Späte Wiedergutmachung für Görlitzer Museumsdirektor

Fünf Jahre leitete Ernst Polaczek die Görlitzer Museen, von 1928 bis 1933. Damals bestanden die Museen vor allem aus der Oberlausitzer Gedenkhalle, die heute im polnischen Teil in Zgorzelec steht, und Heimstatt des Kaiser-Friedrich-Museums war.
Doch was seinem Vorgänger Ludwig Feyerabend nicht gelungen war, schaffte Polaczek. 1932 erhält das Museum mit dem Kaisertrutz ein zweites Domizil in der Stadt. Das Haus Neißstraße 30 war Sitz der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften, der ebenso durch das Museum genutzt werden konnte. 1932 öffnet dort auch das neu eingerichtete Grafische Kabinett. Unter Polaczek gibt es auch weitere Einstellungen, beispielsweise von Otto-Frieddrich Gandert, der die vorgeschichtliche Sammlung ordnet und neu formt.
Doch Polaczeks Wirken in Görlitz war nicht von langer Dauer. Denn der 1870 in Reichenberg, dem heutigen Liberec geborene Museumsmann, der in Straßburg Kunstgeschichte studierte und von 1907 bis 1918 das Kunst- und Kunstgewerbemuseum in Straßburg leitete, hatte jüdische Wurzeln. Mit der Machtübernahme Hitlers und den antisemitischen Gesetzen wurde Polaczek bereits zum 1. Juli 1933 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt - mit 63 Jahren.
Rückgabe zweier Grafiken durch die Klassik-Stiftung Weimar
Dass in diesen Tagen wieder von dem früheren Görlitzer Museumsdirektor die Rede ist, hängt mit seiner Verfolgung im Dritten Reich zusammen. Polaczek ging nach seinem Rauswurf aus dem Görlitzer Museum zusammen mit seiner Frau nach Freiburg im Breisgau. Im Januar 1939 stirbt er dort, seine Frau wird im Oktober 1940 nach Frankreich deportiert und im Lager Gurs in Südfrankreich interniert. Zwar gelingt es ihr, aus dem Lager freizukommen und sich bis 1942 in Grenoble zu verstecken, hier wurde sie aber bei einer Razzia entdeckt, in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und ermordet. So beschreiben es Romy Langeheine und Cora Chall von der Klassik Stiftung Weimar, die die Verfolgung des Ehepaares erforscht hat.
Die Geschichte könnte hier zu Ende sein, ist sie aber nicht. Denn 1936 kauft das Goethe-Nationalmuseum in Weimar zwei Scherenschnitte von Adele Schopenhauer, der Schwester des Philosophen, an. Für 40 Reichsmark, der Einlieferer: Prof. Dr. Ernst Polaczek. Die Klassik Stiftung Weimar überprüft seit 2010 systematisch alle Ankäufe in den Jahren des Dritten Reichs auf NS-Raubgut. Zwei Historiker, Rüdiger Haufe und Sebastian Schlegel, sowie die Juristin Cora Chall gehören zu dem Team.
Die Historiker schauen sich auch diesen Ankauf an. Und stoßen auf viele Hinweise, dass sich Polaczek nicht freiwillig von seinen Kunstgegenständen getrennt hat. "Sehr wahrscheinlich musste Ernst Polaczek in dieser Zeit (1933-39 - Anmerkung d. Redaktion) Teile seiner privaten Kunstsammlung verkaufen, um den Lebensunterhalt für sich und seine Frau bestreiten zu können", heißt es in einem Bericht der Klassik-Stiftung Weimar. "Aus seiner Korrespondenz mit dem Freiburger Finanzamt wird zudem ersichtlich, dass er die Emigration aus Deutschland plante: Er verpfändete Wertpapiere, um die sogenannte Reichsfluchtssteuer zahlen zu können."
Seine Frau, die nach Polaczeks Tod Alleinerbin der Kunstsammlung der Familie wurde, musste schließlich die Sammlung, zu der herausragende Keramiken gehörten, an Museen im süddeutschen Raum verkaufen. Die Klassik-Stiftung Weimar jedenfalls bewertet die Druckgrafiken als NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut, "da davon auszugehen ist, dass die Verfolgung durch die Nationalsozialisten zum Verkauf der Objekte geführt hat". So wurde eine Rückgabe beschlossen. Doch an wen?
Würdige Erinnerung nötig
Der Zwangsverkauf der Keramik-Sammlung brachte die Klassik-Stiftung auf die Spur von Nachkommen.
Relativ bald nach Ende des Zweiten Weltkriegs strebten die überlebenden Nachfahren von Friedrike Polaczek ein Wiedergutmachungsverfahren an. Die Akten zu diesem Verfahren sind heute noch überliefert, sie enthalten sowohl die Erbscheine von Ernst als auch von Friederike Polaczek und nennt auch ihre zwei Cousins als Erben. Sie überlebten das Nazi-Reich, weil sie rechtzeitig nach Brasilien geflohen waren. Südamerika war ein häufig gewähltes Ziel für deutsche Exilanten. So war die Spur bis in die 1950er-Jahre laut dieser Akte gefunden. Schließlich mussten noch die heutigen Nachkommen ausgemacht werden. Ein Sohn eines der Cousins sowie deren Enkel leben heute noch in Brasilien, berichtet Cora Chall gegenüber SZ und sächsische.de. Die beiden Schopenhauer-Zeichnungen sind in diesen Tagen bei ihnen in Brasilien angekommen.
Das Görlitzer Museum sollte die Erkenntnisse der Klassik Stiftung Weimar in eine würdige Ehrung von Ernst Polaczek einfließen lassen. Noch vor wenigen Jahren hieß es in einem Beitrag des "Görlitzer Magazins", das das Museum herausgibt: "Über Ernst Polazcek ist bisher nicht viel bekannt. Nicht einmal sein Sterbedatum konnte ermittelt werden."