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"Ich hatte Tränen in den Augen"

Der Stabschef der Görlitzer Polizeidirektion Sven Mewes war Ausbilder in Afghanistan. Er hoffte auf Veränderungen in dem Land.

Von Matthias Klaus
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Sven Mewes im Gespräch mit einem afghanischen Verantwortlichen: Zwei Jahre lang war der Görlitzer Stabschef der Polizeidirektion in Kundus.
Sven Mewes im Gespräch mit einem afghanischen Verantwortlichen: Zwei Jahre lang war der Görlitzer Stabschef der Polizeidirektion in Kundus. © privat

Wie viele waren es? Sven Mewes muss kurz überlegen. "Rund 1.000 waren es sicherlich", sagt er dann. 1.000 Afghanen, die zu Polizisten ausgebildet wurden, darunter neun Frauen. Sven Mewes ist heute Leiter des Führungsstabes der Polizeidirektion Görlitz. Zwei Jahre lang war er in Afghanistan. Dort hatte er ebenfalls eine führende Rolle inne, als Chef einer Ausbildungseinheit.

GPPT hieß die, das German Police Project Team. "Mein Auftrag, unser Auftrag war, ein Ausbildungszentrum in Kundus aufzubauen und zu leiten", sagt Sven Mewes. 2009 ging er nach Afghanistan, Sven Mewes ging freiwillig. Er war damals bei der Bundespolizei, gerade in den höheren Dienst aufgestiegen. Afghanistan, vielleicht ein Karriereschub? "Es konnte jedenfalls nicht schaden", sagt er.

Auslandserfahrung hatte Sven Mewes zu dieser Zeit schon, er war 2002, 2003 im Kosovo. Dann Afghanistan, das Land, das nun wieder für Schlagzeilen sorgt. Die Taliban haben die Macht übernommen. "Ich hatte schon ein paar Tränen in den Augen, als ich sah, was jetzt in Kundus los ist", sagt Sven Mewes. Er hat im Fernsehen Plätze gesehen, an denen er selbst früher war, die nun in der Hand der Taliban sind.

Drei Abteilungen hatte damals das Lager in Kundus: Polizeiausbildung der Deutschen, daneben der Amerikaner und dann noch die Bundeswehr. "Zu der hatten wir einen sehr guten Draht", sagt Sven Mewes. Gerade wenn es um Fahrten ins Landesinnere ging, sicherten die Soldaten diese ab. Und auch zu den afghanischen Polizeischülern gab es gute Kontakte. Sechs Wochen dauerte die Ausbildung. "Wir haben damit angefangen, wie man die Ordnung auf den Stuben hält, wie man Gebäude, Personen durchsucht, dass man die Schusswaffe wirklich nur als letztes Mittel einsetzt", schildert Sven Mewes.

Sven Mewes, Leiter des Führungsstabes der Polizei in Görlitz heute: Bereut hat er seinen Einsatz in Afghanistan nicht.
Sven Mewes, Leiter des Führungsstabes der Polizei in Görlitz heute: Bereut hat er seinen Einsatz in Afghanistan nicht. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Schwierigkeiten gab es etliche. Viele Polizeischüler konnten beispielsweise weder lesen noch schreiben. Etwa 30 Ausbilder standen unter Sven Mewes Kommando. Sicherheit ging immer vor, auch wenn es sich um keine militärische Ausbildung handelte. "Zum Beispiel beim Schießtraining. Die Polizeischüler bekamen nur drei Patronen ins Magazin und das erst, als sie auf dem Boden lagen und das Ziel anvisiert hatten", sagt Sven Mewes.

"Wir haben versucht, einen Hauch von Rechtsstaatlichkeit zu vermitteln", so Sven Mewes heute. Vielleicht habe das ja damals auch einen Teil der Bevölkerung erreicht. Verbesserungen für Kindergärten, für Schulen - Sven Mewes hat davon etliche gesehen.

Die neue Normalität in Kundus: Taliban-Kämpfer halten an einem Kontrollpunkt Wache.
Die neue Normalität in Kundus: Taliban-Kämpfer halten an einem Kontrollpunkt Wache. © AP

Wie erklärt er sich heute die schnelle Machtübernahme durch die Taliban? "Das ist relativ einfach", sagt er. "Die Afghanen orientieren sich an den jeweils Stärkeren. Damals waren wir es. Jetzt sind es die Taliban."

Er gehe davon aus, dass die Polizei jetzt im Sinne der neuen Machthaber reorganisiert wird. Das werde im ländlichen Gebiet schneller gehen als etwa in der Hauptstadt Kabul. "Auch die Taliban brauchen die Polizei", sagt Sven Mewes. Insgesamt, vermutet er, werde das Land relativ schnell wieder in seine alten Strukturen fallen.

Kontakt zu seinen früheren afghanischen Mitarbeitern hat der Stabschef keinen mehr. In Afghanistan stand ein Dolmetscher extra für ihn zur Verfügung, auch als eine Art Warnsignal. "Ich habe ihn immer an meiner Seite wissen wollen. Wenn er sich entfernt hat, wusste ich, hier stimmt was nicht", so Sven Mewes.

Er habe gehofft, ein bisschen mehr Einfluss auf die Gesellschaft zu haben, sagt er heute, eine gewisse Ordnung in der Führung zu schaffen. Einen bewaffneten Bürgerkrieg in Afghanistan, den sieht Sven Mewes derzeit nicht. Die Machtübernahme durch die Taliban sei ja so gut wie ohne Widerstand gelungen.

Mit den Polizeischülern hatten seine Ausbilder guten Kontakt, schildert er. "Wir haben sie behandelt, wie unsere deutschen Schüler auch. Mit Respekt, aber auch mit klaren Ansagen", so Sven Mewes.

Polizeiausbildung im deutschen Lager in Kundus: Viele Bewerber konnten weder schreiben noch lesen.
Polizeiausbildung im deutschen Lager in Kundus: Viele Bewerber konnten weder schreiben noch lesen. © privat

Das Leben in Afghanistan, es war spartanisch. Dabei hatte Sven Mewes als Ausbilder Glück. Er bekam eine feste Unterkunft. Etliche seiner Ausbilder mussten mit Zelten vorliebnehmen. "Höhepunkte im Leben im Lager waren der Montag mit dem Kinoabend und am Freitag das Frühstück mit dem Pfarrer", schildert Sven Mewes. Urlaub gab es nach zwei Monaten, für zwei Wochen.

Hier empfängt Sven Mewes den damaligen Innenminister Thomas de Maizière in Kundus im Ausbildungslager.
Hier empfängt Sven Mewes den damaligen Innenminister Thomas de Maizière in Kundus im Ausbildungslager. © privat

Bereut hat er seinen Einsatz keinesfalls. "Persönlich hat er mir viel gebracht, vor allem an Erfahrung", sagt Sven Mewes.

Seit Frühjahr dieses Jahres ist er Stabschef in der Görlitzer Polizeidirektion. Er wurde nach der so genannten Munitionsaffäre von Dresden an die Neiße versetzt. Polizisten sollen 2018 Munition aus den Beständen der sächsischen Polizei entwendet haben. Sven Mewes war Chef der Spezialeinheiten, musste mit dem Chef des Landeskriminalamtes in der Folge seinen Posten räumen, kam nach Görlitz.

Hier hat er sich inzwischen eingelebt, sagt er. In der Altstadt hat Sven Mewes ein Quartier auf Zeit bezogen. Denn natürlich zieht es ihn immer wieder nach Hause, nach Bonn. Deshalb ist er Wochenendpendler. "Acht Stunden mit der Bahn", erzählt er. Wenn nicht gerade gestreikt wird.