SZ + Görlitz
Merken

Impfen an den verrücktesten Orten in Görlitz

Der Landkreis Görlitz geht nicht mehr davon aus, dass bis Herbst 70 Prozent der Bevölkerung geimpft sein können. Er wechselt die Strategie.

Von Susanne Sodan
 7 Min.
Teilen
Folgen
Paul Neumann ließ sich am Sonnabend vom mobilen Impfteam des DRK impfen. Das DRK bot Kurzentschlossenen die Coronaschutzimpfung am Rande der Veranstaltung "Verein(t) am Meridian" an der Görlitzer Stadthalle an.
Paul Neumann ließ sich am Sonnabend vom mobilen Impfteam des DRK impfen. Das DRK bot Kurzentschlossenen die Coronaschutzimpfung am Rande der Veranstaltung "Verein(t) am Meridian" an der Görlitzer Stadthalle an. © Martin Schneider

Hochzeiten, Firmenfeiern, öffentliche Veranstaltungen - bei Anlässen wie solchen sorgen Simone Drescher und ihre Mitarbeiter vom Kochstudio Regenbogen in Kunnerwitz für das Catering. Normalerweise. In den vergangenen anderthalb Jahren waren solche größeren Feste häufig wegen der Corona-Pandemie nicht möglich. Simone Drescher hat in dieser Zeit eine andere Aufgabe übernommen.

Sie arbeitet derzeit im Impfzentrum Löbau und hilft auch bei den mobilen Impfterminen im Landkreis Görlitz. Gerade in der Stadt Görlitz gibt es inzwischen viele Möglichkeiten, sich kurzentschlossen impfen zu lassen.

Kochstudio impft mit

Angefangen hatte es mit dem Schlesischen Tippelmarkt vor zwei Wochen. Am Rand des Veranstaltungsgeländes war ein mobiles Impfteam von DRK und Malteser mit Sanitätsdienst-Wagen vor Ort. Vorige Woche dann waren das mobile Impfteam sowie niedergelassene Ärzte auf dem Marienplatz, im Tierpark, im Klinikum, in der Pfarrei Heiliger Wenzel. Von Montag bis Freitag wird das mobile Impfteam im Klinikum Görlitz impfen, nahe dem Bistro in der Magistrale, teilt das Klinikum mit. Und Dienstag und Mittwoch ist ein mobiles Impfteam auch bei Simone Drescher im Kochstudio Regenbogen.

"Parkplätze sind hinterm Haus", sagt sie, "und der F-Bus hält direkt vor der Tür." Im Impfzentrum Löbau, wo sie jetzt meistens arbeitet, erlebe sie derzeit eine schlechte Impfbereitschaft. Das bestätigt auch ihre neue Chefin Silke Seeliger, Geschäftsführerin des DRK Löbau, das beim Impfzentrum und auch bei den mobilen Impfteams von Maltesern und ASB den Hut aufhat.

Viele Auswärtige - unklare Impfquote im Kreis

Um die 300 Personen pro Tag kommen derzeit ins Impfzentrum. "Wir könnten natürlich viel mehr." Zeitweise wurden im Impfzentrum bis zu 1.600 Impfungen täglich vergeben. Insgesamt wurden im Impfzentrum und durch die mobilen Teams rund 187.400 Impfungen vergeben, darunter über 97.000 Erstimpfungen und über 90.000 Zweitimpfungen, teilt Kai Kranich vom DRK Sachsen mit. Dazu kommen über 200 Impfungen mit dem Vakzin von Johnson & Johnson, mit dem man nur eine Dosis benötigt. Nicht eingerechnet sind die Impfungen bei den niedergelassenen Ärzten.

Damit zählt das Impfzentrum Löbau einerseits zu den stärksten nach Dresden, Leipzig, Chemnitz und Mittweida. Andererseits: Über die Impfquote unter den Kreis-Einwohnern sagt das nicht viel aus. So hatte der Landkreis Görlitz ermittelt, dass zeitweise über 40 Prozent der Patienten nicht aus dem Kreis Görlitz kamen, sondern aus Bautzen oder Dresden. Eine Untersuchung der TU Dresden hatte nahegelegt, dass in Ostsachsen sogar die Ressentiments gegen Corona-Maßnahmen besonders hoch sind.

Angst vor Repressalien auf Arbeit

Den Eindruck hat inzwischen auch Silke Seeliger. Dass Unsicherheit herrscht, gerade nach dem Hin und Her um Astra-Zeneca, dass die Patienten viele Fragen haben, sei dabei nicht der Punkt, sondern verständlich. "Mitunter herrscht aber nach einem halben Jahr noch immer Unwissenheit. Zum Beispiel scheint manchen wirklich noch nicht bewusst zu sein, dass bei jeder Impfung Ärzte dabei sind, die über die Impfstoffe aufklären."

Mehrfach habe sie auch erlebt, dass Patienten Angst haben, wem sie im Impfzentrum so begegnen - und ob die Impfung am Arbeitsplatz bekannt werden könnte. "Ich habe es erlebt, dass Leute Angst hatten vor Repressalien auf Arbeit, weil sie sich haben impfen lassen." Für sie persönlich sei die Impfung nach wie vor die Möglichkeit, "die jeder persönlich nutzen kann, um andere, die sich aus bestimmten Gründen wirklich nicht impfen lassen können, zu schützen", sagt Silke Seeliger. "Gut möglich, dass es in Zukunft Geimpfte geben wird, die sich trotzdem mit Corona infizieren, weil die Impfung nicht zu hundert Prozent vor der Ansteckung schützt. Aber das ist auch nie behauptet worden. Mit der Impfung hat man aber die Möglichkeit, die Pandemielage in Zukunft deutlich einzudämmen."

Görlitz: einmal pro Woche ein Termin

Sind nun die mobilen Impftermine eine Lösung? Gerade mit der Aktion auf dem Tippelmarkt war das DRK sehr zufrieden. Auch Simone Drescher war im Einsatz. "Es kommen dann eben doch Leute, die sagen, nach Löbau war es ihnen zu weit."

Deshalb soll es auch in Zukunft in Görlitz mobile Termine geben, sagt Oberbürgermeister Octavian Ursu. "Wir wussten im Voraus natürlich nicht, wie das laufen würde." Mit den ersten Erfahrungen habe sich die Stadt vorgenommen, einmal pro Woche ein Impfangebot in Görlitz zu schaffen. "Ich hoffe, dass möglichst viele bis Ende der Schulferien die Möglichkeit doch noch nutzen. Es ist der einzige sichere Weg für eine einigermaßen entspannte Lage im Herbst." Dafür nutzt die Stadt die Zusammenarbeit mit dem DRK, aber auch niedergelassenen Ärzten wie Leonhard Großmann.

Ein mobiles Impfteam des Deutschen Roten Kreuzes wartete am Sonnabend vor der Görlitzer Stadthalle auf Impfwillige.
Ein mobiles Impfteam des Deutschen Roten Kreuzes wartete am Sonnabend vor der Görlitzer Stadthalle auf Impfwillige. © Martin Schneider

Er hatte vorige Woche für einen Tag im Klinikum Görlitz geimpft, seine Schwester, die Ärztin Friederike Tesch im Tierpark, seine Mutter, Ärztin Barbara Großmann, in der Pfarrei Heiliger Wenzel. Ins Klinikum kamen rund 50 Impfwillige, im Tierpark waren es 95 und im Gemeindehaus 25.

Termine können helfen, Gesamtlage aber nicht ändern

Er gehe davon aus, dass die Aktionen größtenteils kurzfristig Entschlossene wahrnehmen, die zuvor aus den sozialen Netzwerken oder der Zeitung davon erfahren haben, sagt Leonhard Großmann. "Nur ein geringer Teil der Patienten bei unseren Impfaktionen hat sich wirklich spontan impfen lassen, weil sie zufällig vor Ort waren", erzählt er. "Aber auch diese Patienten gibt es." Möglicherweise könnte deren Anteil beim Tippelmarkt größer gewesen sein, "weil dort natürlich auch mehr Auswärtige zugegen waren."

Sein erstes Fazit: "Ich denke, dass niederschwellige Impfangebote helfen können, den einen oder anderen Impfwilligen oder Kurzentschlossene zur Corona-Impfung zu motivieren und die Zugänglichkeit hierfür zu erleichtern", so Großmann. "Die Impfquote als solches ist vor dem Hintergrund des aktuellen Infektionsgeschehens weiterhin besorgniserregend niedrig."

Kreis verliert Hoffnung

Auch der Landkreis Görlitz, der bis vor einigen Wochen noch optimistisch war, nimmt nicht mehr an, dass bis Herbst noch eine Impfquote von 70 Prozent erreicht werden kann. "Insgesamt geht die Nachfrage nach Impfungen im Impfzentrum und bei den Kommunalterminen derzeit zurück – nicht nur im Landkreis Görlitz", teilt Susanne Lehmann, Leiterin des Landrat-Büros mit. Der Kreis bestätigt den starken Rückgang im Impfzentrum, bei den niedergelassenen Ärzten sei zumindest bis zum 21. Juli die Terminzahl relativ konstant geblieben, bei rund 5.000 Impfungen pro Woche im Kreis.

Wegen der Gesamtlage habe sich der Kreis mit dem Impfzentrum Löbau zu einer neuen Strategie entschlossen - mehr kommunale Termine. Bei Festen, vor dem Supermarkt, beim Sportverein. "Die bisherigen Erfahrungen mit diesem Vorgehen sind gut", sagt Susanne Lehmann. "Wir erreichen auf diesem Wege Menschen, die bisher gezögert haben, grundsätzlich aber einer Impfung positiv gegenüberstehen." Gerade im Norden des Landkreises hatten sich zahlreiche Kommunen bereits in den vergangenen Wochen um solche lokalen Termine bemüht. "Die Bürgermeister signalisieren uns, dass sich die Nachfrage jetzt deutlich reduziert hat."

Auch in Niesky gab es mehrere lokale Impftermine, zuletzt am vergangenen Wochenende: Zweitimpfung für die Impfaktion Anfang Juli. Die letzte soll es nicht gewesen sein, sagt Eric Girbig von der Nieskyer Stadtverwaltung. Von den Bürgern habe es in der Vergangenheit positive Rückmeldungen gegeben. Gerade im Landkreisnorden sei der Weg bis Löbau für viele doch zu weit. Einen Termin kann Eric Girbig noch nicht nennen, "aber wir sind im Gespräch mit dem DRK, ob wir es nochmal bewerkstelligen können. Inzwischen gibt es ja auch verschiedene Optionen." Fragt man nach dem Sanidienstwagen oder doch nach einer etwas größeren Zelt-Variante.

Tatsächlich habe Görlitz bei den mobilen Terminen derzeit die Nase vorn, bestätigt der Landkreis. Aber auch andernorts gibt es in den kommenden Tagen Lokaltermine: Am Wochenende vom 6. bis zum 8. August zur Historik Mobil, am 28. August wird auf dem Feuerwehrfest in Oybin geimpft.