Sicherung gerade lief und sie befürchten mussten, die Rechnung dafür zu bekommen. Seither gilt die Bahnhofstraße 54 als „herrenlos“, sie gehört also dem Fiskus. Und die Stadt kann die 130.000 Euro nicht mehr bei den Frauen eintreiben, wie Sprecherin Juliane Zachmann erklärt: „Aufgrund des zwischenzeitlichen Eintritts der Herrenlosigkeit des Grundstückes ist es aus jetziger Sicht nicht möglich, wieder an das Geld zu gelangen.“

Das Geld würde aufgeteilt werden

Doch wer bekäme dann die 46.000 Euro, falls Petrucci zahlen sollte? Es wären viele Beteiligte. Die ersten 4.000 Euro sind Gerichtskosten für die Zwangsversteigerung. Weitere 1.029 Euro bekäme die Stadt, weil die alten Eigentümerinnen in der Zeit vor ihrem Verzicht ihre Grundsteuern nicht bezahlt haben. Darüber hinaus ist das Grundstück seit 1941 mit einer Hypothek über 15.000 Reichsmark belastet, die jährlich mit vier Prozent zu verzinsen sind. Das Geld steht einer 1903 geborenen Person zu, deren Erben nicht auffindbar sind. Deshalb wird dieses Geld wohl irgendwo hinterlegt – für den Fall, dass Erben gefunden werden. Das Gericht gibt die Umrechnungskurse wie folgt an: Reichsmark in Mark der DDR 1:1, Mark der DDR in Mark der BRD 2:1, Mark der BRD in Euro 1: 0,511.

Zusätzlich ist das Grundstück auch noch mit vier Aufbauhypotheken aus DDR-Zeiten belastet. Alle vier zusammen ergeben 86.500 Mark der DDR. Sie wurden zwischen 1977 und 1988 eingetragen. „Die Sparkasse hat sich gemeldet, sie will aus diesem Geld knapp 15.000 Euro haben“, hieß es bei Gericht. Alle vier genannten Forderungen zusammen liegen unter den 46.000 Euro, die Petrucci zahlen soll. Der Übererlös ginge wohl an den Fiskus.

Die Bismarckstraße 18 war das erste Haus, das Leonardo Spettmann in Görlitz ersteigerte. Auch dieses Haus soll jetzt im Internet nur noch 500 Euro kosten.
Die Bismarckstraße 18 war das erste Haus, das Leonardo Spettmann in Görlitz ersteigerte. Auch dieses Haus soll jetzt im Internet nur noch 500 Euro kosten. © nikolaischmidt.de

Eine der beiden Ex-Miteigentümerinnen macht mittlerweile bei Facebook Stimmung gegen die Zwangsversteigerung. Das Grundstück sei herrenlos und könne deshalb gar nicht zwangsversteigert werden, behauptet sie. Doch das stimmt nicht. „Ich kann bestätigen, dass es sich um eine Zwangsversteigerung handelte, denn in der Terminbestimmung steht es so drin“, erklärt Ulrich von Küster, Pressesprecher des Amtsgerichtes Görlitz. Und weiter: „Wenn die Stadtkasse als Gläubiger vollstreckt, kann sie auch ein herrenloses Grundstück vollstrecken.“ Zudem versteigere das Amtsgericht ohnehin nur zwangsmäßig und nicht auf freiwilliger Basis.

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