Wer lebte hinter diesem Fenster?

Am Tag danach ist alles wieder wie immer in der Brautwiesenstraße. Der Verkehr rollt, die Menschen erledigen ihre Besorgungen. Nur einer fehlt: der Mieter aus einer der beiden Dachgeschosswohnungen in der Nummer 35. Bei ihm war am Dienstag, gegen 10.30 Uhr, der Brand ausgebrochen, für den mehr als 50 Feuerwehrleute und zehn Rettungsdienstler ausrückten. Den Wohnungsinhaber aber trafen sie nicht an, er war nicht zu Hause.

„Das war ein freundlicher, großer junger Mann“, sagt Yasar Özhan vom Ege-Döner in der Brautwiesenstraße 2 – direkt gegenüber des Brandhauses. Özhan war es auch, der die Feuerwehr alarmiert hat, als er die Flammen sah. Ein- bis zweimal pro Woche sei der Mann gekommen, um einen Döner zu essen: „Immer freundlich.“ Es sei ein Deutscher gewesen. Vor etwa zwei Jahren sei er eingezogen. Ab und an habe er mal seine Maske vergessen, aber sonst könne er nichts Negatives sagen. Nach dem Brand habe er ihn bisher nicht wieder gesehen.
Ein paar andere Leute aus dem Brandhaus haben bei ihm die Zeit überbrückt, in der sie nicht in ihre Wohnungen konnten. Das sei entspannt gewesen, sagt Yasar Özhan: „Es waren vielleicht vier Leute. Die Meisten waren ja zu dieser Zeit arbeiten.“
Auch Heinz-Reinhard Conti-Windemuth, der im Nachbargebäude des Brandhauses lebt, kennt den Mieter. Ja, bestätigt er, manchmal sei der Mann sehr freundlich gewesen: „Aber nicht immer.“ Er sei psychisch krank, habe immer wieder Schübe gehabt, in denen er Dinge aus dem Fenster geworfen und dabei laut herumgeschrien habe. „Einmal saßen wir im Hof, da hat er Teile seiner Dusche nach uns geworfen“, erinnert sich Conti-Windemuth. Zum Glück habe er niemanden getroffen.
In solchen Situationen habe er öfter die Polizei gerufen. Da der Mieter die Wohnungstür nicht geöffnet habe, rückte auch manchmal die Feuerwehr an. „Zwei Feuerwehrautos, der Notarztwagen und zwei Polizeifahrzeuge waren dann da“, sagt er. Da habe es immer eine große Aufregung gegeben. Meist sei der Nachbar dann von der Polizei mitgenommen worden. Gebrannt aber habe es dort vorher noch nie.
Einen Tag vor dem Brand war die Polizei da
Das letzte Mal rief Conti-Windemuth an diesem Montagnachmittag die Polizei: „Da hat der Mann Fensterflügel nach unten geworfen.“ Möglicherweise habe er ein parkendes Auto getroffen. „Die Polizei hat sich darum gekümmert, aber mitgenommen hat sie ihn diesmal nicht“, sagt er. Am nächsten Tag sei der Brand ausgebrochen. Ob der Mieter ihn selbst gelegt hat, wie manche Leute in der Straße mutmaßen? „Das weiß ich nicht, aber auszuschließen ist es nicht“, sagt er. Wenn, dann wohl der Nachbar selbst: „Jemand anderes war nicht in der Wohnung.“ Aufgrund seiner psychischen Erkrankung sei der Mann nicht arbeitsfähig: „Er tut uns allen sehr leid.“ Die Aussagen von Özhan, wonach der Mann um die 30 Jahre alt und vor zwei Jahren eingezogen sei, bestätigt Conti-Windemuth: „Ja, das kann beides hinkommen.“
Ein anderer Nachbar führt am Mittwochmittag gerade seinen Hund aus. Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Er lebe im Erdgeschoss des Brandhauses, sagt er. Am Vortag sei er arbeiten gewesen und erst am Abend nach Hause gekommen. „Wenn die Feuerwehr nicht eine Scheibe meiner Wohnungstür zerschlagen hätte, um zu prüfen, ob ich da bin – dann hätte ich von dem Brand gar nichts mitbekommen“, sagt der Erdgeschoss-Mieter. In seiner Wohnung gebe es jedenfalls weder Schäden durch Löschwasser noch Ruß.
Ein Teller voller Nudeln flog aus dem Fenster
Der Mieter von ganz oben sei „komisch“ gewesen, sagt er: „Einmal flog ein Teller voller Nudeln aus seinem Fenster.“ Seit etwa zwei Jahren wohne er hier. Aber viel mehr wisse er nicht über den Mann.
Im zweiten Stock – zwei Etagen unter der Brandwohnung – lebt ein junges polnisches Paar. Die Frau war arbeiten, als es brannte, der Mann zu Hause. Er musste für zwei oder zweieinhalb Stunden raus. Auch am Mittwoch ist er da – und zeigt auf zwei kleine Flecken an zwei Zimmerdecken. Sie stammen vom Löschwasser, das durchgesickert ist. Aber ansonsten sei nichts beschädigt, es riecht auch nicht verbrannt: „Wir hatten Glück.“
Letztlich sind im Haus offenbar nur drei Wohnungen ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen worden – und vorerst auch nicht bewohnbar. Natürlich die Brandwohnung selbst, dazu die Nachbarwohnung im Dachgeschoss, wo der Rauch hineingezogen ist – und schließlich die Wohnung unter der Brandwohnung, die einen Wasserschaden durch das Löschwasser hat. Aber so wie es scheint, stand diese Wohnung ohnehin leer, sodass nur die Mieter der beiden Dachgeschosswohnungen betroffen sind. Nach dem Mieter der Brandwohnung werde noch gesucht, sagt Conti-Windemuth.
Die Polizei konnte das bis zum Mittwochabend nicht bestätigen und ist auch zur Vorgeschichte nicht aussagefähig. Sie kündigt eine Zuarbeit für Donnerstag an. Nur eines kann Sprecher Kai Siebenäuger sagen: „Von der Brandursachenermittlung liegen bisher noch keine Ergebnisse vor.“