Das Wahlforum mit den Direktkandidaten für die Landtagswahl in Görlitz am Montagabend startet mit einer kleinen Überraschung: Die meisten im Publikum haben Vertrauen in die Arbeit der Parteien. Das sah beim Nieskyer Wahlforum, das bereits vor einigen Tagen stattfand, anders aus. Und beim Sachsenkompass, eine Umfrage der SZ und LVZ, wünschte sich fast Hälfte der Befragten, dass sich vor allem im gesellschaftlichen sowie politischen Miteinander etwas ändert. Ein Wunsch, der sich letztlich auch am Montag in Görlitz zeigte: Werden politische Auseinandersetzungen in Sachsen gut geführt? Das verneinten auch in Görlitz viele im Publikum - oder enthielten sich der Stimme. Wie die Politiker die Stimmung selbst wahrnehmen und wie man wieder ins Gespräch kommen kann, fasst die SZ zusammen.
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Wer diskutierte auf dem Görlitzer Podium?
Die meisten Besucher des Wahlforums sagten, ihre Wahlentscheidung stehe schon - dennoch war der Kleine Saal der Görlitzer Stadthalle gefüllt bis auf den letzten Platz, darunter offenbar Anhänger der Kandidaten, aber auch viele andere interessierte Bürger. Auf dem Podium: die Direktkandidaten für den Görlitzer Wahlkreis: Ministerpräsident Michael Kretschmer für die CDU, der Landtagsabgeordnete Sebastian Wippel für die AfD, Landtagsabgeordnete Franziska Schubert für die Bündnisgrünen, der Dresdner Rechtsanwalt Harald Baumann-Hasske, der für die SPD früher bereits im Landtag saß und Johanna-Marie Stiller, Heilpädagogin und Landtags-Mitarbeiterin für die Linke.
Für das Wagenknecht-Bündnis tritt in Görlitz der Koch Franz Nestler an, er wurde von Jens Hentschel-Thöricht, der voriges Jahr von der Linkspartei zum BSW wechselte, vertreten. Für die FDP tritt in Görlitz der Dresdner Medienforschungs-Student Moritz Weber an, der von Toralf Einsle vertreten wurde. Die Wahlforen in Sachsen werden von der Landeszentrale für politische Bildung, der SZ, LVZ und Volkshochschule veranstaltet.
Wie sehen die Politiker das Miteinander?
Im Großen und Ganzen könne man in Sachsen zufrieden sein mit der politischen Auseinandersetzung so Jens Hentschel-Thöricht. Er erinnerte aber an die Coronazeit, wo es Anfeindungen aus unterschiedlichen Lagern gegeben habe. Toralf Einsle dagegen erinnert an jene, die inzwischen behaupten, man habe keine Meinungsfreiheit - um dann zum Beispiel bei Montagsdemos ihre Meinung kundzutun. „Ich glaube, viele vergessen dabei, dass es eine Meinungsfreiheit gibt“, aber kein Recht darauf, ohne Widerspruch zu bleiben. Aber es brauche für Lösungen den Austausch.
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„Ich erlebe eine Gesellschaft, die sehr stark polarisiert ist“, so Harald Baumann-Hasske von der SPD, „und leider erlebe ich, dass in der Gesellschaft zu wenig diskutiert wird“, sagt auch er. Innerhalb der Politik werde schon viel debattiert, was aber oft von den Bürgern so nicht wahrgenommen wird. Vorbild sei die sächsische Politik in der Debattenkultur aber noch keineswegs, so Franziska Schubert von den Bündnisgrünen. Um zu Ergebnissen zu kommen, sollten die Politiker „stärker die Frage in den Raum stellen: Wo können wir uns einigen?“ Ähnlich sieht das Johanna-Marie Stiller (Linke). Es gebe in den demokratischen Parteien Überschneidungen, „lieber über Inhalte streiten statt über Ideale“, so Stiller.
Die AfD wurde in Sachsen vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft. Doch Stillers Unterscheidung in demokratische und undemokratische Parteien - Reizworte für AfD-Kandidat Sebastian Wippel. Diese Unterscheidung, findet er, trage bei zur gesellschaftlichen Spaltung. Einen weiteren Grund für die Unzufriedenheit sieht er darin, dass nicht eingehalten werde, was die Politik verspricht. Er erinnerte etwa an den „Volkseinwand“, der seit Jahren in Sachsen kommen soll. „Wir müssen die direkte Demokratie stärken, die Schweiz kann es auch“, so Wippel.
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Er nehme sich die Anliegen der Bevölkerung an, sagt dagegen Michael Kretschmer. Aber oft sind die Lösungen nicht einfach: „Wenn die Menschen die ganze Zeit sagen, bei der Migration muss sich etwas ändern, bei der Energiepolitik oder bei der Frage, wie es mit Russland weitergeht, und das nicht klappt, dann sind die Leute sauer.“ Sein Ziel sei, die Aufträge aus der Bevölkerung zu erledigen, „und dann kommt das Vertrauen auch wieder zurück“.
Jeder in seiner Blase? Welche Gefahren sehen die Kandidaten?
Immer wieder angesprochen am Montag: die Polarisierung der Gesellschaft. Franziska Schubert sieht dadurch die Gefahr, „dass Grenzen verschoben werden, dass Dinge, von denen man glaubte, dass sie nicht mehr gesagt werden, doch wieder gesagt werden“. Aber ein gutes Miteinander sei die Basis für viele Projekte bis hin zu wirtschaftlichen Ansiedlungen.
Ähnlich äußern sich die Kandidaten von SPD, Linke und FDP: Es brauche mehr Bürgerbeteiligung, aber viele hätten sich inzwischen von der Politik abgewendet, so Toralf Einsle und seien mehr in den sozialen Netzwerken und damit stets in ihrer Blase unterwegs. Inzwischen würden viele mehr dem vertrauen, was ein Internet-Algorithmus ihnen anzeigt als dem Nachbarn, so Johanna-Marie Stiller.
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Quasi das Gegenteil findet Jens Hentschel-Thöricht: Viele hätten Angst vor Stigmatisierung, wenn ihre Meinung nicht einer „Mehrheitsmeinung“ entspreche. Die Debattenkultur - „der eine sagt was und der andere interpretiert was ganz anderes hinein“ - sieht Sebastian Wippel als Gefahr für den Zusammenhalt. Missverstanden sieht sich die AfD immer wieder - etwa bei dem Thema Remigration, das etwa bei dem Potsdam-Treffen aufkam. Vor allem aber, so Wippel, würden sich viele in der jetzigen Politik nicht wiederfinden. „Sie sagen: Ich habe Rechts oder Mitte-Rechts gewählt und bekomme eine Mitte-Links-Politik.“
Wer will mit wem koalieren?
Was die Frage aufwarf, ob Wippel mit der CDU im kommenden Landtag koalieren wolle. „Wenn man sich den Wählerwillen anschaut, würde es wohl darauf hinauslaufen.“ Er sei aber bereit, mit jedem zu reden, mit dem es Schnittmengen gebe. Michael Kretschmer schließt eine Koalition mit der AfD aus. „Diese Partei hatte über Jahre die Möglichkeit sich zu entwickeln.“ Eine Partei, die als wirtschaftsliberal und national gestartet war, gleite immer weiter ins Rechtsextreme ab. „Es hat ja jeder für sich eine Schmerzgrenze“, so Kretschmer. Aber bei vielen AfD-Mitgliedern sei selbst beim Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke diese Grenze noch nicht erreicht.
Was tun, damit sich wieder mehr Menschen für Politik interessieren?
Von neuen Projekten bis zu Gesetzesänderungen, es habe in den vergangenen Jahren Maßnahmen für mehr Bürgerbeteiligung gegeben, schildert Franziska Schubert. Aber weder sie noch einer der anderen Kandidaten sprach sich gegen weitere Anläufe aus. Stärkung von Vereinen, mehr Geld für die Kommunen, neue Beteiligungsformate, niedrigere Hürden für Volksbegehren, alle Direktkandidaten machten Vorschläge. Auch der „Volkseinwand“ scheint noch nicht gänzlich vom Tisch. Gescheitert war er Anfang des Jahres, weil eine nötige Verfassungsänderung nicht wie gedacht umgesetzt werden konnte.