Görlitzer Bundespolizei in der Kritik: Asylrecht gebrochen?

Die Aufregung bei den Flüchtlingsräten von Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ist groß. „Wir sind entsetzt über den jüngsten Vorfall an der deutsch-polnischen Grenze", teilen sie mit. "Mindestens zwei jemenitische Staatsbürger wurden von der Bundespolizei innerhalb weniger Stunden zurück nach Polen gebracht, obwohl sie nach eigenen Angaben ein Schutzgesuch geäußert hatten." Zuerst hatte die TAZ über den Fall berichtet.
„Hier ist eindeutig etwas falsch gelaufen"
Demnach soll eine kleine Gruppe jemenitischer Geflüchteter über Ägypten, Russland, Belarus und Polen nach Sachsen gekommen sein. Eine Odyssee, beschreiben die Geflüchteten in der TAZ. Anfang Juli sollen sie von Zgorzelec über die Altstadtbrücke nach Görlitz gekommen und hier von Beamten der Bundespolizei festgestellt worden sein. Bei der Polizeiinspektion Ludwigsdorf fand dann eine Befragung statt, wie die Bundespolizei selbst mitteilt. Eine Dolmetscherin war anwesend. Wie die Geflüchteten sagen, hätten sie in dieser Befragung mitgeteilt, dass sie Asyl beantragen wollen. Immer mehr Dokumente seien ihnen vorlegt worden, die sie unterschreiben sollten.
Schließlich: Keine 24 Stunden später brachte die Bundespolizei die Jemeniten wieder zur Grenze, diesmal zur Stadtbrücke und wies sie nach Polen zurück. Die Flüchtlingsräte werfen der Bundespolizei einen "legalisierten Pushback" vor. „Hier ist eindeutig etwas falsch gelaufen – mit dramatischen Folgen für die Betroffenen", so Dave Schmidtke vom sächsischen Flüchtlingsrat. "Ihre Schilderungen werfen viele Fragen auf: Wie kann es sein, dass das Schutzgesuch von zwei offensichtlichen Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem Jemen nicht zur Kenntnis genommen wurde?" Denn sobald dieses vorliegt, erklärt der Flüchtlingsrat, hätte auch ein Verfahren beginnen müssen.
Polizei äußert sich nicht
Der Fall ist schwierig. Die Dublin-Verordnung besagt, dass für das Asylverfahren von Schutzsuchenden der EU-Staat zuständig ist, den der Geflüchtete als Erstes betritt. Relativ unstrittig in diesem Fall - das wäre Polen. Die Bundespolizei antwortete der SZ auf Anfrage seit Mittwochmittag nicht. Ob sich der Fall aus ihrer Sicht so zugetragen hat oder anders - bleibt offen. Gegenüber der TAZ hatte sie bestätigt, dass in den Diensträumen der Inspektion in Gegenwart einer Dolmetscherin eine Einreisebefragung durchgeführt worden sei. Ein Fragebogen, der mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) abgestimmt sei. Die Antworten aus der Einreisebefragung seien unverzüglich bewertet worden. "Im Ergebnis dieser Bewertung lag in beiden Fällen kein Schutzersuchen nach vorliegender Definition vor. Somit wurde die Zurückweisung nach Polen angeordnet."
Juristen haben erhebliche Zweifel
Und trotzdem, es gibt erhebliche Zweifel am Handeln der Bundespolizei, selbst bei Juristen, die in diesem Gebiet zu den Spezialisten zählen. Daniel Thym ist Professor für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht an der Uni Konstanz. Außerdem steht er stellvertretend dem Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration vor. Was sich nun im Detail abgespielt hat, "weiß ich natürlich nicht", sagt er. Aber wenn der Fall liegt, wie bislang beschrieben, sei die Rechtslage klar.
Wenn die Personen der Bundespolizei gegenüber kommunizierten, dass sie einen Asylantrag stellen möchten, erklärt Thym, dann muss ein Verfahren in Deutschland eingeleitet werden. "Das kann dann dazu führen, dass die Menschen nach der Dublin-Verordnung nach Polen zurückgeschickt werden. Dazu braucht es jedoch ein Verfahren mit Anhörung, Behördenentscheidung und Rechtsschutz."
Ein Leipziger Rechtswissenschaftler, der namentlich nicht in der SZ genannt werden will, schätzt den Fall nahezu identisch ein und fügt an: Manchmal sei Deutschland selbst dann zuständig, wenn nachweisbar ist, dass das erste Ankunftsland ein anderes ist: "Polen betrifft das weniger, aber es gibt EU-Länder, in denen die Rechte von Geflüchteten nicht ausreichend gewahrt sind."
Einfach zurückschicken gehe nach geltendem Recht nicht, sagt Daniel Thym. Für bestimmte Situationen wolle die EU-Kommission eine solche Option einführen - aber noch existiert sie nicht. Thym sagt auch, ob überhaupt ein Schutzbedarf vorliegt oder nicht, sei erst mal nicht maßgeblich. "Das wird ja alles im Verfahren erst geprüft."
Zu viele Fragen bleiben offen
Auf viele Unsicherheiten, die Komplexität des Problems weist Dominik Steiger, Professor für Völkerrecht, Europarecht und öffentliches Recht an der TU Dresden hin. Doch auch er sagt: "Es muss auf jeden Fall ein Verfahren durchgeführt werden, um zu prüfen, welcher Staat zuständig ist. Das ist grundsätzlich nach Dublin der Staat des ersten Ankommens in der EU", bestätigt er. "Unter Umständen kann es aber auch anders sein." Beispielsweise: Wenn der erste Ankunftsstaat ein Jahr nicht tätig wird, ist das Land zuständig, in dem der Geflüchtete sich inzwischen aufhält. "Das scheint in dem Fall nun nicht so zu sein, aber all das ist zu prüfen. Wird das nicht gemacht, liegt ein Verstoß vor."
Ein komplexes Verfahren, schildert er. So muss etwa in der Eurodac-Datenbank nachgesehen werden, ob ein Eintrag über eine Einreise in ein anderes EU-Land vorliegt. Die TAZ beschreibt: Sei das nicht der Fall, sei Deutschland zuständig. Das sieht Dominik Steiger anders: "Natürlich ist es oft so, dass Leute in der Datenbank nicht auftauchen, trotzdem schon woanders gewesen sind. Dennoch ist grundsätzlich entscheidend, wo die geflüchteten Menschen als Erstes in der EU angekommen sind." Was dann aber eben auch nachgewiesen werden muss.
Bundespolizei gar nicht zuständig
Und vor allem sagt Steiger ebenso wie die anderen Juristen: Für die Prüfungen ist das Bamf zuständig. Alleine schon deshalb hat er Zweifel, dass alles ordnungsgemäß abgelaufen ist. Zu den Aufgaben der Bundespolizei gehören der Grenzschutz, "und damit auch die polizeiliche Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs einschließlich der Überprüfung von Grenzübertrittspapieren und der Berechtigung zum Grenzübertritt", schildert das Bamf. Da geht es um Reisepapiere, Aufenthalts- oder Arbeitsgenehmigungen. Äußert ein Einwanderer aber, Asyl zu beantragen, dann entscheidet darüber nicht die Bundespolizei. "Nach der Unterbringung der Geflüchteten in einer Aufnahmeeinrichtung findet die persönliche Asylantragstellung beim Bundesamt statt" - und damit beginnt die Zuständigkeit des Bamf.
Wenigstens ein Wiedereinreiseverbot, wie zunächst berichtet, soll die Bundespolizei nicht gegen die Jemeniten ausgesprochen haben. Sie könnten also die Görlitzer Stadtbrücke erneut in Richtung Deutschland überqueren.