Sport
Merken

Woran sich ein DDR-Top-Denksportler erinnert

Lothar Vogt erlernte in Görlitz Schach und spielte später gegen Weltmeister. Auch mit 70 Jahren ist er noch aktiv. Was ihm in Leningrad widerfuhr.

 4 Min.
Teilen
Folgen
Lang, lang ist es her: Lothar Vogt führt die schwarzen Steine bei einem Turnier 1976 in Halle/Saale.
Lang, lang ist es her: Lothar Vogt führt die schwarzen Steine bei einem Turnier 1976 in Halle/Saale. © Picture Alliance/dpa-Zentralbild/ZB

Von Sören Bär

Görlitz. Lothar Vogt ist einer der wenigen Schachspieler, die mit dem Großmeistertitel ausgezeichnet wurden. Der gebürtige Görlitzer gehörte zu den besten Denksportlern der DDR, nahm unter anderem an zwei Schacholympiaden teil. Aus Anlass seines 70. Geburtstages am 17. Januar sprach die SZ mit Vogt, um 55 Jahre Spitzenschach Revue passieren zu lassen.

Herr Vogt, wie hat Ihre Schachleidenschaft begonnen?

Die Regeln erlernte ich im Alter von 7 Jahren vom Vater eines Schulfreundes. Danach trat ich Motor Görlitz bei, wo man mein Talent erkannte und mich förderte. Die starken Spieler Alfred Reimann, Helmut Scholz und Max Zingler gaben mir Einzeltraining, und ich verbesserte meine Kenntnisse. Ich gewann den Schüler-Bezirksmeistertitel, wonach ich 1967 zur SG Leipzig delegiert wurde.

Wie ging es in Leipzig weiter?

Der Trainer der SG Leipzig Heinz Rätsch unterstützte mich sehr, denn ich durfte schon als 15-Jähriger bei der DDR-Einzelmeisterschaft 1967 in Colditz mitspielen. Ich machte schnell Fortschritte und errang 1968 den DDR-Jugendmeistertitel. Damit durfte ich an der U20-WM in Stockholm 1969 teilnehmen, wo ich mich für die Endrunde qualifizierte und zum ersten Mal mit dem späteren Weltmeister Anatoli Karpow die Klingen kreuzte.

Haben Sie einem Vorbild nachgeeifert?

Dem Dresdner Großmeister Wolfgang Uhlmann begegnete ich schon als Kind, als er ein Simultanspiel in Görlitz gab. Ich hielt von allen Teilnehmern am längsten gegen ihn durch. Wolfgang hatte herausragende Erfolge erreicht und war eine wichtige Orientierung. Später wurde er mein Kollege und Freund. Wir veröffentlichten 1988 gemeinsam das Buch "Gute Läufer – schlechte Läufer".

Lothar Vogt bei einem Turnier 1976 in Halle – beobachtet von Wolfgang Uhlmann, dem erfolgreichsten Schachspieler der DDR.
Lothar Vogt bei einem Turnier 1976 in Halle – beobachtet von Wolfgang Uhlmann, dem erfolgreichsten Schachspieler der DDR. © picture alliance / Hanns-Peter Beyer/dpa-Zentralbi

Welche Erfolge sind für Sie am wertvollsten?

Die Bronzemedaille mit dem DDR-Team bei der Mannschafts-EM 1970 im österreichischen Kapfenberg war ein echter Höhepunkt für mich als 18-Jährigen. Bei der Schacholympiade 1972 in Skopje erspielte ich eine Norm für den Titel Internationaler Meister. 1988 in Thessaloniki erhielt ich ebenfalls bei der Schacholympiade einen Preis für mein Einzelresultat am 4. Brett. Mit der SG Leipzig konnte ich mehrere DDR-Meistertitel und mit der SG Porz fünf Deutsche Meistertitel erringen. Als Einzelspieler wurde ich 1977 und 1979 DDR-Meister. Hervorheben möchte ich meine Großmeister-Normen 1974 in Halle, 1976 in Cienfuegos und 1976 in Budapest. Beim Kuba-Turnier zu Ehren des Weltmeisters José Raoul Capablanca musste ich für die Norm die letzte Partie mit den schwarzen Steinen gegen Alexander Beljawski gewinnen und einen Schlussspurt von 5,5/6 hinlegen. Es verschaffte mir ein unheimliches Glücksgefühl, als mir das tatsächlich gelang.

Der Schachsport hat Sie in viele Länder der Erde geführt...

Ja, ich bin wirklich ein Globetrotter und habe bislang in 50 verschiedenen Ländern Turniere bestritten. Am schönsten waren die Capablanca-Memorials auf Kuba und die Turniere in der ehemaligen Sowjetunion – wegen der perfekten Organisation, der starken Besetzung und der unglaublichen Schachbegeisterung der Bevölkerung. Heute wähle ich meine Reiseziele nach Attraktivität aus. Ganz oben auf meiner Wunschliste stehen gegenwärtig das Thailand Open in Bangkok und das Canadian Open.

Warum lässt Sie Schach nicht los?

Schach ist für mich wegen seiner Schönheit und unerschöpflichen Variantenvielfalt sehr attraktiv. Sportlich weiß ich zu schätzen, dass man auch im Alter noch auf hohem Niveau spielen kann. Ich bestreite Welt- und Europameisterschaften der Senioren und befinde mich nach wie vor auf leistungssportlicher Ebene. 2017 stand ich bei der Seniorenweltmeisterschaft Ü65 kurz vor dem Titelgewinn und errang am Ende ohne Niederlage den 5. Platz.

Welche Gegner waren besonders angenehm, welche eher unangenehm?

Am angenehmsten sind mir Partien gegen Spieler, die sich gentlemanlike verhalten. Dazu zählte der "Zauberer aus Riga" Michail Tal, dem ich von allen Weltmeistern am häufigsten am Brett begegnete. 1990/91 und 1991/92 spielte ich mit ihm gemeinsam in einer Mannschaft bei der SG Porz, was ich in sehr guter Erinnerung behalten habe. Gegner, die mich bewusst oder unbewusst stören und sich laut und ungehobelt benehmen, sind hingegen problematisch.

Was war die verrückteste Begebenheit, die Ihnen widerfahren ist?

In der Sowjetunion wurden die besten Schachspieler wie Popstars behandelt. Beim Superturnier 1977 in Leningrad waren die 1.000 Zuschauerplätze immer ausverkauft. Die Telefonnummern der Spieler im Hotel wurden streng geheim gehalten. Eine junge Frau fand dennoch meine Nummer heraus. Sie rief mich an und beschrieb mir, welches Kleid sie am nächsten Tag tragen und auf welchem Platz sie sitzen würde – frappierend. Es gab also Schach-Groupies, wie man sie sonst nur bei Rockstars findet. Es ist anzunehmen, dass die ebenfalls am Turnier teilnehmenden Weltmeister Karpow und Tal einige solcher Angebote erhielten.