Musik aus Görlitzer Backstuben

Einer der bekanntesten Chöre in Görlitz besteht eigentlich aus zwei Ensembles. Das sagt schon der Name: Männergesangverein Bäcker und Fleischer. Während die Bäcker bereits 1898 ihren Klangkörper gründeten, vor dem es übrigens bereits ab 1885 die „Bäckersänger Germania“ in Görlitz gab, schlossen sich die Fleischer der Neißestadt erst 1924 stimmlich zusammen. Beiden Chören gemein war eine erstaunliche zahlenmäßige Stärke. Die Fleischer pochten gleich zu ihrer Gründung auf eine Vereinsfahne, während die gemütlichen Bäcker damit bis 1935 warteten. Das Schicksal der Geschichte: Während die Bäckerfahne seit der damaligen Weihe noch heute präsentiert wird, ist das Original-Exemplar der Fleischersänger seit 1990 verschwunden. „Singen ist Lebensfreude, Traditionspflege und sinnvolle Freizeitgestaltung zugleich“, begründete einst Vereinsvorsitzender Siegfried Hirche das Musizieren.
Lang ist es her. Denn die beiden noch in der DDR weit bekannten Ensembles leiden seit der Wende unter Mitgliederschwund wie so viele andere Vereine auch. Jüngere Sangesfreunde werden selten, Handwerksbetriebe ebenso. Es blieb nichts anderes übrig, als sich für alle Berufsgruppen zu öffnen. Bäcker? Fleischer? Nur noch als Chorname. Die Bäckersänger als Begründer des Namens können jetzt auf 125 Jahre zurückblicken. Am 14. April 1898 gehörten 26 Männer zu den Gründern, die Bäckermeister Rohleder als Vorsitzenden bestimmten. Dessen erste Maßnahme galt der Disziplin: Weil Mitglieder zu Proben zu spät kamen, wurden Strafgelder bis 20 Pfennig eingeführt.
1911 versuchten sich die Bäcker mit ihren Frauen als gemischter Chor, der im Ersten Weltkrieg ruhte und 1920 dann wieder als reiner Männerchor auferstand. 1925 hatte er 34 aktive Sänger. Ab 1934 gestatteten es die Meister auch ihren Gesellen, im Chor mitzusingen. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Chorbetrieb eingestellt.

Der Neubeginn erfolgte 1947 mit einem Konzert in der Fischmarktschule. 1958 erhielt die alte Vereinsfahne anlässlich der 60-Jahr-Feier eine Beschriftung auf der Rückseite: „Wie ein stolzer Adler schwingt sich auf das Lied.“ Zu DDR-Zeiten erfolgten auch Sängerreisen durch die gesamte Republik, und das Ensemble erhielt den Titel „Hervorragendes Volkskunstkollektiv“. Nach der Wende folgten dann Reisen in westliche Bundesländer, 1993 zum Beispiel zum Sängertreffen nach Kassel. Nun durfte auch das „Schlesierlied“ plötzlich nicht mehr fehlen. Dennoch umfasst das Repertoire vor allem eher traditionelles Liedgut, sprich alle gängigen Volkslieder. Und bis heute stellen die 1991 zusammengelegten Chöre ihre Sangesfertigkeiten weiter unter Beweis. Strafen für ein Zuspätkommen gibt es nun freilich nicht mehr.