Internet-Aktion für Toleranz: Blieb "Görlitz zeigt Gesicht" im Sommerloch stecken?
Jan Mävers war einer der ersten 100 Görlitzer, die auf der Aktions-Webseite "Görlitz zeigt Gesicht" ihr Passfoto hochladen lassen haben, um damit ein Zeichen für Weltoffenheit zu setzen. Dem Pfarrer der Evangelischen Innenstadtgemeinde in Görlitz war und ist es wichtig, dafür einzustehen. Mit seinem Namen und seinem Gesicht - in einer Zeit, in der viele anonym im Internet in Kommentarspalten behaupten, dass man angeblich "nichts mehr sagen" dürfe, heiße ein solch öffentliches Statement etwas, findet er. Deswegen ist er vor einigen Monaten dem Aufruf gefolgt, der von einem Kernteam von elf Görlitzer Bürgerinnen und Bürger kam - und Jan Mävers steht weiterhin zu den Werten dieser Internet-Kampagne, sagt er heute.
Deren Credo lautet: Ein Bekenntnis für Toleranz, für kulturelle Vielfalt und für demokratischen Diskurs in Görlitz. Gleichzeitig stellen sich die Initiatoren gegen Menschenfeindlichkeit und politischen Extremismus. Wer diesen Grundsätzen zustimmen möchte, lädt sein Bild auf der Webseite hoch und veröffentlicht dazu seinen Vornamen. Der Nachname muss den Webseiten-Machern intern mitgeteilt werden - und der Teilnehmer kann ihn auch veröffentlichen, doch letzteres ist nicht zwingend Pflicht. Die Teilnehmer müssen zudem volljährig sein. Ende April ging die Aktions-Webseite "Görlitz zeigt Gesicht" an den Start. Sie ist von den Initiatoren auch als Zeichen gegen den Extremismus der Görlitzer Montagsdemonstranten und den politischen Rechtsdrift gedacht - auch wenn beides auf der Webseite nicht ausdrücklich beim Namen genannt, sondern eher lose umschrieben wird.
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Doch nun scheint es etwas ruhiger geworden zu sein um "Görlitz zeigt Gesicht". Eine kleine Postkarten- und Flyer-Aktion im Umfeld der Rabryka gab es, und doch - eine sehr große Welle an Aufmerksamkeit hat die Aktion noch nicht erzielt. 454 Görlitzer haben bislang auf der Gesicht-Webseite Stand Montag ihre Profilfotos zum Hochladen eingeschickt - weniger als ein Prozent der Stadtgesellschaft mit ihren 57.000 Einwohnern. Die letzten fünf Fotos kamen laut den Organisatoren in den vergangenen fünf Wochen rein - im Schnitt ein Bild pro Woche also. Zum Vergleich: Vor drei Jahren gab es schon einmal eine Online-Petition gegen die Görlitzer Montagsdemos, ins Leben gerufen von einem Görlitzer Metallbaumeister. Sie erreichte damals 2.915 Unterschriften.
Woran liegt das? Frank Seibel, einer der elf Initiatoren, sagt dazu: "Das Projekt hat natürlich in den ersten Wochen die meiste Aufmerksamkeit erzielt – es war eben neu." Hinzu komme: Das Team von "Görlitz zeigt Gesicht" arbeitet ehrenamtlich und unentgeltlich, "alle haben ihre Arbeit mit mal mehr, mal weniger Stress", und dann sei da noch die Urlaubszeit im Sommer. Generell ins Stocken geraten sei das Projekt nicht, erklärt Seibel. Zweimal gab es in den vergangenen vier Monaten seit dem Relaunch kleinere Foto-Aktionen, bei der die Macher selbst Freiwillige ablichteten und die Bilder direkt hochluden - einmal Ende April auf dem Marienplatz beim Demo-Nachmittag unter dem Motto "Der Montag ist für Vielfalt da", ein zweites Mal dann bei der Görlitzer Naschallee im Juli. Eine dritte Foto-Aktion sei geplant im Zuge der nächsten Großdemo des Bündnisses "Görlitz bleibt bunt" am 31. August auf dem Görlitzer Obermarkt.
Amadeu-Antonio-Stiftung unterstützt mit 2.500 Euro
Eine weitere Sache, die die Initiatoren benötigen, um ihre Aktion bekannt(er) zu machen, sind laut ihrer Aussage Spenden. Trotz Ehrenamtlichkeit kostet die Infrastruktur für das Projekt Geld. Zwar gehören auch die beiden Geschäftsführer der Agentur „Die Partner“, Nicolas Boutin und Lutz Kühne, mit zum Kernteam und stellen ihr eigenes Engagement und ihre Expertise zur Erstellung kostenlos zur Verfügung. Dennoch will so eine Webseite erstellt werden und dafür haben die Macher Programmierer beauftragt. Das Budget inklusive Webseiten-Erstellung, Flyern und Plakaten liege aktuell bei rund 4.000 Euro. Eine Förderung der Amadeu-Antonio-Stiftung von 2.500 Euro sowie weitere Spenden konnten die Projektmacher anwerben - doch viel Spielraum, etwa für eine kostspielige Kampagne mit Großplakaten an Hauswänden, bleibe da nicht.
Bleibt die Frage: Wie soll man die Webseite "Görlitz zeigt Gesicht" dann finden in den unendlichen Weiten des Internets? Die für die Vermarktung von Görlitz zuständige Europastadt Görlitz/Zgorzelec GmbH hat sie in einem ihrer Blogs verlinkt, auch gibt es eine Handvoll Social Media Posts - doch Links auf reichweitenstarken Seiten wie den offiziellen Haupt-Webseiten von Stadt und Landkreis oder den Seiten großer Görlitzer Unternehmen sind nicht zu entdecken. Selbst die Seite der beteiligten Agentur "Die Partner" enthält keinen Hinweis auf das Projekt. "Stimmt, da treffen Sie einen kritischen Punkt", sagt Geschäftsführer Lutz Kühne auf Nachfrage. Das liege daran, dass das Unternehmen an zahlreichen Kunden-Aufträgen arbeite und mit dem Aktualisieren des eigenen Portfolios generell etwas hinterher sei.
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Weitere Verlinkungen zu "Görlitz zeigt Gesicht" versuchen die Macher zu organisieren, sagt Frank Seibel. Auch ein Instagram-Auftritt sei "in Arbeit". Lutz Kühne meint indes, man könne es auch positiv sehen: Dass es trotz einer "relativ geringen Öffentlichkeitsarbeit" gelungen sei, 454 Personen für die Aktion zu begeistern, sei doch klasse. Luft nach oben bleibe sicherlich. Vor allem eine Zielgruppe möchte die Kampagne künftig noch stärker erreichen: Möglichst viele Manager und Unternehmer, die ebenfalls Gesicht zeigen und damit ein Signal an ihre jeweiligen Belegschaften senden.
Aktions-Webseite mit Link zum Spendenkonto: www.goerlitz-zeigt-gesicht.de