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Warum plötzlich so viele Iraker nach Sachsen kommen

Die Bundespolizei hat immer wieder mit Großfamilien zu tun, die über die deutsch-polnische Grenze kommen. Jetzt werden die Kontrollen verstärkt.

Von Matthias Klaus
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Litauen: Geflüchtete stehen hinter einem Zaun des neu errichteten Flüchtlingslagers auf dem Truppenübungsplatz Rudninkai bei Vilnius. Die Zahl der Migranten nahm dort deutlich zu.
Litauen: Geflüchtete stehen hinter einem Zaun des neu errichteten Flüchtlingslagers auf dem Truppenübungsplatz Rudninkai bei Vilnius. Die Zahl der Migranten nahm dort deutlich zu. © AP

Dienstagnachmittag, Gablenz, Nähe Tankstelle. Bei der Polizei geht ein Notruf ein. Streifen des Polizeireviers Weißwasser und der Bundespolizei Ludwigsdorf rücken an. Mit dabei ist auch die Gemeinsame Fahndungsgruppe Bautzen. Offenbar wussten die Beamten, was auf sie wartet. Iraker, wieder einmal. Eine Frau (44), drei Kinder (7, 9 und 10) ein Jugendlicher (15) und elf Männer im Alter zwischen 20 und 44 werden aufgegriffen. Später kommt auch noch ein Hubschrauber der Bundespolizei dazu.

Ein Fall, aber kein Zufall. Denn die Zahl der illegal eingereisten Personen aus dem Irak häuft sich an der deutsch-polnischen Grenze. So geht es jedenfalls aus den Presseberichten der Bundespolizei Ludwigsdorf hervor.

In der vergangenen Woche stellten Bundespolizisten hinter einer Tankstelle in Rietschen zehn Geschleuste, zwei Frauen, vier Männer, vier Kinder. Manche hatten Ausweispapiere dabei. Daraus ging hervor: Es handelt sich um irakische Staatsangehörige. Laut Bundespolizei wurde die Gruppe morgens gegen 1.30 Uhr an der Waschanlage der Tankstelle ausgesetzt.

Eine Woche zuvor: In Weißkeisel bei Weißwasser kommen 21 Frauen, Männer und Kinder an, zu Fuß unterwegs, ebenfalls aus dem Irak. Was in all den geschilderten Fällen gleich ist: Ein Kleintransporter hat die Menschen offenbar bis an die deutsch-polnische Grenze gebracht. Nach dem sucht nun die Ludwigsdorfer Bundespolizei und hofft auf Zeugen.

Ein Phänomen, das in den vergangenen Jahren, ja Jahrzehnten fast ein wenig in den Hintergrund gerückt ist, tritt offensichtlich jetzt wieder verstärkt auf: illegale Einreisen, Schleusungen. Vor allem irakische Staatsangehörige werden in jüngster Zeit aufgegriffen.

Dabei ist natürlich nicht nur der Landkreis Görlitz Ziel der illegal Eingereisten. In Brandenburg bei Eberswalde wurde schon Ende Juli eine irakische Großfamilie in einem Zug nach Berlin gestoppt. Ähnliche Fälle gibt es in Mecklenburg-Vorpommern.

Wie kommt es zu dieser doch auffälligen Häufung von Fällen illegaler Einreise? Der Grund sitzt in Minsk und heißt Alexander Lukaschenko. Der Präsident von Belarus, der als solcher nicht von der EU anerkannt wird, hat Flüchtlinge vor allem aus dem Irak aber auch anderen Ländern einfliegen und sie an die Grenze zum EU-Mitglied Litauen bringen lassen. Die staatliche Fluggesellschaft Iraqi Airways hatte Direktflüge im Angebot, nicht nur aus Bagdad, sondern auch aus anderen Städten. Inzwischen wurden allerdings die Direktflüge eingestellt, die irakische Regierung holte 280 Landsleute zurück.

Polnische Nachbarn im Zugzwang

Illegale Einreisen, das bringt nicht nur Litauen in die Bredouille, sondern auch die Nachbarn in Polen. Der dortige Grenzschutz griff am Wochenende zum 9. August etwa 350 Personen auf. Die polnische Tageszeitung "Dziennek Gazeta Prawda" berichtet, dass es sich um Menschen aus dem Irak und Afghanistan handelt. Zum Vergleich: Im gesamten vergangenen Jahr seien demnach an der polnischen Ostgrenze nur 122 Migranten aufgegriffen worden.

Wie reagiert die Bundespolizei vor Ort auf das Geschehen? Aus der Bundespolizeidirektion Pirna, zu der die Inspektionen in Ludwigsdorf und Ebersbach-Neugersdorf gehören, gibt es dazu keine Informationen. Man verweist auf das Präsidium in Potsdam. Auch dort gibt man sich eher wortkarg.

Man kenne das Problem, heißt es aus dem Behördendeutsch übersetzt. Die Bundespolizei habe "die aktuelle Lageentwicklung als einen Schwerpunkt der grenzpolizeilichen Fahndungsmaßnahmen entlang der deutsch-polnischen Grenze" wahrgenommen, so Sprecher Sebastian Brandt. Allerdings: Temporär wieder eingeführte Grenzkontrollen soll es noch nicht geben. Die Bundespolizei bleibe unter dieser Schwelle.

Die Bundespolizei arbeite eng mit den Polizeien von Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen zusammen, ebenso mit dem polnischen Grenzschutz und dem litauischen. Aus "einsatztaktischen Gründen" könne aber keine Angaben zur Anzahl der eingesetzten Kräfte und über Art und Umfang der Kontrollmaßnahmen gemacht werden, lässt Sebastian Brand wissen.

Wenn die illegal Eingereisten um Asyl bitten, werden sie von der Polizei zur Landesdirektion Sachsen gebracht und dort einer Aufnahmeeinrichtung zugewiesen. "Sie werden dort zunächst für 14 Tage zur Quarantäne in einem separaten Bereich untergebracht", so Ingolf Ulrich, Sprecher der Landesdirektion. Die Aufnahmeeinrichtungen befinden sich in Dresden, Chemnitz und Leipzig. Wenn ein entsprechender Asylantrag gestellt wird, wird dieser dann bearbeitet. "Jeder, der vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden in seinem Herkunftsland flieht, hat das Recht, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen", so Saskia Geltenpoth, Sprecherin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge.

Die Zahl irakischer Staatsangehöriger im Freistaat Sachsen hat jedenfalls bisher in den vergangenen Jahren in etwa ein gleiches Niveau gehalten. Ende 2017 lebten 6.606 Iraker hier, Ende 2020 waren es 6.440 und Ende Juli dieses Jahres 6.552. Diese Zahlen stammen vom sächsischen Innenministerium.

Ob das so bleibt, ist abzuwarten. Auch wenn es keine Direktflüge aus dem Irak nach Minsk mehr gibt, so können doch weiterhin Ziele in der Region angeflogen werden, etwa Istanbul.

Der litauische Grenzschutz greift inzwischen nach Presseberichten härter durch, drängt Migranten von EU-Gebieten zurück.