Sport
Merken

Was ist nur mit dem Fußball im Kreis los?

Einst starke Mannschaften ziehen sich zurück, kein Kreisoberligist will aufsteigen, ein Landesklasse- Verein sucht verzweifelt Spieler. Und das sind nur ein paar der Probleme – auf Ursachensuche.

Von Frank Thümmler
 9 Min.
Teilen
Folgen
Der VfB Zittau hat mit dem Weinau-Stadion eine der schönsten Spielstätten im Landkreis. Ob aber in der kommenden Saison hier auch der Ball rollt, bei den Männern in der Landesklasse, das ist noch nicht sicher.
Der VfB Zittau hat mit dem Weinau-Stadion eine der schönsten Spielstätten im Landkreis. Ob aber in der kommenden Saison hier auch der Ball rollt, bei den Männern in der Landesklasse, das ist noch nicht sicher. © Archivbild: Jens Neumann

Zittau. Der Aufruf auf Facebook und Twitter dringt dramatisch: „Sächsische Traditionsmannschaft steht vor dem Aus!!!“ heißt es da, und tatsächlich mit drei Ausrufezeichen. Zudem der Aufruf: „Dringend neue Spieler für die Saison 2022/23 gesucht.“

Es handelt sich um den VfB Zittau, der in der Landesklasse Ost spielt und tatsächlich eine beeindruckende Fußball-Tradition hat. 1909 als Zittauer BK 09 gegründet, hatte der Verein unter dem damaligen Namen Robur Zittau seine sportlich beste Zeit in den 70er und 80 Jahren, als Spitzenmannschaft der Bezirksliga Dresden, die zweimal (1978 und 1981 auch den Aufstieg in die DDR-Liga schaffte, den Klassenerhalt dann aber jeweils nicht. Auch nach der Wende ging es zunächst beachtlich weiter, als SG Robur Zittau, dann wurde die Abteilung Fußball unter dem Namen VfB Zittau selbstständig.

In der Landesliga spielte der Verein in den 90er Jahren eine gute Rolle, 1999 gelang sogar der Aufstieg in die Oberliga, in der der VfB auf Anhieb Dritter wurde. Das Glück währte aber nicht lange. 2002 folgte der sportliche Abstieg in die Landesliga, ab 2006 ging es dann rasant weiter bergab.

Der Verein hatte den Erfolg auch (zu) teuer erkauft, musste damals in ein Insolvenzverfahren. Alles lief auf kleiner Flamme weiter, außer die Nachwuchsarbeit. Die blieb vorbildlich – sogar mit einer Kooperationsvereinbarung mit Dynamo Dresden. 2011 gelang der Aufstieg in die Kreisoberliga, vor zwei Jahren in die Landesklasse. So ein Verein – mit dieser Tradition, mit dieser tollen Spielstätte und der guten Nachwuchsarbeit über viele Jahre –, so ein Verein bekommt jetzt keine Männermannschaft mehr zusammen?

Die Jugend will oft nicht mehr

Der Vereinsvorsitzende Tino Heymann sieht viele Gründe dafür: „In der Jugend haben wir eine Spielgemeinschaft mit Lok Zittau. Viele Jugendliche wollen dann gar nicht höherklassig spielen. Andere gehen zum Studium oder arbeiten auswärts und gehen uns so verloren. Dazu kommt, dass heute die Konkurrenz durch andere Sportarten und Hobbys viel größer ist. Es ist leider so, dass immer weniger Jugendliche wirklich Lust auf Fußball haben. Und das trifft nicht nur unseren Verein, wie wir wissen.“ Auch die niveauvolle Nachwuchsarbeit aufrechtzuerhalten, werde immer schwieriger.

Allein schon ehrenamtliche Übungsleiter zu finden, die das Training zweimal pro Woche leiten und an den Wochenenden zu Spielen fahren, sei viel schwieriger geworden als vor ein paar Jahren. Oft nehmen Väter von Spielern das am ehesten auf sich. „Selbst für die Männermannschaft ist es schwierig, einen guten Trainer zu finden, auch wenn es eine kleine Aufwandsentschädigung gibt“, sagt Heymann. Die Bereitschaft, so regelmäßig im Ehrenamt tätig zu sein, sei stark gesunken.

Selbst beim Engagement der Eltern habe sich im Laufe der Zeit etwas verändert. Wurde früher noch darauf geachtet, dass das Kind seine Sportart regelmäßig und zuverlässig betreibt, würden viele heute Ausreden oder ein „keine Lust“ akzeptieren. Dann kommt das Kind eben nicht zum Training oder Spiel.

Aus Sicht derer, die sich gerade im Nachwuchsfußball engagieren, ist das extrem frustrierend, wenn am Ende, nach vielen Jahren Arbeit, kaum ein Spieler bei der eigenen Männermannschaft ankommt. Und dieser Frust lässt auch bei den bewährten Ehrenamtlern die Lust sinken, sich weiter zu engagieren. Wobei, so ganz verallgemeinern will Heymann das nicht: „Wenn man fußballgeil ist, macht man weiter. Und wir hoffen natürlich darauf, dass das auch wieder besser wird.“

Probleme auch bei Spitzenvereinen

Dass auch die relativ hochklassig spielenden Fußballvereine im Landkreis Probleme haben, konnte man in den vergangenen Jahren und Monaten schon beobachten: Der NFV Gelb-Weiß Görlitz, einst das fußballerische Aushängeschild der Kreisstadt, ist in der sportlichen Bedeutungslosigkeit versunken, ein Nachfolger in der Kreisstadt nicht in Sicht. Der GFC Rauschwalde, dem man das noch am ehesten zutrauen konnte, hat seine Kreisoberliga-Mannschaft nach einem internen Streit gerade verloren und sie zurückgezogen.

Der FC Oberlausitz Neugersdorf ist zwar in der Oberliga solide aufgestellt und betreibt eine leistungsorientierte Nachwuchsarbeit, aber eine zweite Männermannschaft als sportlich sinnvolle Spielmöglichkeit für die Anschlusskader des Oberligateams (also mindestens Landesklasse) hat auch der sportlich hochklassigste Fußballverein des Landkreises seit einiger Zeit nicht mehr.

Das Problem: Wer in der Ersten nicht oder nur ein paar Minuten spielt, bekommt keine Spielpraxis mehr – außer er ist noch A-Juniorenspieler. Frust bei den betroffenen Spielern und Probleme für den Trainer sind so vorprogrammiert. Gleiches trifft auf den FSV Neusalza-Spremberg zu, der mit Eintracht Niesky gerade aus der Landesliga abgestiegen ist, und in absehbarer Zeit zurück in Sachsens höchste Spielklasse will. Nur Niesky hat dieses Problem nicht.

Im Norden des Landkreises hatten sich in der vergangenen Saison Fortuna Trebendorf und Stahl Rietschen aus der Landesklasse zurückgezogen und das „Projekt“, mit vielen auch mit Geld angelockten Spielern möglichst hochklassig zu spielen, gleichzeitig beerdigt. Beide treten in dieser Saison auch nicht in der Kreisoberliga an, wo sie spielberechtigt gewesen wären, sondern noch tiefer, Trebendorf ganz unten in der Kreisklasse, Rietschen in der Kreisliga.

Überall nur Abstiege und Rückzüge, aber hoch will niemand, jedenfalls nicht aus der Kreisoberliga in die Landesklasse. Die ersten Drei hatten in der vergangenen Saison auf den Aufstieg verzichtet, der vierte – Rauschwalde – ist dann sogar von der Bildfläche verschwunden. Einzige Ausnahme im Landkreis ist gerade der FSV Oderwitz, der mit dem Aufstieg in die Landesliga den größten Erfolg in der Vereinsgeschichte gefeiert hat.

Corona hat die Probleme verschärft

Dass dieser eine Verein, gemeinsam mit den Leistungsträgern Neugersdorf und Niesky, die Probleme im Kreisfußball nicht verdecken kann, weiß auch Jürgen Heinrich, Präsident des Fußballverbandes Oberlausitz. „Corona hat die Probleme verschärft. Laut den Meldungen haben wir im Landkreis gegenüber der Vor-Coronazeit 160 aktive Fußballer im Erwachsenenbereich und genauso viele im Nachwuchsbereich verloren“, sagt er. Lösungen für die Vereine zu finden, sei schwierig. Spielgemeinschaften, gerade im Nachwuchsbereich auch über viele Vereine hinweg, seien schon lange erlaubt und üblich. Die „Fußballverrückten“, die sich so stark für ihren Verein engagieren, werden immer älter und scheiden irgendwann aus. Nachfolger zu finden, ist überall schwierig.

Helfen kann der Fußballverband nur bedingt. Während der Coronazeit wurden Nachwuchs- und Schiedsrichtersoll, die besagen, wie viele Nachwuchsteams und Schiedsrichter jeder Verein haben muss, ausgesetzt. Eigentlich gibt es bei Nichterfüllung über die Jahre hinweg steigende Geldstrafen und Punktabzüge.

Wie es nach Corona aussehen wird, ist eine spannende Frage. Auch dabei, die noch in relativ großer Zahl in den kleinen Altersklassen mit dem Fußball beginnenden Kinder bei der Stange zu halten, hilft der Fußballverband. „Die Regeln bei den Kleinen wurden so verändert, dass wirklich jedes Kind zum Einsatz kommt. Zudem wird auf klappbare Minitore gespielt. Wir haben je acht davon zu Vereinen im Süden, in der Mitte und im Norden des Landkreises geschafft“, sagt Heinrich. Dass das keine Lösung für die akuten Probleme vieler Vereine sein kann, ist ihm bewusst.

Sind Fusionen die Lösung?

Relativ schnell helfen würden Fusionen. Ein Gedankenspiel: Wenn sich die Olbersdorfer Fußballer dem VfB Zittau anschließen würden, wären genügend Spieler für das Landesklassenteam und vielleicht auch eine Kreisliga-Mannschaft da. Auch andere Probleme (Übungsleiter, Schiedsrichter ...) wären gelöst. Zittaus Tino Heymann würde sich freuen. Wie schwer der Weg für die Olbersdorfer wäre, zeigt das andere Gedankenspiel: Wie wäre es, wenn der FC Oberlausitz den VfB Zittau sozusagen übernimmt. Spielstätte top, Unterbau des Oberligateams in der Landesklasse vorhanden. Den besten Nachwuchs konzentriert. Aber eben schwierig für Zittau.

Zurück zum VfB, der immer noch Spieler sucht, um in die Saison zu starten. „Es haben sich zwar einige gemeldet, aber es immer noch nicht sicher, dass wir in die Saison starten können“, sagt Heymann. Dabei entsteht teilweise auch ein weiteres Problem: das Geld. „Da werden heutzutage manchmal Summen aufgerufen“, sagt der Vereinschef. Für den VfB Zittau gehe es nun auch darum, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Da stand am Ende schließlich ein Insolvenzverfahren.

Der VfB sucht also immer noch Spieler fürs Landesklasse-Team. Und schreibt in seinem Aufruf weiter: „Wenn Du Lust hast, in der Landesklasse Ost auf einer der schönsten Sportanlagen Sachsens Fußball zu spielen, hast Du jetzt ... die Möglichkeit bei der Männermannschaft des VfB Zittau.“ Wer sich angesprochen fühlt, kann sich telefonisch melden unter: 015 201 967 220.

Vereine müssen über ihre Schatten springen

Frank Thümmler über die Probleme im Kreisfußball

Es ist kein Wunder, dass viele Fußballvereine im Kreis immer mehr Probleme bekommen, sondern eher eine logische Folge. Die Zahl der Fußballer, mindestens mal ab dem „Großfeldalter“ (C-Junioren) sinkt immer weiter. Ältere Spieler hängen die Schuhe – Corona ist ein Anlass – an den berühmten Nagel, zu wenige junge rutschen nach. Wo man auch hinhört: Viele Mannschaften haben Probleme, ihre Mannschaften aufzufüllen.

Die Strukturen sind aber fast noch die aus goldenen Fußballzeiten: Jedes Dorf hat seinen Verein. Das passt nicht mehr und führt dazu, dass es fast allen schlecht geht. Die (kopfgesteuerte und emotionslose) Lösung wäre, auf eine Reihe Standorte zu verzichten. Kleinere Vereine sollten sich größeren anschließen, fusionieren. Die Vorteile liegen auf der Hand. Mehr Spieler, vielleicht sogar für eine zweite Mannschaft als Unterbau der Ersten, würden den Spielbetrieb erleichtern. Das Nachwuchssoll, das Übungsleiterproblem, das Schiedsrichterproblem – all das könnte leichter gelöst werden. Man bräuchte nicht zwei ehrenamtliche Vereinsvorstände, sondern nur einen. Eine Sportstätte ließe sich auch leichter unterhalten als zwei. Das alles klingt logisch.

Aber es gibt ein Problem: die Emotionen. Soll wirklich der Fußball in meinem Dorf, an meinem Standort enden? Das, was viele Jahre funktioniert und in alten Zeiten auch begeistert hat? Wer springt wirklich über diesen Schatten?

Nicht zu springen, ist auf Dauer für den Fußball allerdings noch gefährlicher. Denn Standorte sterben von ganz allein, weil sich nicht mehr genügend Spieler, Ehrenamtler, Übungsleiter und/oder Schiedsrichter finden. Beispiel gibt es: Jonsdorf, Hirschfelde, Krauschwitz. Selbstbestimmt einen guten Übergang zu organisieren, der die Aktiven mitnimmt, ist da allemal besser.