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Kreis Görlitz: Warum glauben manche an eine gefälschte Wahl?

Vor allem auf schlechte Wahlbeteiligung führen manche das schlechte Abschneiden der AfD zurück. Was da dran ist, sagt der Görlitzer Soziologe Raj Kollmorgen.

Von Susanne Sodan
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Bei vielen herrscht Erleichterung, dass Stephan Meyer neuer Landrat wird, bei anderen herrscht Enttäuschung über das Abschneiden von Sebastian Wippel.
Bei vielen herrscht Erleichterung, dass Stephan Meyer neuer Landrat wird, bei anderen herrscht Enttäuschung über das Abschneiden von Sebastian Wippel. © Martin Schneider

Das Ergebnis fiel deutlich aus bei der Landratswahl im Landkreis Görlitz. Die gewann Stephan Meyer (CDU) mit 56,4 Prozent der Stimmen. Anhänger seines stärksten Konkurrenten, Sebastian Wippel von der AfD, der 35,8 Prozent erreichte, reagieren in den sozialen Netzwerken häufig mit Verdruss. Öfter liest man dort, das Ergebnis könne nicht stimmen, oder sei vorher klar gewesen, nur auf die Unterstützung Meyers durch andere Parteien zurückzuführen, oder: "Bei so einer Wahlbeteiligung müsste die Wahl eigentlich ungültig sein."

Doch wem hat die Wahlbeteiligung eigentlich geschadet oder genützt? Raj Kollmorgen, Professor für Soziologie an der Hochschule Zittau-Görlitz, gibt Antwort.

Raj Kollmorgen ist Professor der Sozialwissenschaften und Prorektor für Forschung an der Hochschule Zittau-Görlitz.
Raj Kollmorgen ist Professor der Sozialwissenschaften und Prorektor für Forschung an der Hochschule Zittau-Görlitz. © PR-Foto

Herr Professor Kollmorgen, warum ist im Kreis Görlitz das Narrativ einer gefälschten Wahl so ausgeprägt? Unter vielen Facebook-Beiträgen zur Wahl findet man Kommentare in diese Richtung, oder man ist misstrauisch, weil die Stimmen so schnell ausgezählt waren diesmal.

Ich sehe eine grundsätzliche oder auch nur weit verbreitete Unterstellung gefälschter Wahlen in unserem Landkreis nicht. Ich kenne auch keine seriösen Erhebungen und Analysen dazu. Dass wir nach 2015 eine erhebliche Zunahme an Skepsis, Unverständnis und Misstrauen gegenüber dem Politikbetrieb und seinen Repräsentanten beobachten, ist allerdings richtig, nicht zuletzt bei uns im ländlichen Ostsachsen. Einige mögen das auch mit Blick auf die Kommunalwahlen bis zu Vorwürfen der Manipulation weitergetrieben haben. Das ist aber sicher keine Mehrheitsmeinung im Landkreis. Die Geschwindigkeit der Auszählung - die im Übrigen jeder Wähler und jede Wählerin persönlich beobachten und kontrollieren kann - überrascht angesichts der einen Wahl, der einfachen Wahlzettel und Wahlbeteiligung nicht.

Gerade die Wahlbeteiligung beklagen viele Anhänger unterschiedlicher Parteien auch in den sozialen Netzwerken. Knapp 40 Prozent gingen am Sonntag zur Wahlurne, zehn Prozent weniger als im ersten Wahlgang. Für welchen Kandidaten war das nützlich oder schädlich?

Die Wahlbeteiligung bewegt sich nur wenig unter dem langjährigen Durchschnitt für Kommunalwahlen. Gerade angesichts des Wetters am Sonntag war es insofern keineswegs eine katastrophale Beteiligung. Ich sehe auch keine relevanten Unterschiede in den Folgen für die drei Kandidaten - am ehesten noch für Stephan Meyer, weil viele Wähler der informellen Koalition zwischen CDU, SPD, Grünen bis zur Linken und Teilen der freien Initiativen und Wählervereinigungen annehmen konnten, dass dieser Block eine Art Selbstläufer ist und die AfD keine Chance haben wird. Wenn dann viele den Schluss ziehen, ihre Wahlbeteiligung sei weniger wichtig, kann es auch schiefgehen. Umgekehrt haben unter den AfD-Wählern nach dem ersten Wahlgang einige nicht mehr an eine echte Siegchance geglaubt und blieben zu Hause.

Im zweiten Wahlgang standen drei Kandidaten zur Wahl. Einer von ihnen ging grob gesagt mit dem Motto ran: „Ich bin gegen die Parteien, mache keine Versprechungen, sage aber auch nicht, was ich für Wahlziele habe.“ Warum reicht das, um immerhin acht bis zehn Prozent der Stimmen zu holen?

Ich gehe davon aus, dass Herr Arndt mit seinem Wahlkampf vor allem von denjenigen unterstützt und gewählt wurde, die mit den sogenannten etablierten Parteien – von SPD bis CDU – nichts mehr anzufangen wissen oder ausdrücklich gegen deren Machtanspruch und Bürgerferne protestieren wollen. Mit der AfD wollen sie aber – wegen deren Radikalisierung oder ihrer innerparteilichen Querelen – auch nichts zu tun haben. Herr Arndt erschien dieser Gruppe eben genau wegen seiner regionalen Herkunft, seiner Erwerbsarbeit, sicher aber auch gerade wegen seiner Politikferne und eigenen Sprache im Wahlkampf als wählbar, mindestens als Signal der Abgrenzung gegenüber jeder vermeintlich "schmutzigen" Parteipolitik. Das liegt im Trend; ich erinnere an die Erfolge der Freien Wähler, auch in Sachsen, etwa im Landkreis Zwickau.

In Nordsachsen dagegen konnte eine vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestufte Kleinpartei, die "Freien Sachsen", aus dem Stand 20 Prozent der Wählerstimmen gewinnen. Was bedeutet das für die Zukunft der Kommunalpolitik und Kommunalwahlen?

Rechtspopulistische und rechtsextremistische Parteien und Wählervereinigungen, die auf der kommunalen Ebene in Wahlen antreten, wird es auch in Zukunft geben, wobei solche Angebote heute insgesamt attraktiver sind als vor 10 oder 20 Jahren. Das macht einerseits deutlich, dass die bisher dominierenden politischen Parteien keineswegs selbstverständlich die einzig relevanten Akteure der Kommunalpolitik in Sachsen sind. Das Vertrauen in sie, ihre Bürgernähe und ihre Kompetenzen in der Problemlösung muss immer wieder und auch in neuer Weise errungen werden. Andererseits bleibt Demokratiebildung eine Daueraufgabe.