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Wahlkampf in Görlitz: "Der Trubel wird sich nach der Wahl nicht schnell legen in Sachsen"

Der Görlitzer Politikwissenschaftler Julian Nejkow beobachtet den Landtagswahlkampf genau - und beklagt zu viel Plattitüden und zu wenig Inhalt.

Von Susanne Sodan
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Der Wahlkampf geht in den Endspurt, auch in Görlitz.  Politikwissenschaftler Julian Nejkow wünscht sich mehr Sachlichkeit, vor allem für die Zeit nach dem Wahltag.
Der Wahlkampf geht in den Endspurt, auch in Görlitz. Politikwissenschaftler Julian Nejkow wünscht sich mehr Sachlichkeit, vor allem für die Zeit nach dem Wahltag. © André Schulze

Der Wahlkampf vor der sächsischen Landtagswahl kommende Woche geht in den Endspurt. Zig Podiumsdebatten, Stunden an Wahlständen, Besuche diverser Veranstaltungen liegen hinter den Kandidaten. Dennoch, über viele Wahlkampfkandidaten sei man trotzdem nicht wirklich schlau geworden, sagt der Görlitzer Politikwissenschaftler Julian Nejkow. Was ihm in diesem Wahlkampf fehlt.

Julian Nejkow ist Politikwissenschaftler und Organisator von "Görlitz debattiert".
Julian Nejkow ist Politikwissenschaftler und Organisator von "Görlitz debattiert". © Mario Heller

Herr Nejkow, Sie hatten mit der Volkshochschule zusammen selbst ein Gesprächsformat vor der Wahl angeboten, "Görlitz debattiert". Warum braucht es das, obwohl es derzeit so viele Wahlforen, Talkshows und so weiter gibt?

Das Format "Görlitz debattiert" findet in unregelmäßigen Abständen statt und soll, unabhängig von Wahlen, anregen, in einer unaufgeregten Atmosphäre ins Gespräch über strittige Themen zu kommen. Bei unseren bisherigen Veranstaltungen waren auch Politiker dabei, die sich mit an den Tisch gesetzt und mit den Teilnehmern gesprochen haben. Ich finde, Diskutieren auf gleicher Augenhöhe findet auch in diesem Wahlkampf zu wenig statt.

Viele Wähler scheinen sich inzwischen aber ein Bild gemacht zu haben. Beim Wahlforum in der Görlitzer Stadthalle kürzlich sagte der Großteil der Gäste, sie hätten ihre Wahlentscheidung bereits getroffen.

Bei einem solchen Wahlforum ist davon auszugehen, dass ein bereits recht gut informiertes Publikum hingeht und sicherlich auch Unterstützer der einzelnen Kandidaten. Wir wollen Leute abholen, die eher nicht zu einem Wahlforum gehen würden. Ich muss aber zugeben, unsere Wahl-Auflage von "Görlitz debattiert" hatte mit Blick auf die Gästezahl eine heftige Delle.

Vielleicht, weil es eben doch viele andere Wahlkampf-Veranstaltungen gibt derzeit, mancher vielleicht gar übersättigt ist?

Das mag ein Grund sein, ja. Andererseits ist die Gesellschaft so politisiert wie lange nicht mehr. Aber die Lust, miteinander zu debattieren, scheint gering. Insgesamt ist mein Eindruck, dass die Wähler viele Inhalte konsumieren, zuhören, sich eine Meinung bilden, aber trotz aller Politisierung kaum selbst in Erscheinung treten wollen. Und bei den Politikern ist zu wenig echte Debatte zu spüren.

Das finde ich nicht. Wir veröffentlichen in der SZ den "Wahlkalender" mit fast täglichen, sehr verschiedenen Wahlveranstaltungen, in den sozialen Netzwerken reichen mitunter Kleinigkeiten, um Debatten auszulösen - allerdings oft unter der Gürtellinie. Bekannt ist der Fall des mittelsächsischen Landrates, der auch wegen Anfeindungen sein Amt niederlegt. Haben Sie Verständnis für Politiker, die sich vielleicht nicht mehr ins Bad der Menge werfen wollen?

Ja und nein. Ich finde, es wird viel gesprochen - aber es wird viel zu wenig debattiert. Es stehen nur vergleichsweise wenige Themen im Fokus dieses Wahlkampfes. Man kommt inhaltlich kaum weiter. Die langen Gespräche über den Ukrainekrieg - ich weiß, dass das die Menschen sehr bewegt. Aber wir wissen alle, dass die Landesregierungen kaum Einfluss haben auf dessen Verlauf. Und die Meinungen stehen derzeit unheimlich fest. Insofern herrscht tatsächlich ein enormer Druck auf die Wahlkämpfenden - jeder muss fürchten, dass einzelne Äußerungen herausgeschnitten und für Vorwürfe genutzt werden. Ich denke, auch das sorgt dafür, dass dieser Wahlkampf so plattitüdenhaft daherkommt.

Wie könnte man es denn besser machen?

Ich behaupte nicht, dass die Landtagskandidaten der verschiedenen Parteien keine Inhalte haben - die haben sie. Aber in der derzeitigen gesellschaftlichen Stimmung setzen sie im Wahlkampf viel auf bestimmte Schlagworte. Ich finde es wichtig, die Emotionen zurückzufahren - vor allem auch nach der Wahl. Der Trubel wird sich nach dem 1. September nicht schnell legen, sondern die Frage, wohin wir jetzt eigentlich wollen, wird auch bei der Koalitionsbildung weiter Thema sein.

Sie sprachen an, dass viele Menschen trotz Politisierung nicht selbst politisch in Erscheinung treten wollen. Im Sachsenkompass, eine große Umfrage von SZ und LVZ, gaben viele Befragte im Kreis Görlitz an, sich selbst politisch nicht zu engagieren - obwohl sie mit der Arbeit der Bundesregierung zum Beispiel ziemlich unzufrieden sind. Wie passt das zusammen?

Die parteipolitische Verwurzelung war in Ostdeutschland schon immer gering, in Westdeutschland ist sie gesunken. Der Trend geht seit einiger Zeit dahin, Bündnisse oder Wählerinitiativen jenseits der großen Bundesparteien zu bilden: Bei den Kommunalwahlen waren in nicht wenigen Gemeinden Wählervereinigungen die Gewinner, die mitunter sogar deutlich mehr Stimmen als konkurrierende AfD-Kandidaten holten. Da dürfte der Gedanke dahinterstehen: Das sind Leute von uns, die sind in keinen Parteien gebunden. Darin zeigt sich auch das Misstrauen gegenüber Bundesparteien, besonders den Bündnisgrünen. Man muss aber auch sagen: Es ist echte Arbeit, sich politisch einzusetzen und es ist letztlich viel einfacher, Beobachter und Kritiker zu bleiben.