SZ + Görlitz
Merken

Görlitz: Die Angst vor einer neuen Mauer

Der ehemalige Superintendent Friedhart Vogel gedachte der Opfer des Mauerbaus. Für den Görlitzer Bürgermeister Michael Wieler ein wieder sehr aktuelles Ereignis.

Von Susanne Sodan
 3 Min.
Teilen
Folgen
Michael Wieler (li.) und Friedhart Vogel legen gemeinsam einen Kranz nieder.
Michael Wieler (li.) und Friedhart Vogel legen gemeinsam einen Kranz nieder. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Der Görlitzer Bürgermeister Michael Wieler und der ehemalige Superintendent Friedhart Vogel gedachten mit rund 40 Gästen am Sonnabend der Opfer des Mauerbaus. Für den Görlitzer evangelischen Geistlichen Friedhart Vogel hatte der Mauerbau ab dem 13. August 1961 ganz direkte Folgen - wie für so viele.

Als Kind und Jugendlicher erlebte er, 1941 in Görlitz geboren, die Entwicklungen, die letztlich zum Mauerbau führten: Vogel schilderte etwa, wie er als Schüler den Aufstand am 17. Juni 1953 erlebte. "1956 beim Aufstand in Ungarn schöpften wir noch einmal Hoffnung, dass sich vielleicht auch bei uns etwas verändern könnte. Aber nach der Niederschlagung auch dieses Aufstandes war klar: Es gibt keine Veränderung im Sozialismus", so Friedhart Vogel. „Wirtschaftliche Gründe, fehlende und vorenthaltene Grundfreiheiten und eine Perspektivlosigkeit führten zu einer Massenflucht aus der DDR.“

Friedhart Vogel war ab 1985 Superintendent des Kirchenkreises Hoyerswerda, wo er bis heute lebt.
Friedhart Vogel war ab 1985 Superintendent des Kirchenkreises Hoyerswerda, wo er bis heute lebt. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Vogel selbst wollte im Herbst 1961 an der Freien Universität in Westberlin studieren. Was nach dem Mauerbau hinfällig war. Trotz der vorherigen Entwicklungen, der Mauerbau habe ihn überrascht. „Wie so viele musste auch ich überlegen, wie es weitergehen sollte.“ Vogel wurde zunächst Straßenbahnfahrer in Görlitz, studierte später in Greifswald Theologie.

Zwei Jahre Gefängnispfarrer in Bautzen II

In den zehn Jahren bis 1989 war Vogel in Görlitz Gefängnispfarrer, mit politischen Gefangen habe er damals weniger zu tun gehabt. Doch kurzzeitig war er auch Gefängnispfarrer in Bautzen II, der Stasi-Sonderhaftanstalt. Vogel erinnerte sich an zwei Gefangene dort, die versucht hatten, über die Ostsee die DDR zu verlassen, und gedachte der Menschen, die auf Fluchtversuchen ums Leben kamen oder wie in diesen beiden Fällen lange Haftstrafen verbüßen mussten. Friedhart Vogel gehörte in der Wendezeit dem Runden Tisch des Kreises Hoyerswerda an, fungierte als Moderator. Heute lebt Vogel in Hoyerswerda, ist Ehrenbürger der Stadt.

Mauerbau selten so präsent wie heute

Für den Görlitzer Bürgermeister Michael Wieler war das Mauerbaugedenken dieses Jahr so präsent wie kaum zuvor. Der Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar - für ihn habe es das Gefühl ausgelöst, „dass architektonische Platten verrückt wurden“, eine gewisse Stabilität der vergangenen Jahre endgültig wankt. Die vergangenen 30 Jahre seit dem Mauerfall seien einerseits mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten verbunden gewesen, die viele Menschen gerade in den 90er Jahren getroffen haben, teils bis heute beschwerten. „Dennoch hatte ich den Eindruck, dass eine gewisse Stabilität unsere Gesellschaft trägt“, die Mauer doch überwunden war.

In erster Reihe: Volker Bandmann, der viele Jahre für die CDU dem sächsischen Landtag angehörte und sich dort ab 1990 für die Görlitzer Region einsetzte.
In erster Reihe: Volker Bandmann, der viele Jahre für die CDU dem sächsischen Landtag angehörte und sich dort ab 1990 für die Görlitzer Region einsetzte. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Mit dem Krieg in der Ukraine habe er das Gefühl, dass die Mauer, die 1961 gebaut wurde, wieder aufersteht, wenn auch nicht physisch und nicht an dieser Stelle. Dass Strukturen, die nach dem Mauerfall als überwunden galten, nun mancher wiederherstellen will. „Mich macht das fassungslos, so wie die Menschen damals der Mauerbau fassungslos machte, dass es heute noch möglich ist, mit alten Panzern und physischer Gewalt in ein Land einzurollen", Menschen ums Leben kommen. In seiner mutmaßlich letzten öffentlichen Rede als Bürgermeister von Görlitz appellierte Wieler, wieder miteinander zu reden, wo man es verlernt hat, „und zu schauen, dass die Mauer nicht wieder aufersteht, während wir dabei zusehen".