"Polen hat die Kontrolle verloren"

Als wäre Corona nicht schon schlimm genug, so kämpft der Landkreis gemeinsam mit dem Freistaat Sachsen noch gegen eine andere Seuche: die Afrikanische Schweinepest. Im gesamten Norden des Landkreises versuchen Technisches Hilfswerk, Jäger, Behörden, Forst- und Landwirte die Verbreitung der Seuche zu verhindern. Doch seit einer Woche ist das noch schwieriger geworden.
Lange Zeit fanden die Helfer verendete Wildschweine nur in einem eng umgrenzten Gebiet rund um Skerbersdorf, wo am 30. Oktober das erste Wildschwein geschossen wurde, das sich - wie sich später herausstellte - mit dem Erreger der Afrikanischen Schweinepest angesteckt hatte. Für den Menschen ist dieses Virus völlig unschädlich, aber einmal im Bestand von Hausschweinen beginnt unter denen das große Sterben.
Neue Sperrzone bis Horka
Doch nun wurde am 17. Januar ein Wildschweinkadaver drei Kilometer westlich der Neiße und außerhalb der Sperrzone rund um Skerbersdorf gefunden, fünf Tage später kam die Bestätigung, dass es sich um die Afrikanische Schweinepest handelt. Für das Veterinäramt des Kreises Görlitz war das ein Schock. Udo Mann, stellvertretender Amtstierarzt, ist auch eine Woche danach, am Donnerstag vor Journalisten noch anzumerken, welch Erschrecken diese Nachricht auslöste. Doch es nütze ja nichts, macht sich Mann selbst und anderen Mut.

Nun wird der gleiche Instrumentenkasten genutzt, dessen Möglichkeiten auch schon beim ersten Fund angewendet wurden. Die Sperrzone entlang der Neiße, wie gefährdetes Gebiet im Amtsdeutsch genannt wird und bislang 160 Quadratkilometer umfasste, wird nun von der Landkreisgrenze bei Bad Muskau nach Süden bis zur Höhe der Gemeinde Horka auf 322 Quadratkilometer erweitert. Die Pufferzone umfasst dann den gesamten Landkreis Görlitz nördlich der Autobahn A 4 und damit eine Fläche von 826 Quadratkilometern, bislang waren es nur 605.
Um den eigentlichen Fundort bauen Mitarbeiter der kreislichen Straßenmeistereien bis Anfang nächster Woche einen mobilen Elektrozaun mit einer Länge von 18 Kilometern, um ein mögliches Ausbüxen weiterer infizierter Tiere zu vermeiden. Entlang der B 115 und der Bahnlinie Zentendorf-Horka-Niesky schickt der Freistaat Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks aus, um einen weiteren Zaun zu errichten - bis 12. Februar soll er auf einer Länge von 30 Kilometern stehen. In dem neuen gefährdeten Gebiet gilt ein komplettes Jagdverbot, Hausschweine müssen im Stall gehalten werden, die Halter müssen ihre Anlagen besonders schützen. Hunde müssen an der Leine gehen.
Verbot von Maisanbau in den gefährdeten Gebieten möglich
Sachsens Sozialministerin Petra Köpping erhofft sich nun vor allem Informationen über das Infektionsgeschehen im Kreis Görlitz. Davon hängt auch ab, wie es weitergeht, welche weiteren Einschränkungen oder Auflagen es für Tier- und Landwirte gibt. Bislang ist die Nutzung von land- und forstwirtschaftlichen Flächen grundsätzlich erlaubt. Die Bauern bereiten sich langsam auf die Frühjahrsbestellung vor, da muss schnell Klarheit geschaffen werden. Das soll Mitte bis Ende Februar der Fall sein. Welche Folgen weitere Auflagen haben könnten, machte Carsten Leßner, in Brandenburg für die Bekämpfung der Afrikanischen Schweinepest zuständig, am Donnerstag in einem Zeitungsinterview deutlich. So könnte den Landwirten auferlegt werden, keinen Mais in Kern- oder Pufferzonen anbauen zu dürfen. Schließlich stehen Wildschweine auf Mais.
Brandenburg auch schwer betroffen
Brandenburg ist wie Sachsen von der Afrikanischen Schweinepest betroffen. Dort gibt es mittlerweile drei Kernzonen, in denen 500 infizierte Wildschweine aufgefunden wurden, in Sachsen sind es 19. Auch Brandenburg weist verschiedene Zonen rund um die Fundorte aus und errichtet Zäune - deren Bau öfter unterbrochen werden musste, weil die Helfer auf Leichen oder Munition aus dem Zweiten Weltkrieg stießen. Die Seelower Höhen, wo eine der großen letzten Schlachten am Ende des Zweiten Weltkrieges tobte, sind nicht weit von der Kernzone nördlich von Frankfurt/Oder entfernt. Die beiden anderen Kernzonen in Brandenburg liegen um Eisenhüttenstadt und den Wallfahrtsort des Bistums Görlitz, Neuzelle.
Ob die Tierseuche sich weiter ausbreiten kann, ist aber nicht nur von den deutschen Behörden abhängig. Sowohl Brandenburg als auch der Landkreis Görlitz sehen genauso Polen in der Pflicht. Schließlich wird die Seuche von Tieren aus Polen nach Deutschland eingeschleppt. Doch an der energischen Bekämpfung der Schweinepest in Polen hegt der Görlitzer Landrat Bernd Lange erhebliche Zweifel.
Seit Oktober habe Polen praktisch die Bestreifung und Begutachtung der Gebiete östlich von Neiße und Oder auf der Suche nach infizierten Wildschweinen praktisch eingestellt, sagt er. Nicht zufällig ist die zeitliche Übereinstimmung mit dem Beginn der zweiten Corona-Welle, bei der auch Polen jeden Mitarbeiter von Behörden zur Kontaktverfolgung benötigt. Diese Informationen hält Bernd Lange für zutreffend. Sie stammten aus dem Veterinäramt der Woiwodschaft Lebuser Land.
Vize-Amtsarzt Udo Mann wiederum schildert, dass es manchmal bis zu 14 Tage dauern kann, bis Polen Kadaver aus der Neiße birgt, die den deutschen Behörden bei Kontrollfahrten aufgefallen sind. Für die Spitze des Landkreises Görlitz steht fest: Die Lage in Westpolen ist außer Kontrolle geraten. Carsten Leßner sagt es etwas diplomatischer: "Östlich on Oder und Neiße gibt es ein unheimlich dynamisches ASP-Geschehen und ich frage mich, ob man es dort noch tilgen kann."
EU soll Druck auf Polen machen
Doch der Meldeweg ist lang: über Berlin und Brüssel nach Warschau, die Zusammenarbeit schwierig. Carsten Leßner sagt: "Wenn wir anfragen, bekommen wir Informationen. Aber für ein effektives Zusammenarbeiten gegen die Schweinepest ist das noch zu wenig."
Tatsächlich ist die Landesregierung in der polnischen Hauptstadt mit den Woiwodschaften für die Bekämpfung der Schweinepest zuständig, nicht aber die polnischen Landkreise. Auch die polnischen Forstbetriebe sind meist in staatlicher Hand. Das macht die Zusammenarbeit nicht leichter.
Landrat Bernd Lange will sich nun in Schreiben an Brüssel wenden, um verstärkt politischen Druck auf das östliche Nachbarland auszuüben. "Ich erwarte ein härteres Vorgehen von den polnischen Behörden", sagt Lange. Sie müssten sich genauso an EU-Recht halten wie die deutschen Kreise und Bundesländer und klare Maßnahmen im Grenzraum treffen. Der Brandenburger Carsten Leßner erinnert dabei an einen Vorschlag, den Polen 2020 noch abgelehnt hatte: Wie Deutschland solle auch Polen einen Zaun entlang der Neiße errichten, so dass die Tiere nicht mehr so leicht über die Grenze kommen können.
Ohne polnische Unterstützung könnten auch bald in den deutschen Grenz-Landkreisen die Dämme gegen die Schweinepest brechen. "Eine dritte Ausweitung der Sperrzonen schaffen wir nicht mehr", fürchtet Udo Mann. Zumal der Landkreis Görlitz auch schon bei der Corona-Pandemie stärker betroffen war als andere und dafür die Hälfte der Mitarbeiter des Landratsamtes eingesetzt hat. Doch während bei Corona durch die Impfungen zumindest Hoffnung auf ein rasches Überwinden der akuten Phase besteht, ist das bei der Schweinepest nicht der Fall. "Ich gehe davon aus, dass wir noch fünf bis zehn Jahre gegen die Tierseuche kämpfen müssen", sagt Landrat Bernd Lange. Nicht nur für den Kreis Görlitz stehe dabei viel auf dem Spiel: "Wir verteidigen hier die Schweinezuchtbetriebe in ganz Deutschland".
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