Wie viele Fotos wohl bei dieser letzten großen Veranstaltung in der Görlitzer Stadthalle entstanden sind? Der Blick in den Großen Saal von der Garderobe im ersten Rang aus ist an diesem "Entdeckertag" besonders beliebt.
Bei fast jeder der rund 30 Führungen halten Besucher ihre Smartphones bereit, stellen sich vor diesen Ausblick, lassen sich fotografieren oder machen Selfies in Richtung Bühne.
"Unsere Kindheit, unsere Jugend"
"Es ist doch unsere Jugend, unsere Kindheit", sagt eine Görlitzerin, die in den 1970er Jahren oft in der Stadthalle war und nun zum letzten Mal den Ort ihrer Erinnerungen aufsucht. Zum letzten Mal, bevor das Gebäude Anfang 2025 zur Baustelle wird und – wenn alles läuft wie geplant – 2028 in neuem Glanz erstrahlt.
Genauso geht es den meisten, die der Einladung der Kulturservicegesellschaft am 11. August gefolgt sind, um noch einmal die Räume zu erleben, der großen Orgel zu lauschen und einander zu begegnen, als wäre keine Zeit vergangen. "Weißt du noch?" ist ein Satz, der sehr oft erklingt an diesem Nachmittag. Die schönen Feiern, die Abschlussbälle, die "drei tollen Tage" rund um Fasching und die Sinfoniekonzerte sind in aller Munde.
20 Jahre Schließung hinterlässt Spuren
Vor allem Görlitzer über 60 haben sich zu den Führungen angemeldet – in so großer Zahl, dass schon alle ausgebucht sind, bevor es losgeht. Frank Seibel, Spielstättenleiter beim Kulturservice, führt einige der Gruppen durch selten zugängliche Teile des seit 2004 geschlossenen Hauses: durch Gänge, in denen noch ein paar Garderobennummern an den Haken hängen.
- Nachrichten per Push erhalten - hier können Sie sich anmelden.
Durchs Treppenhaus, in dem die Farbe abblättert. An Putten vorbei, die eigentlich aufs Dach gehören. Ins frühere Restaurant auf der Gartenseite. Und schließlich in den Keller, der einmal zentral bei der effizienten Gestaltung der Arbeitsabläufe sein wird: Von hier aus sollen Konzertbestuhlung, Konzertflügel oder Kongressmobiliar per Hubpodium in den Großen Saal befördert werden.
Auf der Neißeseite erfahren die Besucher, dass hier später ein lichter Anbau entstehen soll. Im ersten Rang wird es eine Bar geben. Im Saal zeigt Frank Seibel auf ein Stück originalgetreuer tiefroter Tapete und die Engel an der Empore, die seit den 1930ern unter Verkleidungen verborgen waren. Alles soll wieder so werden wie einst. "Der Saal wird viel schöner werden, als jeder von Ihnen ihn je erlebt hat."
Vorfreude auf die sanierte Stadthalle
An die 1.000 Menschen besuchen die Stadthalle an diesem Tag, immer wieder braucht es Besuchersperren, weil nur 400 zugleich im Saal sein dürfen. Besonders groß ist der Andrang, als Ministerpräsident Michael Kretschmer und der Görlitzer OB Octavian Ursu das Engagement aller bisher Beteiligten für die Stadthalle würdigen und die Vorfreude vieler Görlitzer beflügeln.
Auch der frühere Tourismus-Chef Matthias Schneider hat es sich nicht nehmen lassen vorbeizukommen. "Ich habe die Stadthalle 2004 zuschließen müssen", sagt er, "nun möchte ich auch dabei sein, wenn sie schließt, um bald wieder eröffnet zu werden." Kirchenmusikdirektor Reinhard Seeliger sagt nach seinem letzten Spiel an der Sauerorgel, wie sehr er hofft, dass sie den Aus- und Einbau des Pfeifenwerks übersteht, um bald wieder öfter zu erklingen. In Vorfreude sind auch Musikschulleiter Thomas Stapel, der sich an große Auftritte des Jugendsinfonieorchesters erinnert, und das Jugendblasorchester, das auf dem Vorplatz der Stadthalle Musik macht wie in früheren Zeiten.
Am Tag des offenen Denkmals, 8. September, bietet der Kulturservice noch einmal Führungen durch die Säle an sowie bis Baubeginn einmal monatlich.