Die Lage ist eigentlich klar: Die Top-Schleuserin aus der Ukraine hat vor dem Landgericht Görlitz gestanden. Nicht nur gestanden hat die Ukrainerin zwischen dem 13. Juli und 21. August 2023 bei sechs Fahrten über 100 Flüchtlinge nach Deutschland gebracht zu haben.
Ihre Angaben wurden zudem von den Ermittlungen der Polizei erhärtet, die unter anderem ihr Handy auswertete, aber auch mithilfe der GPS-Daten der von der Frau gemieteten Fahrzeuge und der Mauterfassung in Tschechien ein ziemlich genaues Bewegungsprofil erstellen konnte. Außerdem haben Geflüchtete als Zeugen die Umstände der Schleuserfahrten geschildert.
Trotzdem liegt über dem Urteil an diesem Dienstag am Landgericht Görlitz eine besondere Spannung. Denn Staatsanwaltschaft und Verteidigung sind sich völlig uneins darüber, was das nun für die 42-jährige Ukrainerin bedeutet. Das wurde in den am Freitag vorgetragenen Schlussvorträgen deutlich.
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Der Staatsanwalt hatte schon zu Beginn der Verhandlung einem Verständigungsvorschlag des Gerichts nicht zugestimmt. Er bewertete das Geständnis der Frau nun auch als nicht so wertvoll, weil eine Beweisführung ja auch ohne möglich gewesen wäre. Auch rechnete er ihr nicht an, dass sie in einem anderen Fall später einen angeklagten Mittäter namentlich identifizierte. Er blieb hart und forderte für die Schleusungen eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten. Die Angeklagte, die seit fast einem Jahr in Untersuchungshaft sitzt, soll im Gefängnis bleiben. Und er betonte, dass die Politik draußen bleiben soll.
Verteidiger gibt Politik eine Mitschuld
Andreas Hübner, der Dresdner Verteidiger der Ukrainerin, sieht das völlig anders. Er setzt in seinem Plädoyer die Politik quasi mit auf die Anklagebank. "Seit 2011 ist Krieg in Syrien, drei Millionen Syrer sind geflüchtet, überwiegend in die Türkei. Dort wird die Lage für sie immer schwieriger. Aber es gibt für sie keine legale Möglichkeit, nach Deutschland zu kommen. Also greifen sie auf illegale zurück", sagt er.
Der Weg führe illegal in die EU, dort brechen dann Staaten wie die Slowakei, aber auch Tschechien und Polen, europäisches Recht, indem sie die Flüchtlinge weiterschicken. Ein Kriminalkommissar berichtete in dem Prozess, dass die in der Slowakei aufgefassten Flüchtlinge eine schriftliche Aufforderung erhielten, das Land binnen weniger Tage zu verlassen – wohin auch immer.
"Dann kommt meine Mandantin ins Spiel, die diese Schleusungen durchgeführt hat. Während die Geschleusten willkommen geheißen werden, will niemand mehr wissen, wie sie hergekommen sind. Aber die Schleuser wie meine Mandantin, auf die prügelt dann das Rechtssystem ein", sagt Hübner, der auch nicht bestritt, dass die Flüchtlinge eigentlich unfreiwillig, aber in Ermangelung einer Alternative ins Fahrzeug steigen, dass die Fahrten gefährlich sind und teilweise einem Viehtransport gleichen. Aber: Das Schleusersystem sei eine Folge der Politik.
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Seine Mandantin habe die Taten zutiefst bereut, auch die Art und Weise der Schleusungen. Dass sie die Fahrzeuge mit ihrem Klarnamen anmietete, spreche gerade nicht für hohe kriminelle List und Energie. Sie sei in einer schwierigen persönlichen Situation gewesen – nach einer Flucht aus ihrer zerbombten Heimat, mit zwei Söhnen, einer hohen Miete, für die ihr Verdienst in Polen nicht ausgereicht habe.
Sie habe nach der Verhaftung das ihr Mögliche getan: Geständnis, sogar mit Nennung der Taterträge, die nun eingezogen werden. Dann noch mit der Identifizierung eines weiteren Schleusers, die ja auch belohnt werden sollte. Hübner forderte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Da die Untersuchungshaft angerechnet wird, bei guter Führung die Strafe zur Hälfte auch ausgesetzt werden kann, bleiben nur noch wenige Monate als Reststrafe.
Dolmetscherin ergriffen vom Schlusswort der Angeklagten
Für Hübner ist klar, dass der Haftbefehl aus seiner Sicht aufgehoben werden muss. Die Frau habe einen festen Wohnsitz. Es bestehe keine Fluchtgefahr. Und sie wolle endlich ihre Kinder wiedersehen.
Die angeklagte Ukrainerin brachte mit ihrem Schlusswort auch die Dolmetscherin in Schwierigkeiten, die so ergriffen war, dass sie kaum sprechen konnte. "Ich wollte nicht plötzlich reich werden, habe das nur für meine Kinder gemacht. Diese sechste Fahrt, bei der ich verhaftet wurde, sollte meine letzte sein. Aber man kann seinem Schicksal nicht davonlaufen. Ich hatte viel Zeit im Gefängnis nachzudenken. Ich bereue meine Taten so sehr", sagte sie und an Richter Jörg Küsgen gerichtet: "Ich bitte um Mitleid mit mir und meinen Kindern. Ich habe sie lange nicht gesehen."